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Sci-Fi / Fantasy New World - Die Flucht

Luzifer

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Mit „Die Flucht“ wurde der erste von zwei Teilen der Science-Fiction Reihe von Patrick Ness ins Deutsche übersetzt. Der Autor wendet sich mit diesem und dem folgenden Roman deutlich an jugendliche Leser. Der Originaltitel des Buches lautet “The Knife of Never Letting Go. Chaos Walking: Book One”. Im Mai 2009 wird zunächst auf Englisch der zweite Teil erscheinen mit dem Titel „The Ask and the Answer. Chaos Walking: Book Two.“

Wie wäre es, wenn man seine Gedanken laut hören könnte? Wenn sie immer da wären? Wenn sie niemals Ruhe geben würden? Was wäre, wenn nicht nur man selbst diese Gedanken hören würde, sondern auch alle um einen herum? Und man würde die Gedanken der anderen hören? Würde die Welt in unsagbarem Lärm untergehen?

Dies ist die Welt in der Todd Hewitt lebt: New World! Ein weit entfernter Planet, der von Siedlern kolonisiert wurde um ein besseres Leben anzufangen. Abseits von der Erde, auf der nur Krieg und Zerstörung herrschte, wünschten sich die Neubesiedler von „New World“ mit weniger Technik und Rückbesinnung auf die wichtigen Dinge ein neues Leben anzufangen. Aber leider wurden viele schlechte Angewohnheiten mit in die neue Heimat gebracht, auf der auch schon andere Lebewesen wohnten: Die Spackle.
Ein Kampf um die Siedlungsplätze begann, in deren Verlauf die Menschen zwar gewannen, aber um den Preis, dass die Spackle eine biologische Waffe einsetzten. Nach ihr war nichts mehr so wie vorher. Die Frauen starben. Die Männer hörten die eigenen Gedanken von sich und allen anderen als immerwährenden, unabstellbaren „Lärm “!
Todd Hewitt ist der letzte Junge in Prentisstown, der letzten Stadt von New World, mit gerade mal 146 männlichen Einwohnern. Noch einen Monat hat er bis zu seinem 13. Geburtstag (die Jahre in New World haben aber 13 Monate). An diesem Tag soll er zum Mann werden. Wie genau das passieren soll, weiß er noch nicht. Da aber alle anderen Jungen ihn ab ihrem 13. Geburtstag nur noch ignoriert haben, wünscht er sich nichts sehnlicher, als endlich auch ein Mann zu werden.
Eines Tages allerdings macht er zusammen mit seinem Hund Manchee (dessen Gedanken er auch hören kann - so wie auch von allen anderen Tieren) im Sumpf außerhalb des Dorfes, wo der Lärm der anderen nicht so eindringlich ist, eine erstaunliche Entdeckung: Stille! Diese Stille stellt alles auf den Kopf, was er bisher von der Welt erfahren hat. Und sie wird sein Leben, so wie er es kannte, ins Wanken bringen. Todd findet im Sumpf ein Mädchen! Ihre Gedanken kann er nicht hören. Und sie scheint auch seine Sprache nicht zu sprechen. Sehr einseitig, wenn man weiß, dass sie in den Bildern seiner Gedanken sehr wohl lesen kann!
Seine Entdeckung, die Angst vor dem Unbekannten, oder die Angst vor etwas anderem, kann Todd in einer Welt voller Lärm nicht lange geheim halten. Und die übrigen Bewohner scheinen ganz besonders interessiert an diesem Geheimnis zu sein, denn auf einmal ist er nicht nur der einzige Junge in Prentisstown, sondern wird schnell auch zum Gejagten. Sind die Geschichten, die man ihm erzählt hat, vielleicht überhaupt nicht war. Gibt es noch eine andere Wahrheit?

