AW: Ost-Berlin - Bar "leere Taschen"
Tiny's persönliche Paranoia war sicher bei weitem nicht so stark ausgeprägt, wie die der meisten Runner, aber das Verhalten der Jugendlichen fiel ihm dann doch auf. Der ungewöhnlich hohe Anteil von Erwachten, immerhin waren gerade mal ein lumpiges Prozent oder so magisch aktiv, wie Tiny mal aus einer Doku erfahren hatte, war ein weiteres Detail, das ihm ins Auge sprang.
Tja, das war das Problem mit der alten Schwarzfeder, er hatte zwar einen wirklich guten Riecher für Gelegenheiten, doch leider befanden sich diese allzu häufig inmitten einer gepflegten Bambule.
Ein geschickter Rabe war aber in der Lage dem Pech auszuweichen und es für sich arbeiten zu lassen. Jedenfalls meinte der Alte das immer.
Diesem Gedanken folgte ein weiterer und ein weiterer und ehe Tiny es sich versah war er wieder 14, lebte bei seinem Vater in Seattle, war bei einem Schulausflug nach Siouxnation in Billings abgehauen und sechs Monate mit einem ziemlich komischen alten Typen namens Pretty Eagle herumgezogen.
Das war ein ziemlich verdrehter Kerl gewesen und er soff wie ein Loch, aber er war auch ein Schamane und hatte Tiny's Potential wohl erkannt.
Vielleicht war auch etwas Magie im Spiel gewesen, jedenfalls quatschte Pretty Eagle Tiny mit Totem, Traumnamen und Medizinsuche völlig besoffen und so fing die ganze Magiesache eigentlich an.
An seinem letzten Tag mit dem alten Schamanen, saß er mit ihm in der selbstgebauten Schwitzhütte und warteten auf eine Vision. Das hatten sie schon oft getan, aber noch war Tiny kein Totemgeist erschienen.
Vielleicht war Pretty Eagle ungeduldig geworden, vielleicht hatte er sich auch nur verzählt, aber diesesmal goß er mehr Wasser auf als sonst und Hitze und Sauerstoffmangel taten ihren Dienst.
Rabe: " Hallo Kleiner. "
Tiny: " Scheiße, ich sterbe. "
Rabe: " Ja, stimmt schon, aber nur ein bisschen und ich kann dich auch wieder zurückholen. "
Tiny: " Oh, toll und wer bist du ? "
Rabe: " Na ich hab eine Menge Namen, z. B. 'Der dem Jäger folgt' und 'Schwarzes Himmelsauge' oder auch mal 'Totenvogel', aber du kannst mich einfach Rabe nennen. "
Tiny: " Ahhh, jetzt is alles klar. Der Alte hat wieder sein Dope mit dem Duftgras verwechselt und ich schieb nen Film.
Verdammt, dann is er wieder für ne Woche ungenießbar. "
Rabe: " Jupp, das hat er, der alte Adler, doch das war auch gut so, denn ich versuch dich schon eine ganze Weile zu erreichen, weißt du und falls du es noch nicht bemerkt hast, ich bin deine Vision. "
Tiny: " Ui, das ist schön, da wird sich Pretty sicher freuen. Ich glaub ich geh ihm schon auf die Nerven. Sag mal, wie läuft das hier eigentlich ? Ich mein von wegen Vision und so. Werd ich jetzt erleuchtet oder was ? "
Rabe: " Wenn du Licht brauchst, mach dir ein Feuer, Kleiner. Das mit der Erleuchtung ist so eine Sache, aber ich kann dir eine Geschichte erzählen. Wußtest du eigentlich, das du Crowblut in dir hast ? "
Tiny: " Red kein Scheiß, echt, ich bin n Indianer ? "
Rabe: " Bist du, ein wenig dünnblütig vielleicht und dein Vater mag es vergessen haben, aber ja, du bist eindeutig Crow. Willst du vielleicht etwas über dein Volk erfahren, Kleiner ? "
Tiny: " Klar, wieso nicht. "
Rabe: " Also gut, pass auf. Das war so...
Vor langer Zeit war überall Wasser. Großvater Kojote schaute sich um und sagte: " Hey, wir brauchen Land. "
Der Große Geist hatte ihm die Befehlsgewalt über alle Tiere übertragen, die damals den Namen 'Der Stamm der Feuerlosen' trugen. Also rief Kojote vier Enten zu sich, damit sie ihm halfen, Land zu finden. Er gab ihnen den Befehl, ins Wasser hinabzutauchen und dort nach Schlamm zu suchen. Die ersten drei kehrten zurück, ohne das sie etwas gefunden hätten, aber erstens ist vier eine Glückszahl und zweitens läuft es in diesen Geschichten immer so und so kam die vierte Ente zurück und hatte etwas Schlamm vom Grund im Schnabel.
