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Sci-Fi / Fantasy Die Elbenhandtasche

sonic_hedgehog

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Die Elbenhandtasche von Kelly Link

Mit Kelly Links "Die Elbenhandtasche" (Original: Magic for Beginners) liegt vor mir eine hochgelobte Sammlung von 9 Kurzgeschichten, die insgesamt 2 Nebula Awards und einen Hugo Award gewannen. Hochgelobt auch auf dem Umschlag, wo unter anderem Jonathan Lethem anmerkt, Kelly Link sei die beste Kurzgeschichten-Autorin der Welt.
Nun, letzteres ist sicher maßlos übertrieben, eine gute Kurzgeschichten-Autorin ist sie jedoch ohne Zweifel und die prämierten Geschichten haben die Preise sicherlich verdient. Zur Weltspitze jedoch, auch das möchte ich hier festhalten, ist noch etwas Luft.
Besonders bemerkenswert sind meiner Meinung nach die namensgebenden Geschichten "Die Elfenhandtasche" und "Magie für Anfänger", sowie „Steintiere“ und „Eingelullt“. Alle anderen Geschichten sind nicht mehr ganz so gut, aber immer noch lesenswert – nur die kürzeste Geschichte „Die Kanone“ ist deutlich schwächer.

Für mich stellte sich hier jedoch das Problem, wie man Kurzgeschichten rezensiert. Jede Geschichte kurz zusammenzufassen, wie man es bei einem Roman täte, führte zu weit. Daher werde ich mich auf Beispiele beschränken.

Schwer fällt auch die Einordnung der Geschichten in literarische Genres- Link schreibt in jedem Fall keine klassische Fantasy-Geschichten, die ja in der Regel das Motiv des Helden aufgreifen, der mit mystischen Gefahren konfrontiert wird und fremde Welten bereist. Ganz im Gegenteil: Links Protagonisten sind keine Helden und die Welten sind keine fremden, vielmehr ins Absurde verzerrte Abbilder unserer Welt. Absurd sind meist auch die Ereignisse und nicht immer fällt es leicht, diese auf Anhieb nachzuvollziehen. Dies liegt am Stil der Autorin, die die Erzählstränge so verwebt, dass es im ersten Moment wie ein Fehler wirkt.

So wird in der Geschichte „Magie für Anfänger“ erzählt, dass in einer Folge einer Fernsehserie namens „Die Bücherei“ Jeremy Mars auf dem Dach seines Hauses sitzt. Im Lauf der Erzählung jedoch zeigt sich, dass Jeremy und seine Freunde eigentlich Zuschauer eben jener Fernsehserie sind. Die Verwirrung löst sich erst auf, als in der Geschichte die Grenzen zwischen Realität und Fernsehserie verschwimmen und für die Protagonisten unklar wird, ob die Serie wirklich fiktional ist. Die Verwicklung Jeremys in die Handlung der Fernsehserie bleibt jedoch bis zum Ende der Geschichte rätselhaft.
Dieses Verwirrspiel findet auf die ein oder andere Weise in jeder der Geschichten statt und weiß zu fesseln. Meist beginnen die Geschichten harmlos und in einer Welt, die die unsrige sein könnte – erst im Lauf der Geschichte wird dann die Realität bis ins Unkenntliche verzerrt.

So auch in der Erzählung „Die Elbenhandtasche“. Sie erzählt die Geschichte eines 16-jährigen Mädchens, dessen Großmutter behauptet, aus einem Land zu kommen, das auf keiner Landkarte zu finden ist und die eine Handtasche besitzt, in die ein ganzes Dorf geflüchtet ist. Obwohl die Ich-Erzählerin die Geschichten ihrer Großmutter ganz offensichtlich glaubt, verbleibt beim Leser das Gefühl, dass hier eine alte Dame ihrer Enkelin Märchen auftischt. Dieser Eindruck bleibt lange Zeit erhalten und es stellt sich die Frage, warum die Erzählerin uns diese Geschichte eigentlich erzählt. Gegen Ende de Geschichte jedoch verdichten sich die Hinweise, dass doch all das Erzählte wahr sein könnte, was die Geschichte in einem vollkommen anderen Licht erscheinen ließe.