Hals über Kopf muss Todd sein Dorf und alles was er kannte zurück lassen und ins Ungewisse fliehen! An seiner Seite nur sein etwas treudoofer Hund Manchee und ein paar Habseligkeiten, darunter auch ein Messer, dessen Gebrauch für ihn der Inbegriff davon ist, was einen Mann aus macht.
Todd muss sich und anderen beweisen, dass er auch ohne das „Ritual“ seines Dorfes ein Mann werden kann. Er muss es auch, um die Gefahren in New World zu bestehen und die Verantwortung zu akzeptieren, um die er gar nicht gebeten hat. Die Frage ist, wohin er überhaupt fliehen kann, wenn doch Prentisstown das letzte und einzige Dorf in New World ist. Die Flucht führt ihn weit weg und schließlich auch zu der Erkenntnis einer schrecklichen Wahrheit.


Ab den ersten Zeilen des Buches liest man in Todds Gedanken. Vielmals hat man das Gefühl keine Beschreibung der Handlung vorzufinden, sondern die Handlung durch die Augen des Protagonisten zu erleben, gefärbt von seinen Stimmungen, seinen Ängsten und all seiner anderen Gefühle. Man könnte also sagen, man liest in seinem Lärm, ganz so wie die Männer (und das Mädchen) in New World.
Dies führt dazu, dass man sich sehr schnell mit Todd verbunden fühlt. Der Einblick in sein Wesen und seine Gedankenwelt schafft auf spielerische Art eine Nähe, die gleichzeitig auch an den Roman fesselt. Gelegentlich nutzt der Autor noch ein anderen Kniff: Er spricht den Leser direkt an, so als ob Todd auch wüsste, dass seine Gedanken soeben gelesen werden. Und es entsteht so ein kurzer „Dialog“, in dem der Autor Todd auf eine vermeintliche Gefühlsregung des Lesers in diesem Moment reagieren lässt. So heißt Todd z.B. in einer Situation in der er rührselig wird und ihm die Tränen in die Augen schießen, den Leser er solle die Klappe halten, da er selbst dieses Verhalten als beschämend empfindet. Entspricht sie ja nicht seinem Bild von einem richtigen Mann.

Die Mannwerdung ist ein besonderes Thema im Roman. Und sie hat ein ganz besonderes Symbol: Das Messer seines Ziehvaters. In mehreren Situation steht Todd vor der Frage, ob ein Messer ein tödliches Objekt ist, oder nur ein Werkzeug. Zu Beginn des Romans ist für Todd ganz klar: Um ein Mann zu sein, muss man auch bereit sein, ein Messer einzusetzen – notfalls auch im Kampf, und dann auch bis zum bitteren Ende. Todd wird aber feststellen, dass ihm diese Bereitschaft noch fehlt und das passt ihm gar nicht. Im Verlauf der Geschichte muss er sich mehrfach damit auseinandersetzten, ob er wirklich nur dann ein Mann werden kann, durch den Tod eines anderen. Die Auflösung dessen streckt sich über den gesamten Roman, geschieht dann aber ziemlich überraschend.

Entgegen einiger Bedenken ist der Roman kein ständiger innerer Monolog von Todd. Zumindest vor seiner Flucht ist er schließlich in der Stadt. Später hat er auch immer noch seinen Hund Manchee. Allerdings:

Kapitel 1 schrieb:
Das Erste, was du herausfindest, wenn dein Hund sprechen lernt, ist, dass Hunde nicht viel zu sagen haben. Und das in jeder Beziehung.
>>Muss kacken, Todd. <<
>>Halt die Schnauze, Manchee.<<
>>Kacken. Kacken, Todd.<<
>>Ich hab gesagt, du sollst die Schnauze halten.<<

Die sprachliche Gestaltung des Romans, sowie auch die Handlung, richtet sich deutlich an ein jugendliches Publikum. Auch das Thema, das Erwachsen werden und die Übernahme von Verantwortung, ist auf Jugendliche zugeschnitten. Aber auch als (halbwegs) Erwachsener kann man viel Spaß an dem Buch haben. Es hält die Spannung vom ersten Kapitel an. Es gibt keine in die Länge gezogene Einführung, man ist plötzlich mitten drin in der Flucht des Jungen Todd und das bis zur letzten Seite. Patrick Ness schafft es die Spannung, beinahe über den gesamten Roman hin zu halten. Hierbei muss er zwar manchmal auf das Klischee eines immer und immer wieder auftauchenden Bösewichtes zurück greifen, aber es verfehlt das Ziel nicht.

