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Luzifer

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Was wäre, wenn es nicht nur diese Welt gäbe, sondern eine Vielzahl von Welten, von Ebenen der Realitäten und einer unendlichen Anzahl an Ausgaben der uns bekannten Erde und ihrer Geschichte, ihrer Bewohner und ihrer Schicksale? Diese Grundidee nahm sich der Schotte Iain Banks zum Ausgangspunkt seines Romans „Welten“, welche er weiter ausbaute und zu einem vielschichtigen und manchmal auch sehr verwinkelten Werk vervollständigte.


Temudschin Oh ist Profikiller. Aber nicht nur im allgemeinen Sinne und nicht beschränkt auf eine einzelne Erde oder Welt. Er ist einer von vielen Weltenwechslern, welche die Fähigkeit besitzen von einer Welt in eine andere zu springen. Hierbei wechselt allerdings nicht der Körper mit ihm, sondern lediglich der Geist von Oh in einen passenden Körper in der angestrebten Welt. Sexuelle Neigungen, Krankheiten und sonstige Beschwerden werden dabei ebenso übernommen, wie z.B. Zwangsneurosen. Der Weltenwechsler übernimmt dabei sozusagen das Schiff als Kapitän, aber das Schiff behält seine Eigenheiten, und der Kapitän muss damit leben.

Oh arbeitet für den „Konzern“. Der Konzern hat es sich zur Aufgabe gemacht die Weltenwechsler und sämtliche andere talentierte Personen mit besonderen Fähigkeiten in dieser Hinsicht auszubilden und sie für das Gute einzusetzen. Sei das die Verhinderung des Todes eines begabten Künstlers, oder im Zweifelsfalle auch der Tod eines späteren Mörders. Gerade für letztere Aktionen wird Oh gerne zur Rate gezogen, insbesondere von der beinahe allmächtigen Madame d’Ortolan, welche den Rat des Konzerns anführt. Während Madame immer mehr Macht auf sich vereint, sieht sie sich einer respektablen Kontrahentin gegenüber, Mrs. Mulverhill, welche nicht nur um die Freiheit der Welten unter dem kaum spürbaren Joch des Konzerns kämpft, sondern gleichermaßen um die Gunst von Temudschin Oh buhlt, da in ihm noch ungeahnte Kräfte verborgen sind.

Zeitgleich, oder zu einer anderen Zeit, vielleicht in einer anderen Galaxie, arbeit Adrien Cubbish an seiner Karriere als Drogendealer, welche ihm Eintritt in die Gesellschaft der oberen 10.000 gewährt und ihn später zum Finanzmogul in Sachen Hedgefonds aufsteigen lässt. Auch er wird in die Machenschaften des Konzerns involviert, ohne dass er es überhaupt merkt, geschweige denn versteht. Erst als es zu spät ist.

Wieder in einer anderen Welt muss sich Patient 8262 in einer psychiatrischen Abteilung immer wieder die Frage stellen, ob er wirklich selbst ein Weltenwechsler ist, oder ob er sich das alles nur einbildet. Prüfen kann er das nicht, denn er bräuchte hierzu die besondere Droge Septus. Aber probieren will er es eh nicht, denn er will sich schließlich in dieser Abgeschiedenheit verstecken, oder doch nur von seinen Wahnvorstellungen kurieren?


Der Leser von Iain Banks "Welten" muss bereit sein, die Handlung wie in Puzzle zusammen zu setzen. Es bietet eine gewisse Herausforderung. Der Dank ist ein fantastischer Roman mit philosophischen Anstößen und zahlreichen intelligenten Ideen, außerordentlich gut geschrieben.

Der Roman wartet mit vielen unterschiedlichen Erzählebenen auf, mit vielen verschiedenen Protagonisten und kapiteleigenen Sprachstilen. Dies alles muss der Leser allerdings erst einmal verarbeiten, und hiermit sind wir schon zu Beginn an der Krux des Buches angelangt. So innovativ die Geschichte um den Profikiller Oh auch ist, so interessant der zunächst subtile uns später ausufernde Zwist zwischen den beiden großen Frauen in seinem Leben (Mme O und Mrs. M) auch dargestellt ist und so faszinierend die Idee der Unendlichkeit der Welten auch sein mag, überfordert sie den Leser zunächst mit der Wucht an Informationen und insbesondere den schnellen Wechseln zwischen den Charakteren. Hierbei spielen die Handlungsstränge nämlich nicht grundsätzlich zur gleichen Zeit, sondern zu verschiedenen Momenten und das auch noch auf verschiedenen Ebenen der Realität. Zeit, Raum und zusätzlich noch die Individuen werden wahllos miteinander vermischt, voneinander getrennt, von A nach B transportiert und über alles sollte der Leser einen Überblick bewahren. Das klappt leider nicht immer, schon gar nicht auf den ersten paar hundert Seiten. Und auch wenn man vermeintlich glaubt, die Geschichte unter Kontrolle zu haben, verändert sich die Geschichte in eine ungeahnte Richtung, als würde man einen Knäuel Regenwürmer zähmen wollen.

