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Sci-Fi / Fantasy Der Kuss des Morgenlichts

sonic_hedgehog

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Als Sophie, eine junge, hochbegabte aber auch sehr schüchterne Musikstudentin dem grandiosen Cellisten Nathanael Grigori begegnet, ahnt sie nicht, wie sehr sich dadurch ihr Leben verändern soll. Dieses erste Treffen führt zu gemeinsamen Übungsstunden, die letztlich dazu führen, dass sie beide ineinander verlieben. Doch Nathanael umgibt ein Geheimnis, das Sophie nicht durchdringen kann – immer wieder versetzt er sie und ist tagelang nicht aufzufinden und auf ihre Versuche, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen, reagiert er äußerst ungehalten. Doch trotz aller Schwierigkeiten ist die gegenseitige Anziehung zu groß, ihre Beziehung vertieft sich und führt schließlich zu einer gemeinsamen Nacht in Nathanaels Wohnung – einer Nacht mit Folgen, denn Sophie muss feststellen, dass sie schwanger ist. Doch Nathanael scheint Sophies Freude nicht zu teilen, er reagiert eher geschockt und verlässt sie. Für Sophie bricht eine Welt zusammen, entscheidet sich aber das Kind zu behalten und allein großzuziehen.
Sieben Jahre vergehen, bis sich erneut dunkle Wolken über Sophie und ihrer Tochter Aurora zusammenballen. Auroras Verhalten wird merkwürdiger, sie scheint in Trancen zu fallen und weiß Dinge, die eigentlich über dem Begriffsvermögen einer Siebenjährigen liegen. Und mit Caspar von Kranichstein erregt ein Nachbar mehr als nur Sophies Misstrauen. Sophie muss feststellen, dass Aurora und sie unwillentlich in einen Kampf wahrhaft biblischen Ausmaßes gezogen werden und dass ihr Schicksal davon abhängt, welche Entscheidungen sie trifft.

Leah Cohn alias Julia Kröhn (oder auch Carla Federico, Katharina Till) wurde 1975 in Linz geboren und studierte Theologie, Philosophie und Geschichtswissenschaft in Salzburg. Sie arbeitet als Fernsehjournalistin und lebt zurzeit in Frankfurt am Main. Unter jedem der vorgenannten Pseudonyme hat sie Bücher veröffentlicht.

Wirft man einen Blick auf die Veröffentlichungen der jüngsten Zeit und der nahen Zukunft, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, Engel seien die neuen Vampire. Auch die Pressemitteilungen des Fischer Verlags schlagen in diese kerbe – andererseits wem wenn nicht einer Theologin kann man dieses Thema zumuten?

Leah Cohn beginnt „Der Kuss des Morgenlichts“ als klassische Fantasy-Liebesgeschichte. Sophie, ihre Protagonistin ist ein schon fast überzeichneter Charakter. Hochbegabt und dennoch zutiefst unsicher, hübsch aber scheu und zurückgezogen. Als sie dem „sehnigen und schlanken […] auf eine anachronstische, dekadente Weise schön[en]“ Nathanael begegnet, weiß der Leser schon, wohin das führen muss. Und tatsächlich – es entspinnt sich eine klassische, weitgehend keusche Liebe, die, wären nicht die geheimnisvollen Andeutungen, fast banal wäre. Doch diese Andeutungen und die stilistisch sehr gelungene Erzählung halten auch den thematisch nicht vollends angezogenen Leser bei der Stange:
S.44 schrieb:
Manchmal hatte ich in seiner Gegenwart das Gefühl als würde diese Traurigkeit über mich schwappen, einer schwarzen, unentrinnbaren Welle gleich, die erstickt, über wem sie zusammenbricht, eine Form von Verzweiflung, gewaltig und absolut, wie ich sie noch nie erlebt hatte.
Bis zu dem Moment, da Nathanael verschwindet und die schwangere Sophie sitzen lässt. Mit dieser Wendung verlässt Cohn die klassische Liebesgeschichte und betritt das Fantasygenre, in dem klar wird (der Klappentext verrät es schon, ich verrate also nicht zu viel), dass Nathanael nichts anderes ist als ein Nephil, ein gefallener Engel, der auf der Erde einen Äonen währenden Kampf fechtet und dass auch Aurora in sich das Potential birgt, ein Nephil zu werden. Und dass dieses Potential auch die Widersacher Nathanaels auf den Plan ruft. Gefangen zwischen sich bekämpfenden Mächten versucht Sophie, sich und ihr Kind zu beschützen und ist dennoch mitunter nur Spielball – jedoch ein Spielball, dessen Entscheidungen die Waagschale im richtigen Moment entscheidend bewegen kann.

Stilistisch ist Leah Cohns Roman großartig und quälend zugleich. Auf der einen Seite stehen ihre wunderbar blumigen Beschreibungen, insbesondere der Gefühle ihrer Protagonistin, die allerdings manchmal schon pleonastisch sind. Wenn sie, berücksichtigend dass Sophie von und für Musik lebt deren Empfindungen als Musikmetaphern schildert, Gefühle die anschwellen wie ein Orchester in einer Sinfonie ohne dass einzelne Instrumente in den Hintergrund gedrängt werden, erreicht sie ihre Meisterschaft. Auf der anderen Seite steht die Überzeichnung ihrer Charaktere – sei es die bis ins Unglaubwürdige reichende Unsicherheit Sophies bezüglich ihrer eigenen Fähigkeiten (mit 16 an der Musikhochschule von einem Professor persönlich als Schülerin aufgenommen zu werden sollte doch zumindest am Klavier Sicherheit geben), sei es die überirdische und unübersehbare Schönheit Nathanaels oder die unzweideutige Identifizierbarkeit Caspars als Gegenspieler allein schon aufgrund seiner Erscheinung. Hier wäre mehr Subtilität äußerst förderlich gewesen. Doch kann man als Leser allein der aufgebauten Atmosphäre wegen darüber hinweg sehen. Der Roman packt, er schlägt den Leser in seinen Bann und lässt sich nur schwer aus der Hand legen.
Allein im letzten Teil konnte ich mich einer gewissen Enttäuschung nicht erwehren. Der Versuch Caspars, Sophie zu verführen, auf seine Seite zu ziehen ist durchschaubar und eines Antagonisten dieser Klasse schlicht unwürdig. Hierfür liefert die auch für die Nephilim als Vorlage dienende Bibel deutlich bessere Beispiele. Und das Ende selbst, nun ja, das ist wohl eine Frage des Geschmacks. Ich persönlich hätte eine andere Auflösung der Handlung bevorzugt, andererseits bleibt Cohn damit in der Tradition des Genres, das sie für ihren Roman letztlich gewählt, treu.

In meinen Augen ist „Der Kuss des Morgenlichts“ ein interessanter und spannender Roman mit in weiten Passagen packender und schöner Sprache, der aber einige Schwächen nicht verhehlen kann und mich am Ende leider etwas ernüchtert zurückließ. In jedem Fall ist er keine klassische Schnulze, zweifellos eine Liebesgeschichte, aber eine in einem spannenden Gewand. Und allein deswegen schon mehr als nur einen flüchtigen Blick wert.
 
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