AW: Boulevards und freie Märkte
Weder der Stadtratlegat noch die Drowelfe beachteten den etwa 1,20 m großen Steinklumpen, der an der Straßenecke herumstand, seit in der Nähe die Erde gebebt hatte, als es zu einem Kampf gekommen war. Dabei hatte sich die Erde etwas abgesetzt und diesen Stein freigegeben, der dort ungezählte Jahrhunderte rumgelegen hatte, ohne das es jemanden interessierte.
Nun war er wieder an der Oberfläche und war auch sofort von etwas koboldartigem mit einem Werbeplakat beklebt worden, die eine Echse namens Mit anpries. Eigentlich kein Wunder, da der Stein die perfekten Ausmaße für eine Koboldlittfassäule besaß. Falls Delazaria eine Straßenmeisterei besaß, so war die Entfernung dieses Steinbrockens damit wohl überklebt worden, jedenfalls hatte ihn keiner weggeräumt.
Und jetzt wachte der Stein langsam auf, auch wenn er im Augenblick noch träumte.
Ein scharfer Nordwind peitschte den reichlichen Regen fast horizontal durch den Horizont. Die mächtige Stimme des Vulkan's Baathur war nun seit fünf Tagen fast überall in den Zwielichtgipfeln zu hören.
Das Bewußtsein hatte ihm schon lange und interessiert zugehört, viel länger als die Oberfläche ihn wahrnahm. Vor sechzig Jahren hatte er es das letzte mal getan, und schon damals war das Bewußtsein sehr neugierig gewesen. Vor etwa einhundert Jahren hatte das Bewußtsein das erste mal bemerkt, wie es träumte, wie es dachte, wie es war. Und dabei sollte es nicht bleiben, den nachdem es eine Weile gedacht hatte, fing es auch an festzustellen das es wahrnahm. Nur deshalb hatte es ja etwas zum Nachdenken, und von da an waren es nur noch einige kurze Jahre bis das Bewußtsein das erste mal fühlte.
Einige Jahrzehnte dachte es angestrengt darüber nach, bis es eines Tages überraschenderweise dabei unterbrochen wurde. Es war eben dieses erste Mal gewesen, als das Bewußtsein das große Lied vom Feuer hörte.
Es war einfach wunderschön gewesen. Der Vulkan hatte eine volle Woche lang gesungen, und dabei stolz seinen Namen in die Welt geschrien. Und damals war dem Bewußtsein auch das erste mal klar geworden, das es selbst keinen Namen hatte. Dieses Erlebnis hatte ihm auch gezeigt, das es nicht das einzige Element auf der Welt war, und es schärfte seine Wahrnehmung. Es wollte selbst mit den fremden Elementen in Verbindung treten, und dergestalt sensibilisiert, identifizierte es eines Tages sogar Wind und Wasser.
Ohh, was waren das für eigenartige Konzepte des Seins ? Dem Bewußtsein wurde fast schwindlig bei diesen fremdartigen Vorstellungen, und es mußte einige Jahre sehr intensiv darüber nachdenken. Immer mehr Eindrücke drangen in das Bewußtsein, auch das es nicht das erste war, welches zu diesem Ort gehörte.
Illtum, Braahe, Ruk Singenderfels, Eherok Dämonenfresser, Rao, Ferrinex und viele mehr. Die meißten waren zurückgekehrt, doch es war kein Bedauern in den Erinnerungen zu spüren. Das Bewußtsein beschloß, sich selbst ein Bild von der Welt, außerhalb des Steins, zu machen.
Es studierte weitere Jahrzehnte die anderen Elemente, sowie die Erinnerungen seiner zurückgekehrten Mitinkarnationen.
Und heute also sollte der Tag sein. Die Stimme der Baathur schien ihn, ebenso lautstark wie feurig, zu begrüßen, und der Wind, genau wie der Regen, wollten in nichts nachstehen.
Das Bewußtsein war sich der Notwendigkeit eines Namens bewußt, und hatte diese Frage in seine ausführlichen Überlegungen mit einbezogen. Und es war zu einer Entscheidung gekommen.
