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sonic_hedgehog

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Hal Duncans Vellum ist eine Herausforderung, eine Herausforderung für den Leser, aber auch für mich als Rezensenten. Eine kurze Zusammenfassung des Inhalts zu geben fällt mir schwer, zumindest eine, die die Handlung vollständig erfasst. Oberflächlich betrachtet handelt das Buch von einem Krieg, einem Krieg unter den Unkin, den Überwesen die als Götter, Engel und Dämonen die Geschicke der Menschen beeinflussen. Einem Krieg in dem beide Seiten vor allem eines nicht mehr zulassen werden, nämlich solche, die sich nicht für eine der beiden Seiten entscheiden wollen. Und es handelt von eben solchen Kriegsflüchtlingen und der Jagd auf sie. Außerdem behandelt es die Suche Reynard Carters nach dem Vellum, dem Buch, in dem Gottes gesamter Plan für alle Welten festgeschrieben sein soll sowie davon, wie er es findet und sich auf eine Reise durch die Welten begibt.

Für alle Welten – diese drei Worte sind es, die „Vellum“ so komplex machen. Hal Duncan vermengt in seinem Buch nicht nur verschiedene Parallelwelten, sondern auch noch verschiedene Zeiten, von der Zeit der Sumerer bis in eine Zukunft. Dazu kommt noch die nicht unerhebliche Zahl an Protagonisten, die noch dazu, da sie Unkin sind, in jeder dieser Ebenen unter verschiedenen Namen agieren. Entgegen der sonst in Fantasy-Romanen mit verschiedenen Handlungsebenen üblichen Vorgehensweise trennt Duncan die Handlungsstränge jedoch nicht in verschiene Kapitel, er vermengt sie sogar innerhalb einzelner Absätze, nur unterschieden durch verschiedene Schriftarten.

All das macht Vellum zu einem anstrengendem Buch, aber zu einem das den Leser auch belohnt. Allerdings ist es mitunter schwer dem Erzählfluss zu folgen, was neben der besonderen Struktur auch daran liegt, dass Duncan sehr geschickt verschiedenste Mythen in seine Geschichte einwebt. In jeder dieser Mythen finden sich ähnliche Handlungsschemata, in denen die Unkin in den verschiedenen Parallelwelten ihr Schicksal erleben. Als Beispiele mögen Thomas Messenger und seine Schwester Phreedom dienen: Thomas, ein Unkin, der früher (oder in Parallelwelten) als der Gott Tammuz oder Dumuzi bekannt war und dessen Leben in allen Handlungssträngen geopfert wird, Phreedom, die alte Göttin Inanna, die in die Unterwelt reist um das Leben ihres Bruders zu retten. All diese Handlungen laufen parallel, vermengt und ergeben ein kaleidoskopartiges Bild, ein Bild das auf den ersten Blick chaotisch wirkt, bei längerer Betrachtung jedoch seine Faszination enthüllt.

Sich auf Vellum einzulassen erfordert also Geduld und angesichts seiner Vielschichtigkeit würde es überraschen, wenn man das Buch und die darin verarbeiteten Wortspiele beim ersten Lesen vollständig erfassen könnte. Das Buch will und muss mehrfach gelesen werden und selbst dann werden demjenigen, der z.B. die Legenden der Sumerer nicht kennt, einige Geheimnisse vorenthalten. Aber auch ohne diese Kenntnisse entsteht ein dichtes Bild, ein Bild vielfacher, sich über Jahrtausende erstreckender Zusammenhänge und Schicksale, die nun auf ihre Erfüllung zulaufen.

Die naheliegende Frage ist, ob der Autor die Geschichte nicht einfacher hätte erzählen können. Oder anders gefragt: Ist die Komplexität des Buches nur Selbstzweck und dient dazu dem Leser zu zeigen, wie toll der Autor ist oder unterstützt sie die Geschichte (und wäre damit eine Kunstform)?
Wie schon gesagt erzeugt der Autor durch die gewählte Verschachtelung ein Bild wie durch ein Kaleidoskop betrachtet. Diese Betrachtungsweise spiegelt ein zentrales Element der Handlungen wieder, nämlich dass im Umfeld der Unkin Zeit und Raum nur untergeordnete Rollen spielen und nur eine Betrachtung des Gesamten Sinn ergibt. Ein Verzicht auf die komplexe Erzählstruktur hätte das Buch geschwächt, auch wenn sie vermutlich einige Leser kosten wird.

Leider enthüllt Vellum nicht die gesamte Geschichte, einfach deswegen weil das Buch nur der erste Teil des „Book Of All Hours“ ist. Teil 2, im Original mit „Ink“ betitelt, erschien 2007 – eine deutsche Version ist noch nicht angekündigt. Übersetzt wurde Vellum von Hannes Riffel und man merkt dem Buch an, dass er sich damit viel Mühe gemacht hat. Neben Gesprächen mit dem Autor, dem er dafür im Anhang dankt, hat er, wie auch der Autor selbst, auf Übersetzungen der Originalmythen zurückgegriffen. Dies dem Leser zu empfehlen, dürfte etwas viel sein, jedoch lohnt es sich, wenigstens kurz in einem Lexikon nachzulesen, welche Rolle die vorkommenden Personen gespielt haben. Insgesamt scheint mir (ohne Kenntnis des Originals) die Übersetzung sehr gelungen.

Hal Duncan selbst wurde 1971 im schottischen Ayrshire geboren und lebt heute im West End von Glasgow. Er gehört dem »Glasgow Writer's Circle« an und sein Erstling Vellum wurde für den World Fantasy Award and Locus Award nominiert. Neben seiner Tätigkeit als Autor arbeitet er als Programmierer.

Vellum liebt man oder man hasst es – davon unabhängig ist es aber großartige Literatur, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Hal Duncan, diesen Namen sollte man sich merken! Eine Punktwertung jedoch würde diesem Extrem nicht gerecht!

DieseRezension entstand in Zusammenarbeit der rpg-foren.com mit dsa-fantasy.de - herzlichen Dank auch dem Heyne-Verlag (dort auch eine Leseprobe).
 
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