" Astrein ", sagte Großvater Kojote, " dann machen wir jetzt mal ein bisschen Land. " Er erschuf die Berge und Flüsse, die Präien und Wüsten, die Pflanzen und Tiere. Dann sagte er: " Ich denke, jetzt werde ich mal ein paar Leute machen, damit es jemand gibt, der Geschichten über mich erzählt. "
Er nahm den Schlamm und formte daraus einige schöne Menschen. Großvater Kojote gefielen sie sehr. " Ich werde sie Absarokee nennen. Das heißt 'Kinder des großschnäbligen Vogels'. Irgendwann werden ein paar weiße Deppen kommen, die Übersetzung völlig falsch verstehen und sie einfach Crow heißen. "
" Was werden sie essen ? ", fragte eine der Enten.
" Sie haben weder Federn noch Fell. ", meinte eine andere.
" Genau ", sagte eine dritte. " Sie sehen zwar ganz hübsch aus, aber bei schlechtem Wetter nützt ihnen das nichts. "
Großvater Kojote überlegte eine Weile, warum er Enten nicht sonderlich leiden konnte, dann nahm er noch etwas von dem Schlamm und formte daraus ein seltsam aussehendes Tier mit einem dicken Fell und Hörnern. " Alles was sie brauchen, gibt ihnen dieses Tier. Ich nenne es Büffel. "
Die vierte Ente hatte die ganze Zeit zugeschaut, eine Zigarette im Schnabel. " Das ist aber ein großes Tier. Deine Leute werden es nicht fangen können ", sagte sie und blies Kojote eine dicke Wolke blauen Dunst ins Gesicht.
" Okay, hier ist noch ein anderes Tier, auf dem sie reiten können, um den Büffel zu fangen. Das nenne ich, sagen wir mal, Pferd. "
" Und wie sollen sie das fangen ? "
" Hör mal zu, Ente, muss ich mich eigentlich um alles kümmern ? Ich habe die Welt gemacht und diese Menschen, ich habe ihnen alles gegeben, was sie brauchen, also gib jetzt endlich Ruhe. "
" Aber wenn sie alles haben, was sie brauchen, was sollen sie den lieben langen Tag machen ? Einfach nur rumsitzen und sich Geschichten über dich erzählen ? "
" Das wäre eigentlich ganz schön. "
" Stiiiiiiiinkelangweilig ", sagte die Ente.
" Nagut, dann mache ich ihnen noch eine Menge Feinde. Und zwar so viele, das sie hoffnungslos in der Minderheit sind, dauernd kämpfen und alle möglichen Kriegszeremonien veranstalten müssen. "
" Dann werden sie vernichtet. "
" Nein, denn ich stehe ihnen bei. Die Kinder des großschnäbligen Vogels sind meine Lieblingskinder, obwohl auch einige ihrer Feinde Geschichten über mich erzählen werden. "
" Was ist, wenn die Büffeltiere alle getötet werden ? "
" Das wird nicht passieren. Es gibt zu viele davon. "
" Und wenn doch ? "
" Dann sind sie halt angeschissen. Ich bin jetzt müde und dreckig und mir ist von der ewigen Rumsteherei im Wasser ganz kalt. Ich werde jetzt das Schwitzbad erfinden und mich aufwärmen. "
Also baute Großvater Kojote aus Weidenzweigen und Büffelhäute eine Schwitzhütte. Er machte Steine im Feuer heiß und legte sie in die Mitte der Schwitzhütte, dann krochen die Enten hinein und schlossen die Tür, so das es drinnen vollkommen dunkel war.
" Hey, mach die Zigarette aus ! ", sagte Kojote zu der vierten Ente.
Die Ente warf die Zigarette auf die heißen Steine und die Hütte füllte sich mit Rauch. " Das riecht ganz gut ", sagte Großvater Kojote. " Los, wir probieren das noch mit anderem Kram und sehen mal, wie es kommt. " Er warf ein paar Zedernnadeln auf die Steine und auch das roch ganz gut. Dann probierte er es mit Duftgras und etwas Salbei. " Dieser ganze Kram soll auch zur Schwitzzeremonie gehören. Und Wasser. Wir brauchen Wasser, damit es so richtig elend heiß hier drin wird. "
" Damit wir ganz und gar rein und sauber werden ? ", fragte die dritte Ente.