Mit einem, selbst durch das stürmische Wetter, laut hörbaren Krachen, brach es sich in die Welt, und sprach zum allerersten Mal. Es schrie seinen Namen heraus, wie es der Vulkan getan hatte, ADAMANTU ! Und es genoß den Wind und den Regen, der jedem Wanderer den Tag vermiest hätten, wie ein kleines Kind, das es, in gewissem Sinne, auch war. Nachdem es einige Augenblicke, welche andere Namensgeber einmal Stunden getauft hatten, seine neue Existenzform genossen hatte, bemerkte Adamantu, das es nicht allein war. Die große Gestalt, die in geringer Entfernung von Adamantu stand, setzte sich in Bewegung, nachdem sie gesehen hatte, das sie bemerkt worden war. Sie war von ähnlicher Statur wie Adamantu selbst, nur das der Körper der Gestalt mit diesen eigenartigen Lappen bedeckt war, die seine Erinnerung Kleidung nannte. Davon hatte es geträumt. Die Gestalt entblößte ihr Haupt, und Adamantu erkannte Taramish den Traurigen, einen Verwandten, der vor über fünfhundert Jahren dem selben Stein entsprungen war.
Taramish sah Adamantu lange in die genauso grauen Augen, legte einen weiten Kapuzenmantel über seine Schultern, und führte ihn in seinen neuen Existenzabschnitt.
Vielleicht träumte der Stein von seiner Geburt, weil dieses Wiedererwachen so ähnlich war, denn er lag nämlich schon seeeeeehr lange hier. Und es sah auch nicht immer so aus wie jetzt. Als der Stein, der Adamantu hieß, sich hier hingesetzt hatte, da gab es noch kein Delazaria. Ja es gab noch nichteinmal genügend Platz, um eine Stadt zu bauen, weil es hier bergig und hügelig gewesen war. Doch scheinbar hatte die Zeit ihr Werk getan und die Kurzlebigen das ihre, indem sie die Steine im Laufe der Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende, abgetragen hatten und sicherlich bestand ein guter Teil dieser Stadt aus dem, was Adamantu einmal als die Dalsaaberge gekannt hatte.
Irgendwann hatte sich mal ein Herrscher nach der Gegend benannt, die Sprache war verwaschen worden und heute stand hier eine Stadt, die sich Delazaria nannte.
Wie war es dazu gekommen ?
Adamantu träumte weiter.
Adamantu hob eine Hand voll Dreck auf und warf sie dem Unwesen entgegen, um es an die Wand zu nageln. Zwar verwandelte sich die Erde artig in tödliche Pfeile und spickten den Dämon an einen Baum, aber umbringen würde es ihn nicht.
Gionshaasu, der Dornenelf und Geisterbeschwörer, ihre beste Waffe gegen die Plagen, war bereits gefallen.
Der Obsidianer würde keinesfalls die Reise bis zu seinem Lebenfelsen in den Zwielichtgipfeln schaffen und es würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als in diesem Kaer Unterschlupf zu suchen. Aber was hätte er denn machen sollen ?
Das ganze Dorf hatte am Bau des Kaers mithelfen müssen und keiner hatte die Zeit gehabt, um Felder zu bestellen, oder jagen zu gehen. Also war Adamantu geblieben und hatte ihnen geholfen, indem er schwere Dinge bewegte und Nahrung zauberte.
Sie hätten es nie ohne ihn geschafft.
Aber auch so war es knapp geworden. Zwar war das Kaer fertig gebaut, jedoch noch nicht versiegelt und selbstverständlich hatten die Dämonischen ausgerechnet diesen Augenblick gewählt, um anzugreifen.
Nun galt es, sie aufzuhalten, bis der komplizierte Verschlußzauber fertiggewirkt war, denn das dauerte eine Weile. Der Verschlußzauber hatte viele Fäden, die alle sorgfältigst gewebt werden wollten.
Aiguur, der Trollkrieger, schlug mit seiner magischen Kristalkeule um sich. Sine, die Bogenschützin, schoß ihre tödlichen Pfeile. Adamantu wirkte einen mächtigen Feuerball. Doch es war abzusehen, das nichts davon ausreichen würde, sie zu besiegen.
Besiegen mußte man sie glücklicherweise aber auch nicht, nur aufhalten. Und dann mußte man hoffen, das das Kaer halten würde.
Schließlich kam das Signal. Rückzug !
Natürlich waren alle schneller als Adamantu, aber das war ebenso natürlich einberechnet worden. So stand der Obsidianer als Letzter im Gang, der das Kaer verschließen sollte, als sein Elementar von den Dämonen zerfetzt wurde. Erschöpft und verwundet wirkte das Steinwesen einen letzten Zauber, der den Gang mit Erde füllte, durch den sich die Angreifer nicht schnell genug graben konnten, bis das Siegel seine Wirkung entfaltete.
