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Sci-Fi / Fantasy Athanor - Geschichten des Nordens

sonic_hedgehog

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Athanor ist ein neues, noch für dieses Jahr geplantes Fantasy-Rollenspiel, das von den drei Autoren Bernd Witthöft, Jean-Marc Köp und Richard Jones im selbst gegründeten Verlag vertrieben werden wird. Mit Athanor – Geschichten des Nordens ist nun eine Sammlung von Kurzgeschichten erschienen, die sich zwei Ziele gesetzt hat: Zum einen will sie Spielern den Einstieg in die Hintergründe der Welt Athanors vereinfachen, zum anderen soll sie aber auch Nicht-Rollenspieler unterhalten. Somit ist auch klar, dass die Rezension sich mit beiden Aspekten beschäftigen muss, was es erforderlich macht, hier auch kurz auf das geplante Rollenspiel einzugehen.

Athanor soll eine Fantasywelt werden, die ihre phantastischen und normalen Elemente zu einem in sich geschlossenen, logischen und realistischen Konstrukt verbindet. Die Autoren bedienen sich verschiedener Kulturen und Epochen der realen Geschichte und verbinden diese mit typischen Elementen des Genres. Dabei wollen sie Romantisierung vermeiden und für jede Handlung in der Spielwelt eine schlüssige, mit Ethik und Moral des Handelnden vereinbare Erklärung liefern. Auch sollen Schwarz-Weiß-Zeichnungen vermieden werden und jede durch Spieler gewünschte Spielweise innerhalb der Welt möglich sein. Soweit zumindest die Ziele, die sich auch innerhalb eines Romans wiederspiegeln sollten.

Die Kurzgeschichten dieser ersten Sammlung stammen aus den nördlichen Regionen Athanors. Zusammengetragen vom gnomischen „Abenteurer“ Gemmar Glimmerstein findet der Leser auf gut 200 Seiten 21 Geschichten, im Falle der normalen Ausgabe gebunden in Kunstleder und mit einem silbernen Aufdruck des Athanor Logos (des namensgebenden Schmelzofens) verziert. Ein edles und schön aufgemachtes Buch, auch die Wahl der Schrift und der Satz sind gelungen. Nicht jedem dürften hingegen die Zeichnungen im Buch gefallen, die eher an naive Kunst erinnern.

Die Geschichten überspannen ein weites Feld – vom (mal anders gedachten) Kriegsgericht in den Nachwehen unmenschlicher Geschehnisse auf dem Schlachtfeld über von Fanatikern verübte Gräuel, elfische Philosophie, orkischen Stammesriten und Expeditionen in unerforschte Wälder bis hin zu Kämpfen zwischen Vampiren und einer Art Werwölfe. Mittendrin aber auch die ‚kleinen‘ Erlebnisse eines Bauern, der zum ersten Mal seinen Hof verlässt oder eines von aller Welt verstoßenen Wechselbalgs. Eine ausführlichere Übersicht bietet hier die Homepage der Autoren. Und man sollte man sich vom Format der Kurzgeschichte nicht täuschen lassen – einige der Geschichten bauen direkt aufeinander auf, doch nicht immer werden sie vom Chronisten in der korrekten Reihenfolge wiedergegeben. So begegnet der Priester Brannagh, der die Expedition Lukas Neufunds der zweiten Geschichte begleitet, dem Leser erneut in der Mitte des Buches – und es wird offenbart, wie dieser überhaupt in die Expedition geraten konnte. Insgesamt ein sehr vielseitiges Bild, das der Autor hier entwirft.