Schon im Prolog nimmt der Autor das Ende des Buches vorweg. Ganz bewusst natürlich, in dem Wissen, dass man mit diesen Informationen noch gar nichts anfangen kann. Die Lösung ergibt sich erst durch die 559 Seiten dazwischen, und selbst dann bleiben manche Erklärungen noch offen.

Wie bereits erwähnt, sind die Kapitel jeweils eigenen Charaktern des Buches zugeordnet. Während z.B. der „Weltenwechsler“, „Patient 8262“, „Adrien“ oder „Der Philosoph“ aus der Ich-Perspektive erzählt sind, werden alle anderen Protagonisten aus der Sicht eines Erzählers dargestellt. Sollte man zu dem Schluss kommen, dass sich hinter allen Ich-Erzählern die gleiche Person, zu verschiedenen Zeiten oder auf verschiedenen Welten verbirgt, liegt man leider falsch, zumindest zum Teil.

Interessant ist allerdings, dass der Autor es schaffte, jedem Erzähler ein eigenes Vokabular zuordnen konnte. Während der Karrieretyp Adrien das Leben, die Frauen, das Geld und Drogen liebt und das auch mal in äußerst derber Art und Weise zum Ausdruck bringt (sehr eingängig sei hier die Beschreibung und die Huldigung der verschiedensten Drogenarten erwähnt), zeigt sich Patient 8262 philosophisch, gebildet und in sich zurück gezogen. Allgemein kann man sagen, dass der Autor auch gerne mal zur Ausschweifung neigt, insbesondere, was sexuelle Beschreibungen angeht.


Möchte man das Buch in eine Kategorie einordnen, wird man sich schwer tun. Irgendwie ist es Science-Fiction, andererseits gibt es kaum für dieses Genre typische Anzeigen. Man könnte es in die Krimi/Thriller-Ecke stellen, zumal es um einen Auftragskiller geht, aber dann würde man "Welten" auch nicht gerecht. Schließlich bleibt noch der Philosophie- oder Esoterikbereich, da das Buch angefüllt ist mit Theorien und Ausarbeitungen des Autors. Aber so richtig passen will keine dieser Kategorien. Und vielleicht lässt sich der Autor auch nicht gerne in eine einzelne Schublade zwängen.


Der Roman „Welten“ fasziniert. Man vergeht in den zahlreichen Sprach-, Spannungs- und Handlungsebenen des Buches und fragt sich mehrfach, wie der Autor sich diese ersinnen konnte. Und während er ein diffuses Konstrukt von verschiedenen Realitäten und Welten erstellt, ist die größte Leistung von Iain Banks auf die banalen Probleme hinzuweisen, die aktuell auch hier bei uns herrschen: Terrorismus, Macht- und Geldgier und Egoismus. Immer wieder kommt er auf diese zentralen Themen zurück, und wie sie auf den verschiedensten Versionen der Erde in Richtung Untergang führen. Damit behält sich der Autor einen Denkanstoß, wie er aktueller nicht sein könnte, obwohl der Roman selbst verworrener nicht sein könnte.

„Welten“ liest man am besten mit Ruhe und bedacht, ein Wörterbuch in Griffweite (Solipsismus kann man vorher schon mal nachschlagen) und optimaler Weise am Stück. So schafft man es die Welt, welche Iain Banks dem Leser eröffnet, am ehesten zu begreifen. Und auch, wenn nicht alle Hintergründe aufgelöst werden, wird man „Welten“ sehr wahrscheinlich als beeindruckenden, vielschichtigen und innovativen Roman in Erinnerung behalten. Aber man muss sich darauf einlassen.



Über den Autor
Iain Banks, geboren 1954 in Dunfermline, Schottland, schrieb 1984 in London seinen ersten Roman „Die Wespenfabrik“, der in 20 Sprachen übersetzt wurde und ihn auf einen Schlag weltberühmt machte. Seither folgten mehr als ein Dutzend erfolgreicher Romane, von denen „Verschworen“ wochenlang auf Platz Nr. 1 der britischen Bestsellerliste stand. Unter dem Namen Iain M. Banks schreibt er auch Science-Fiction-Romane. Er lebt in der Nähe von Edinburgh.


Vielen Dank an den Heyne Verlag, welcher diese Rezension ermöglichte.
 
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