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Tufir

Drachling
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Überall in der westlichen Welt geschehen seltsame, bestialische Morde und Selbsttötungen. Die Welt steht am Abgrund, ohne es zu wissen – und sie wird es auch nicht erfahren, bevor es fast zu spät ist. Denn „was wahr ist, muss auch wahr bleiben“, so der Papst. Worte, die jedoch nur seine engsten Mitarbeiter erfahren. Die Geheimdienste vermuten terroristische Anschläge mit Biowaffen, die Polizei tappt lange auf einer falschen Fährte und nur der Sensationsreporter eines Hamburger Revolverblatts, Sebastian Vogler, findet zufällig als einzige Zivilperson das heraus, was danach auch die Geheimdienste beschäftigt. Alle sogenannten kontaminierten Personen waren im Verlauf des letzten Jahres in Kalabrien, wo ein kleiner Junge über Heilkräfte verfügt, die ihn zu einem Wunderheiler machen. Vogler erfährt diese Heilkräfte am eigenen Leib und wird somit auch mit dem Unsagbaren infiziert. Daraufhin beginnt für ihn eine Odyssee durch Europa, welche ihn von Hamburg über Kalabrien nach Lettland führt und die dann mit einem Umweg über Budapest in Paris ihr Ende findet.

Andreas Brandhorst entpuppt sich in diesem Roman einmal mehr als Meister der Spannung. In kurzen Kapiteln führt er den Leser auf ein Hochseil und lässt ihn dort nicht mehr herunter. Kleine Windstöße aus unterschiedlichsten Richtungen lassen die Ahnungen, die man unweigerlich beim Lesen aufkeimen lässt, wie Seifenblasen zerplatzen. Schnipsel für Schnipsel serviert Brandhorst seine einzelnen Speisen und lange Zeit hat man keine Ahnung, wie das Gesamtmenü aussehen wird. Die Gier nach mehr wächst mit fast jeder Seite und doch bieten die kurz gehaltenen Kapitel immer wieder den Spielraum zum Luft holen und nachdenken. Eine gefährliche Mischung, die viel Potential zur Sucht hat. Am Schluss des Buches steht der Leser dann auch nicht am Ende des Seils oder stürzt gar ab. Nein, der Autor präsentiert eine Art Fahrstuhl, der immer wieder kleine Stück in die Tiefe fällt, um dann erneut ein wenig in die Höhe gezogen zu werden. Letztendlich hätte es dem Werk keinen Abbruch getan, wäre es ein paar Seiten kürzer geworden, doch die Längen halten sich in Grenzen. Brandhorst schafft es tatsächlich, den Leser auf neun Zehnteln seines Romans über den Ausgang im Unklaren zu lassen. Erst als Paris als Ziel für Vogler feststeht, bekommt man eine ungefähre Ahnung, was der Höhepunkt sein könnte. Und doch … wird Sebastian seine eigene Frau doch noch töten?

Brandhorsts Sprache ist einfach und verständlich. Es gibt keine Schachtelsätze und nur wenige Fremdwörter oder kaum welche der heutzutage teilweise sehr strapaziösen, aber gebräuchlichen Anglizismen. Dafür bietet er dem Leser eine ganz eigene Interpretation der menschlichen Geschichte von Gilgamesch bis heute, die auch die katholische Kirche (oder besser die gesammelten Lehren aller Ein-Gott Glaubensgemeinschaften) in ein anderes Licht rücken. Sicherlich ist alles der Phantasie des Autors entsprungen und doch lässt der große Bezug zur Realität den Leser auch hier zweifeln, so wie er ständig an seinen eigenen Vermutungen und Annahmen über den Ausgang der Geschichte zweifelt, wenn der Autor mal wieder eine neue Idee ins Spiel bringt. Manch einer mag Brandhorts bei diesem Roman ein Schwimmen auf der Dan Brown Welle vorwerfen und doch ist in seinem Mystery-Thriller alles ganz anders. Zwar spielt der Vatikan auch eine Rolle, weil der wunderheilende Knabe ein Katholik ist und doch bleiben ihm die Schlüsselpositionen des Romans versagt.

Brandhorsts Charaktere sind – wenn man mal vom Geheimdienstmann absieht – Normalbürger, die genauso Schmerzen empfinden und leiden können wie der Leser selbst. Es fällt leicht, einen Protagonisten als Identifizierungsperson zu adoptieren, aber wehe man schließt ihn zu sehr ins Herz. Brandhorst ist gnadenlos und manch einer der Protagonisten stirbt einen allzu frühen Tod in diesem Werk.

Äon hat das Potential zum Mystery-Thriller des Jahres. Es wäre nicht verwunderlich, wenn sich jemand bereits die Filmrechte gesichert hätte. Es mag kleinere Kritikpunkte geben, aber als Gesamtwerk hat sich das Buch einen Platz in jedem Mystery-Büchergal verdient.

Viel Spaß beim Schmökern wünscht euch
Euer Tufir

Vielen Dank auch an den Heyne-Verlag, der die Rezension dieses Werk ermöglichte.


Über den Autor:

Andreas Brandhorst (* 26. Mai 1956 in Sielhorst, Rahden) ist Übersetzer und deutscher Fantasy- und Science-Fiction-Autor. Er schreibt auch unter den Pseudonymen Thomas Lockwood und Andreas Weiler.

Andreas Brandhorst ist vor allem für seine Romane um das Kantaki-Universum und als Autor für die Serie Die Terranauten bekannt. Auch für Perry Rhodan verfasste er zwei Taschenbücher. In den späten 1980er und 1990er Jahren war er vor allem als Übersetzer tätig. Zu den bekanntesten seiner Übersetzungen zählen die Scheibenwelt-Romane von Terry Pratchett und Romane aus der Star-Trek-Serie. Seine Kurzgeschichte Die Planktonfischer wurde 1983 mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet.

Andreas Brandhorst lebt heute als freier Autor und Übersetzer in Norditalien. Er war zweimal verheiratet und hat zwei Kinder.
 
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