Von der Warte des Rollenspielers aus betrachtet erreichen die Autoren folglich auch ihr Ziel: Die Welt von Athanor ist bunt, wenn auch im Setting nicht unbedingt innovativ. Orks, Gnome, Kobolde, Nordmänner, Ritterreiche, Vampire, Oger – Athanor bedient sich des bekannten Repertoires und durchbricht innerhalb der Geschichten auch keines der bekannten Klischees. Fantasyfreunde finden sich sofort zurecht und Rollenspieler können sich bei der Lektüre sehr gut vorstellen, als Angehöriger des Ordens der Heiligen Flamme durch die Lande Ricardiens auf der Suche nach Hexen und Ketzern zu ziehen, aber ebenso auf Seiten der Varekai trotz aller Gefahr durch Ricardien zu reisen. Gegensätzliche Konzepte, die beide funktionieren. Diese unvoreingenommene Betrachtung der Welt, in der kulturelle Prägungen darüber entscheiden in welchem Licht Taten erscheinen, ist einerseits reizvoll und wohl auch realistisch, überschreitet aber andererseits auch Grenzen. Die vampirische Ernährung von den Seelen anderer Wesen beispielsweise hat natürlich kulturelle Konsequenzen und erfordert eine eigene Ethik, diese aber mit anderen Moralvorstellungen gleichzusetzen ist ein sehr relativistischer Ansatz. Aber das ist reine Philosophie und eher in Bezug auf die Vermittlung im Rollenspiel interessant, nicht aber für das Buch. Schließlich gibt es mehr als genug Beispiele von Monstern als Protagonisten. Summa summarum: Ein rundes Bild der Welt von Athanor.

Etwas anders stellt sich das ganze leider von der Warte des reinen Lesers dar. Bücher zu Rollenspielen stehen allgemein in dem Ruch, dass sich unter viel Papier nur wenige Perlen verstecken. Auch hier trifft das leider zu. Viele (leider nicht alle) Geschichten sind zwar abwechslungsreich und interessant, insgesamt erinnern sie aber an längere Versionen der Kurzgeschichten, die in vielen Regelwerken zwischen die einzelnen Kapitel geschoben werden. Sprachlich erlaubt sich der Autor keine groben Schnitzer, besticht aber auch nicht durch besondere Brillanz. Damit ist Athanor – Geschichten des Nordens für den nicht mit dem Rollenspiel vertrauten Leser in etwa so interessant wie auch Romane anderer Genres z.B. die Shadowrun- oder Warhammerromane.

Das ist auch mein persönliches Fazit aus der Lektüre der 21 Kurzgeschichten:
Wer mit dem Athanor Rollenspiel liebäugelt wird nicht an den Geschichten des Nordens vorbeikommen. Die Sammlung ermöglicht einen ersten Blick darauf, wie die Autoren sich ihre Welt vorstellen und darauf, welche Rolle die Spieler in dieser Welt spielen können – oder besser gesagt welche Rollen. Dieser Blick ist aufschlussreich und lässt den Leser auf die Umsetzung der vorgestellten Ideen und Kulturen im Regelwerk gespannt sein. Im besten Fall ergibt sich ein sehr vielseitiges deutsches Rollenspiel.
Liebhaber von Fantasyromanen hingegen, die keinerlei Ambitionen auf Rollenspiel haben, dürften von der Lektüre etwas enttäuscht sein. Es sollte an dieser Stelle nicht der Eindruck entstehen, dass die Geschichten durchweg schlecht und langweilig wären. Im Gegenteil! Einige enthalten viele wirklich interessante Ideen, nur kann die Verpackung nicht immer Schritt halten. Ein gutes Beispiel ist die kleine Geschichte des zwergischen Schuldeneintreibers, der sich Menschengenerationen nach der Gewährung des Darlehens mit Nachkommen des Schuldners auseinandersetzen muss. Diese können sich kaum noch der Tatsache einer Schuld entsinnen und sind noch weniger in der Lage, die geforderte Summe aufzubringen. Sie liefert ein stimmiges Bild der abhängigen Bauern und der langlebigen Zwerge und der Lösungsvorschlag des Zwergs führt zu einem durchaus überraschenden Ende. Leider vergibt sie viel Potential dadurch, dass die beteiligten Figuren blass bleiben und die Einleitung der in ihr enthaltenen kurzen Actionszene ein gutes Beispiel für nicht ganz gelungenen Satzbau ist:
Plötzlich stürzte die Frau mit einem langen Messer durch die Tür und warf sich, das Messer nach dem Gesicht des Zwergs stoßend, auf ihn.
Insgesamt würde ich das Buch als Appetizer betrachten. In meinen Augen verhindern die handwerklichen Mängel, dass es auch abseits vom Rollenspiel wirklich fesselt. Dafür fehlt auch ein durchgängiger roter Faden. Die dahinterstehende Idee jedoch hat einiges Potential und sofern sie im Rollenspiel gut umgesetzt wird, bin ich gespannt auf die Zukunft… Und als Hintergrundvorstellung des Rollenspiels funktionieren die Geschichten durchaus.
 
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