Ja, so war das gewesen. Damals. Wann war das gewesen, damals ? Und wann war heute ? Wie immer, wenn er sich länger in der heimeligen Umarmung der Erde aufhielt, wurde Adamantu müde. Uuuunheimlich müde. Zwar taten die Leute im Kaer ihr bestes, um ihn wach zu halten, aber sie hatten keine Chance. Die Natur forderte ihr Recht und irgendwann konnte der Obsidianer nicht mehr anders und er setzte sich mit angezogenen Knien in eine Ecke, sein Kopf fiel auf seine Knie und er schlief ein.
Und so hatte er geschlafen. Bis heute.
Seit vier Tagen stand der Stein nun auf der Straße, wurde von der Sonne und dem Mond beschienen, und wachte auf.
Ein leichtes Zittern lief durch den Stein, als er sich seit ach so langer Zeit versuchte sich zu bewegen. Dabei bröckelte einiges an Staub und dreck von ihm, so das man sehen konnte, das er um einiges dunkler war, als man anfänglich vermutet hätte. Es war eh kein heller Stein gewesen, doch nun zeigte sich, das er regelrecht schwarz war. Hier und da waren ein paar Einschlüsse von Edelsteinen, dort eine kleine Ader aus Orichalkum, wie es oft bei Zauberern unter dem Obsidianern war, doch ansonsten war er schwarz. Hart, glatt und schwarz.
Langsam, gaaaanz laaaangsam hob sich ein Buckel aus dem Stein, an dem der Wahlwerbezettel der Mitechse pappte. Ein weiteres Stündchen wunderte sich der Stein, das er nichts sehen konnte, bis er sich daran erinnerte, das er ja Arme hatte, die praktischerweise mit ziemlich nützlichen Händen angestattet waren.
So langsam wie der Kopf hob sich jetzt ein Arm, brach uralte Krusten auf und fasste sich ins Gesicht. Eine große Hand ergriff den Zettel, zog ihn runter und offenbarte ein graues und ein bernsteinfarbenes Auge, die beide ersteinmal verschlafen blinzelten.
Es war angenehm dunkel.
Knirschend drehte sich der Steinkopf erst nach links und dann nach rechts. Nanu ? Wo kamen denn diese Gebäude her ? Nichts in seinen Erinnerungen sprach von diesen Häusern.
Als nächstes guckte er nach oben in den Sternenhimmel und merkte, das er wirklich lange geschlafen hatte. Er hatte nicht nur die Plage, sondern auch noch ein paar tausend Jahre verpennt und Adamantu hatte keinen Schimmer, wo das Kaer abgeblieben war. Transportiert konnte man ihn eigentlich auch nicht haben, denn wenn man ihn früher ausgebuddelt hätte, dann wäre er doch auch früher aufgewacht.
Oder ?
Adamantu wackelte ersteinmal mit seinem Kopf, was weiteres knirschen und knacken nach sich zog. Probehalber versuchte er den anderen Arm und dann die Beine, die erfreulicherweise ohne murren ihren Dienst versahen.
Das war doch garnicht schlecht.
Adamantu wußte zwar nicht wann er gerade war und wo er sich befand, aber wo es Häuser gab, da gab es auch Namensgeber und die konnte man ja fragen.
Gemächlich erhob der Obsidianer seine gute halbe Tonne Gewicht zu seinen vollen 2,30 m und brach die letzten Verkrustungen auf, die sich im Laufe der Zeit an ihm abgelagert hatten.
Die kleidung, die er einst getragen hatte, war schon vor ewigen Zeiten verrottet und der kunstvolle Stab, den er von Taramish geerbt hatte, als dieser in den Lebensfels zurückkehrte, war auch verschwunden. Vielleicht war er auch vergangen oder es hatte ihn jemand mitgenommen. Wer konnte das schon wissen.
Aber das machte ihm nichts aus. Der lebende Stein hatte diese Lappen sowieso nur angezogen, weil sich die Weichwesen so gern mit ihnen behängten und es mochten, wenn er das auch tat. Sinn machte das für ihn keinen weiter, denn Wetter hatte ihm noch nie viel ausgemacht.
Wo sollte er nun hin ?
Fragen, ja. Aber wo und wen ?
Zu seiner Zeit hatte es Orte gegeben, die die Weichlinge Tavernen genannt hatten und wo sie sich trafen. Vielleicht gab es sowas ja auch jetzt/hier.
Deshalb setzte sich der Obsidianer unter vielem knirschen, knacken und dem dumpfen Wummern seiner schweren Schritte in Bewegung. Dorthin, wo gerade die meisten Geräusche herkamen.
Richtung Streuner's Heim.