" Genau ", sagte Großvater Kojote. " Erst gieße ich vier Kellen Wasser auf die Steine, für die vier Himmelsrichtungen. "
" Und die vier Enten. "
" Ähm, richtig und jetzt sieben Kellen für die sieben Sterne des Großen Wagens und dann noch zehn, denn zehn ist eine schöne runde Zahl. "
Er reichte jeder der Enten einen Weidenzweig, damit sie sich damit auf den Rücken schlugen. " Hier, damit könnt ihr es euch so richtig geben. "
" Wozu soll das gut sein ? "
" Das macht zart... ähhm... Ich wollte sagen... es treibt den Schweiß heraus und macht noch reiner. "
Und als sich die Enten mit den Weidenzweigen auf die Rücken schlugen, sagte Kojote: " Okay, ich werde jetzt mal ordentlich Wasser auf die Steine gießen. Ich zähle nicht mal mit, wie viele Kellen es sind, aber es wird uns mächtig heiß werden und hinterher sind wir völlig rein und sauber. " Dann goß er und goß, bis es in der Hütte so heiß wurde, das es ihm zuviel war und er schlüpfte im Dampf zur Tür hinaus, ohne das die Enten, die drinnen zurückblieben, es bemerkten.
Später, nachdem er zur Abkühlung in den Fluß gesprungen war, verspeiste er ein opulentes Dreigängemenü und ruhte sich ein wenig aus. " Spitzenmäßig astrein ", sagte er zu sich, " ich denke, ich werde meinem neuen Volk das Schwitzbad zum Geschenk machen. Es soll ihre Kirche und Weihestätte sein und sie können an mich denken, wann immer sie hineingehen. Was mit den Enten passiert ist, braucht ja niemand zu erfahren. " Dann rupfte er sich einen Weidenzweig ab und pulte sich etwas Entenfleisch zwischen den Zähnen heraus.
Rabe: " Tja, so war das damals, zumindest wird es so von deinem Volk erzählt. Mehr oder weniger. "
Tiny: " Schöne Geschichte, aber woher willst du das denn wissen ? "
Rabe: " Na weil ich alles mit angesehen habe. Hab mir gleich gedacht, das da was im Busch ist, als der alte Heuler mit dem Großen Geist so rumgetuschelt hat und das da bestimmt was zu holen ist. Siehe da, Kojote erschafft still und heimlich die Welt. Hätte er wohl gern für sich allein behalten, aber seit damals habe ich ihn und seine Leute nicht mehr aus den Augen gelassen.
Ach ja und eine Ente habe ich ihm geklaut. Das mit dem Salbei war eine gute Idee. "
Tiny: " Ahh ja. Nagut, bin ich jetzt ein Schamane ? "
Rabe: " Ja, bist du. Zwar auch ein kleiner Klugscheißer, aber wenigstens ein netter. "
Tiny: " Krieg ich jetzt auch nen neuen Namen, so wie Prtetty Eagle ? "
Rabe: " Jupp, kriegst du. Aber versprich mir, das du dich nicht aufregst, ja ? "
Tiny: " Wieso, was ist denn los ? "
Rabe: " Naja, du weißt ja, ich habe viele Namen und einer davon paßt zu dir, nur ist es kein sonderlich beliebter. "
Tiny: " Nun spann mich nich auf die Folter. Was meinst du denn ? "
Rabe: " Du heißt 'Black Cloud Follows', dem die schwarze Wolke folgt und ich fürchte, du bist ein kleiner Unglücksrabe. "
Tiny: " Ach du Kacke. Na das kann ja was werden. "
Die Wirklichkeit holt Tiny wieder ein und er wird etwas melancholisch. Jaaa, so war das damals gewesen. Pretty Eagle war während der Vision gestorben. Tiny hätte wohl sowieso nicht bei ihm in die Lehre gehen können, da sich Adler wohl kaum mit einer ollen Krähe abgegeben hätte. Wahrscheinlich hatte er gehofft, das aus dem hässlichen Entlein doch ein Schwan würde, aber die Hitze der Schwitzhütte gepaart mit dem Doperauch hatten seinem alten Herzen den Rest gegeben.
Tiny war danach erst so richtig aufgefallen, das er ein illegaler Einwanderer aus den UCAS, ohne Mittel und jetzt auch ohne Pretty Eagle, der sich um alles Notwendige gekümmert hatte, oder Tiny zumindest einen Tip geben konnte, falls er mal wieder zu betrunken war.
Tiny war nicht auf der Straße weitergezogen, sondern hatte lieber seinen Vater angerufen und sich Geld für den Bus schicken lassen.
Meine Fresse, was hatte es da für einen Ärger gegeben.
Appropos Ärger, Tiny war gleich wieder bei den Halbstarken und fragte mit gedämpfter Stimme in die Runde am Tisch.
" Sagt mal, kommt euch das auch so vor, als ob die Bengel planen ? Die haben irgendwie so verkniffene Gesichter, als ob sie sich nich traun uns nach nem Autogramm zu fragen, oder Verstopfung haben. Merkt ihr was ? "