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Sci-Fi / Fantasy Schwarzfall

sonic_hedgehog

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Hitze! Unerträgliche Hitze! Der erste Gedanke am Morgen und der letzte in der Nacht ist Hitze. Seit Monaten zeigen die Thermometer Temperaturen von über30°C und Regen scheint eine Sage vergangener Zeiten zu sein. Was anfangs noch als schöner Sommer begrüßt wurde, entwickelte sich zur Belastung – insbesondere Kinder und Alte leiden unter der Dauerhitze. Einzig klimatisierte Räume versprechen Abhilfe, weswegen Klimaanlagen der Verkaufsschlager der Saison sind. Doch sie provozieren ein anderes Problem.

Peter Schwindt hat sich in seinem neuen Roman Schwarzfall unzweifelhaft von den Rekordsommern und den großen Stromausfällen der jüngeren Vergangenheit (z.B. USA 2003, Italien 2003, Deutschland 2006,…) inspirieren lassen und spinnt fort was eine Kombination von Dauerhitze und erhöhtem Stromverbrauch bewirken könnte:

Die Dauerhitze führt zu sinkenden Flusspegeln und damit, von der Öffentlichkeit zuerst eher unbemerkt, zu Schwierigkeiten mit der Kühlwasserzufuhr großer Kraftwerke. Als deren Leistungsdrosselung und der sich ständig erhöhende Verbrauch zusammentreffen, kommt es zur Katastrophe. Schlagartig bricht das Stromnetz in Deutschland zusammen, der sogenannte Schwarzfall.

Schwindt wählt als Ort der Handlung Frankfurt, eine Stadt die er gut kennt, da er dort selbst mit seiner Familie lebt. Genauer gesagt wählt er Seckbach, einen Frankfurter Stadtteil, der durch eine recht heterogene Bebauung und Bevölkerungsstruktur gekennzeichnet ist. Neben dem historischen Dorfkern existieren dort sowohl von Einfamilienhäusern geprägte Straßenzüge als auch in den 60er Jahren bebaute Neubausiedlungen mit den für die Zeit typischen Hochhäusern. Ähnlich heterogen sind auch die Protagonisten, deren Geschichte Schwindt erzählt:

Patrick und Jessie wohnen mit ihrem kleinen Sohn Marvin in einem der Hochhäuser der Atzelbergsiedlung. Beide sind arbeitslos und während Jessie sich um Haushalt und Kind kümmert, verkauft Patrick Drogen. Auf der anderen Seite stehen Harald und Claudia Hellmann, die mit ihren Kindern in den schon erwähnten Einfamilienhäusern Seckbachs leben. Harald ist Lehrer, Konservativer und Sportschütze. Doch hinter der ordentlichen Fassade lauern Abgründe und auch diese Familie ist alles andere als harmonisch. Überhaupt haben Schwindts Charaktere Probleme in ihren Beziehungen: Auch Katharina, Ärztin im Johannes-Krankenhaus, hat Probleme privater Natur – ihre Mutter hatte nach dem Tod ihres Vaters beschlossen, zur Tochter nach Frankfurt zu ziehen und weigert sich ihre beginnende Demenz als Anlass zu sehen in ein Pflegeheim zu ziehen. Der Stromausfall und seine Folgen verschärfen diese bereits bestehenden Probleme noch einmal.

Neben Klimaanlagen und Licht fallen auch Bankautomaten, Supermarktkassen, Kühltruhen, Straßenbahnen und alles andere, was direkt oder indirekt von einem funktionsfähigen Stromnetz abhängig ist, schlagartig aus. Und während ein Großteil der Bevölkerung erst beginnt zu begreifen, welche Folgen das haben kann, nutzen andere ihre Chance: Es kommt zu ersten Plünderungen.

Auch Patrick und seine Freunde sehen ihre Chance gekommen, das bürgerliche Viertel um Hellmann hingegen bildete eine Art Bürgerwehr um ihre Häuser und „ihren“ Supermarkt zu schützen. Und im Krankenhaus ist Schlaf undenkbar, da aufgrund fehlerhafter Notstromaggregate um jedes Leben gekämpft werden muss, während die Notaufnahme vor Hitze- und Stromausfallsopfern überläuft. Und noch ist nicht abzusehen wann sich die Situation wieder normalisiert, da ohne Kühlwasser an einen Betrieb der Kraftwerke nicht zu denken ist.

Schwindt entwirft ein beängstigendes Szenario, das insbesondere durch seine Vertrautheit beeindruckt. Stromausfälle und Hitzewellen sind aus den Nachrichten und dem eigenen Erfahrungsschatz bekannt, ihre Kombination und eine verlängerte Dauer jedoch eröffnen neue Gefahren. Trotz wissenschaftlicher Beratung des Autors kann man zwar über den Realismus einzelner Bausteine des Szenarios streiten (wie über die schnelle Benzinknappheit, die fast vollständige Überforderungen der staatlichen Organe oder die trotz Stromausfalls funktionierenden Radiosender), insgesamt schwächt dies den Roman aber nur unwesentlich.

Auch Schwindts Personenzeichnungen konnten mich überzeugen, selbst Nebenpersonen wie Katharinas Chef wirken, soweit das angesichts teils geringer Handlungsanteile möglich ist, plastisch. Umso mehr trifft das auf die Hauptpersonen zu. Dabei folgt der Roman einer beinahe klassisch zu nennenden Dramenstruktur, mit Exposition, steigender Handlung, Höhepunkt, einem kurzen Hoffnungsschimmer und dem letztlich unausweichlichen Ende, das aber bei weitem nicht so blutig ist wie das ein oder andere Theaterstück. Ähnlich klassisch auch die Charaktere, die zwar versuchen, ihrem Schicksal eine positive Wendung zu geben, letztlich aber an Vorurteilen und eingefahrenen Charakterzügen scheitern (müssen).

Einzig die Sprache bleibt hinter dem Rest des Romans zurück. Zwar nutzt Schwindt unterschiedliche Sprachebenen zur Charakterisierung der einzelnen Charaktere – Katharina pflegt eine andere Sprache als beispielsweise Patrick – geht dabei aber zu weit, wenn sich auch das Sprachniveau des Erzählers dem der Figuren anpasst und dieses auch nach Verlassen der Innenperspektive beibehält. Durch die Verwendung ungewöhnlicher, teils auch missverständlicher Formulierungen und nicht zur Geschwindigkeit und Spannung der Handlung passende Tempowechsel gerät der Lesefluss unangenehm ins Stocken. In der Summe ist der Roman daher nicht so schön und spannend zu lesen, wie er es vermutlich verdient hätte.

Trotzdem ist Schwarzfall ein gelungenes Buch, das intelligent die durchaus realistische Bedrohung eines Stromausfalls mit dem Motiv der nur dünnen zivilisatorischen Schale des Menschen verbindet. Nicht perfekt, aber lesenswert.

Mein Dank gilt dem Piper Verlag, der diese Rezension ermöglichte. Auf den Seiten des verlags findet sich auch eine Leseprobe des Romans.
 
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