Zu den Erfolgsgeheimnissen der Figur gehört, dass sie ihren postmodernen Unernst auf jeden ihrer Darsteller projizierte[...] Wirklich Ernst war ihm allenfalls sein Hedonismus – als seien all die Atombomben, Biowaffen und hässlichen Bösewichter für Bond nur lästige Hindernisse auf dem Weg zur nächsten Gespielin.
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Doch so stoisch Bond an der Seite von Honeychild, Kissy Suzuki oder Pussy Galore durch die Zeitläufte wandelte – jede Neubesetzung war eine kleine Erschütterung, vergleichbar mit jener Verunsicherung, die bei Regierungswechseln, Umzügen oder Trennungen im Freundeskreis entsteht. Mit Casino Royale nach Ian Flemings allererstem Bond-Buch, das bereits zur Kinosatire und zum Fernsehfilm wurde, vollzieht sich jetzt die Inthronisation von Daniel Craig. Aber leider geht es zugleich um mehr, um nicht weniger als eine Neudefinition der Figur, um den Bruch, mit dem die Produzentin Barbara Broccoli bereits vor einem Jahr gedroht hatte. Gleich in einer der ersten Szenen bringt Bond, noch als 07 und ohne Lizenz zum Töten, seinen ersten Gegner um. Auf einer Herrentoilette drückt Daniel Craig den Kopf eines schmierigen Informanten ins Waschbecken. Es ist ein arges Spritzen und Zappeln, ein Würgen und Zucken, bis der Mann endlich erstickt. Bond ächzt und keucht, die Kamera zeigt seine nasse Stirn und jede Pore seines Gesichts. Die Botschaft ist klar: Hier kommt der echte, schwitzende, brutale Bond. Ein Klo-Killer und Todesarbeiter. The real thing.
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Die Wahl von Craig ist schon das halbe Programm. [...]Er trägt Polo-T-Shirts, die einen dezent modellierten Bizeps freigeben. Er sprintet wie ein Wahnsinniger. In einer Folterszene wird er nackt auf einen Stuhl gefesselt. Er sieht aus wie ein goldener Rodin, eine lebendige Skulptur aus Schweiß, Blut und Massage-Öl. Als der Bösewicht auf Bonds Geschlechtsteil einpeitscht, entringt sich 007 ein aus tiefstem Inneren hervorbrechender Schrei. Die Szene mag für eine Filmfigur, deren physische Existenz bisher allein danach bemessen wurde, wie gut sie im Smoking aussieht, ein ästhetisches Problem sein.
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Will man wirklich einen solchen Bond sehen, der mit verklärten Augen Liebesschwüre flüstert?[...] Der neue Bond ist ein Mann von unten. Als ehemaliger Waisenhauszögling, so teilt uns der Film mit, konnte er in Oxford nur dank eines Stipendiums studieren. Auf die Frage, ob er seinen Martini gerührt oder geschüttelt will, reagiert er gereizt mit dem Spruch: »Sehe ich aus, als ob ich einen Scheiß draufgebe?«