Herausragend dargestellt ist die Gedankenwelt aller anderen Bewohner von New World durch ein simples Instrument. Gedanken von fremden Tieren, oder einfach nur der Lärm der Bewohner von New World, der auf Todd eindringt, wird anhand anderer Schriftart und in verschiedener Schriftgröße dargestellt. Durch diese einfache Kenntlichmachung ist dem Leser intuitiv klar, dass hier von außen etwas in die Gedanken des Protagonisten eindringt. Gerade im ersten Kapitel, in dem scheinbar der Lärm der ganzen Stadt über zwei Buchseiten dargestellt werden, erhält man hierdurch den Hauch einer Idee, wie es sein muss, unter diesem Gedankenlärm und –müll zu leiden.

Der Sprachgebrauch des Buches ist ebenfalls, orientiert an der Leserschaft, jugendlich gehalten. Dies gelingt dem Autor mühelos und auf intelligente Art. Auf Slang wird hierbei aber ebenso verzichtet, wie auf Schimpfwörter. Die denkt sich der Protagonist zwar, aber eben nie zu Ende.
Die erste Auflage des Romans ist eine gebundene Ausgabe in schwarz mit roten Lettern. Der Einband zeigt einen rennenden Jungen und einen Hund unter Beobachtung zweier Augen. Die 544 Seiten sind zügig lesbar, da die Seiten sehr übersichtlich aufgebaut sind, mit großen Zeilenabständen und angenehm zu lesender Schriftgröße.


Als Jugendbuchdebut von Patrick Ness ist der Roman durchgehend empfehlenswert. Er ist spannend, innovativ in der Nutzung einfacher, aber vielleicht auch gerade dadurch so prägnanter Stilmittel, und ist intelligent geschrieben. Teilweise deutlicher für das jugendliche Publikum, verliert man auch als Erwachsener aber nie das Interesse. 2009 wird auch der zweite Teil der Reihe erscheinen, auf das man sehnsüchtig warten wird, denn der erste Teil endet mit einem Cliffhanger. Auf Englisch erscheint es im Mai 2009 und trägt den Titel „The Ask and the Answer“. Ein Deutscher Titel ist derzeit noch nicht bekannt.


Über den Autor

Patrick Ness wurde 1971 als Sohn eines Ausbilders der US-Army in Virginia in den Vereinigten Staaten geboren, wuchs dann aber in Hawaii und später im Staat Washington auf. Er studierte Englische Literatur an der Universität von Südkalifornien und wurde dann Werbetexter bzw. Texter für Formschreiben für eine Kabelfirma. Die Erstellung von Gebrauchsanweisungen gehörte ebenfalls zu seinem Repertoire. Heute unterrichtet er gelegentlich Kreatives Schreiben an der Oxford Universität und fertigt Rezensionen für die britische Tageszeitung „The Guardian“.
New World – Die Flucht war sein erster Jugendroman. Zuvor veröffentlichte er neben einer Prosageschichte 1997 im Schwulenmagazin „Genre“ die Romane „The Crash of Hennington“ (Flamingo, 2003) und “ Topics About Which I Know Nothing ( HarperPerennial, 2005). Für New World – Die Flucht erhielt Patrick Ness 2008 den „Guardian Award“, sowie den „Booktrust Teenage Prize“ und in 2009 eine Nominierung für den „Manchester Book Award“.
[Homepage von Patrick Ness]

Übersetzung

Der Roman wurde aus dem Englischen von Petra Koob-Pawis übersetzt. Frau Koob-Pawis war bereits mehrfach als Übersetzerin von Jugendbüchern tätig, insbesondere in einer Reihe über den jungen James Bond. Sprachlich, wie inhaltlich, sind keine Fehler etc. auffällig.


Diese Rezension entstand in freundschaftlicher Zusammenarbeit der RPG-Foren.com und DSA-Fantasy.de - Vielen Dank auch an den Ravensburger Buchverlag.
 
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