Ein ebenfalls oft gebrauchtes Stilmittel ist das der Geschichte in der Geschichte, am eindrucksvollsten umgesetzt in „Eingelullt“. Der Erzähler schildert uns darin eine Gruppe befreundeter Paare, deren Männer sich zu einem Pokerabend treffen. Nachdem uns die Teilnehmer der Runde und ihre Beziehung zueinander näher gebracht worden ist, beschließen diese, sich eine Geschichte erzählen zu lassen. Diese Geschichte, „Der Teufel und die Cheerleaderin“ greift ein schon auf Ebene 1 gebrauchtes Motiv wieder auf, das des umgekehrten Ablaufs und schildert eine Welt, in der die Zeit rückwärts läuft, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. In dieser Geschichte wiederum erzählt, um die Komplexität noch eine Stufe anzuheben, die Cheerleaderin dem Teufel die Geschichte des zukünftigen Schicksals eines der Pokerspieler und sprengt damit erneut die Grenzen unserer Realität.

Wem empfiehlt man nun dieses Buch, denn eine Empfehlung hat es verdient.
All jenen, die sich hauptsächlich für klassische Fantasy begeistern und von Elfen, Zwergen, etc. lesen möchten, sei zur Vorsicht geraten. Man sollte für dieses Buch den Willen mitbringen, kompliziertere Erzählkonstrukte zu durchdenken und sich mit der nur vordergründig leichten Sprache auseinanderzusetzen. Denn an einigen Stellen ist es kein Buch, das man zur Entspannung am Strand liest, sondern eines, das Konzentration erfordert. Dann jedoch ziehen die Geschichten in ihren Bann und belohnen den Leser mit Spannung und interessanten Sichtweisen. Wie absurd der Ansatz der Geschichte auch sein mag, der Autorin gelingt, es, diese Absurdität bis zum Ende zu durchdenken und auch die Sprache des Erzählers der Persönlichkeit anzupassen, die dieser verkörpert. So unterschiedet sich die Sprache des Ich-Erzählers in „Die Elbenhandtasche“, eines 16-jährigen Mädchens, deutlich von der der ‚erwachsenen’ auktorialen Erzähler anderer Geschichten. Erfreut man sich an all diesen Eigenschaften, so wird man die Geschichten verschlingen um endlich zu erfahren, wie sie enden – und um dann jedes Mal aufs neue festzustellen, dass keine der Geschichten alle Handlungsfäden zu Ende führt sondern immer an einigen Stellen offene Enden verbleiben. Dies jedoch ist nie unbefriedigend, sondern rundet die Geschichten auf gewisse Weise ab.
Allen, die jetzt sagen, dass sich das gesagt gut anhört, empfehle ich das Buch wärmstens.

:super :super :super :super :super von 6.

Zur Autorin:
Kelly Link, geboren 1969 machte ihren Bachelor of Arts an der Columbia University und ihren Master of Fine Arts an der University of North Carolina in Greensboro und hat laut ihrer Homepage an verschiedenen Universitäten Kurse zum Thema Schreiben gehalten, aber auch besucht. Ihre erste Sammlung von Erzählungen “Stranger Things Happen” war für verschiedene Preise nominiert und einzelne Geschichten gewannen den Nebula, den James Tiptree Jr und den World Fantasy Award. Für des Englischen mächtige Leser ist die Sammlung auf der Homepage der Autorin als Download unter Creative-Commons-Lizenz verfügbar. „Magic for Beginners“ ist ihre 2. Geschichtensammlung.
Sie lebt mit ihrem Ehemann Gavin Grant in Northampton, Massachusetts und sie managen mit „Small Beer Press“ ihren eigenen Verlag.

Zur Übersetzerin:
Übersetzt wurde das Buch von Ute Brammertz, die dem ein oder anderen vielleicht von ihren Übersetzungen der Anne Bishop Bücher oder durch ihr eigenes Buch: „God save the Queen - Gott speichert die Königin“ bekannt ist, in dem sie sich mit Übersetzungen aus dem Internet beschäftigt. Ohne Kenntnis des Originals zu besitzen gibt mir die Übersetzung das Gefühl gelungen zu sein, nur an einer Stelle war ich mir nach mehrmaligem Lesen sicher, dass ihr ein Fehler unterlaufen ist.

Diese Rezension entstand unter der Zusammenarbeit von rpg-foren.com und dsa-fantasy.de, herzlichen Dank auch an den Heyne Verlag!
 
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