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Sci-Fi / Fantasy Weit im Norden

sonic_hedgehog

Geweiht
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Wie schon in anderen Rezensionen erwähnt wurde, folgt auch der Buchmarkt Modeerscheinungen. In Science Fiction scheint dabei in letzter Zeit das Genre der postapokalyptischen Geschichten eine kleine Renaissance zu erleben. Wo der Weltuntergang in früheren Jahrzehnten meist durch einen Atomkrieg ausgelöst wurde, ist heute der Grund oft im Klimawandel zu suchen. Die aktuelle Weltlage wird also auch hier durch die Literatur verarbeitet.

Wie das Ende der Zivilisation in Marcel Theroux Roman „Weit im Norden“ genau vor sich ging, lässt sich nicht genau sagen, aber anhand verschiedener Geschichtssplitter grob rekonstruieren: Ausgelöst durch die Klimaerwärmung muss es weltweit zu Hungerkatastrophen und letztlich zu gewaltsamen Fluchtbewegungen gekommen sein, die die Gesellschaften erst überforderten und schließlich zum Zusammenbruch brachten. Doch daran erinnert sich Makepeace, Theroux' Protagonistin, nur vage. Aufgewachsen in einer von christlichen Fundamentalisten gegründeten Siedlerstadt in Sibirien, erlebte Sie den Untergang in ihrer Pubertät und muss sich seit Jahren allein durchschlagen. Im kurzen Sommer versucht Sie sich durch das bestellen kleiner Felder Vorräte anzulegen, anderes erhandelt sie sich von Tungusen-Stämmen, die als Jäger noch weiter nördlich ihr Leben fristen. Bis zu dem schicksalhaften Tag, an dem Sie auch Ping trifft, die einer der gelegentlich durchreisenden Sklavenjägerkolonnen entkommen zu sein scheint. Aus diesem Zusammentreffen erwächst letztlich der Drang zu versuchen, einen erhofften Rest der zivilisierten Welt zu suchen und dort ein normaleres Leben zu führen. Doch diese Reise erweist sich als Odyssee.

Weit im Norden ist kein Roman, der dazu geeignet ist, den Leser froh zu stimmen. Es gibt wenig Hoffnung in dieser Welt, und die wenige, die existiert, wird nur allzu oft aufs Brutalste enttäuscht. Brutal ist allgemein ein passendes Wort zur Beschreibung des Settings – sei es die Natur, die so weit nördlich aus kurzen Sommern und extremen Wintern besteht, seien es die Überlebenden, die sich, sofern sie nicht versuchen sich alleine durchzuschlagen, in autokratisch geführten kleinen Siedlungen zusammenkauern oder auf dem Rücken von Sklaven versuchen ihren Wohlstand zu erhalten.

Stilistisch erlebt der Leser Licht und Schatten:
Der Autor beschränkt sich streng auf die Perspektive seiner Ich-Erzählerin, der Leser erhält nur ihr spärliches Wissen und das, was sie selbst im Laufe ihrer Reise lernt. Nur gelegentlich fließt in diese Art Autobiographie Wissen ein, das die Erzählerin erst nach der Geschichte erlangen wird. Überhaupt, die Ich-Erzählerin: Sie ist nicht nur das Herz des Romans, sie ist auch seine größte Stärke – eine zerrissene Persönlichkeit, pragmatisch, aber nicht glücklich damit, zerrissen von einer Sehsucht, die sie selbst nicht benennen kann. Eine Heldin, die größer ist als das Buch und die dem Leser zurecht schnell ans Herz wächst. Auswirkung dessen ist, dass der Roman einen sehr guten Spannungsbogen hat – und durch die ein oder andere überraschende Wendung verblüfft. Unterstützt durch eine Struktur, die in ihren kurzen Kapiteln und den klaren Sätzen die Härte der Welt gut transportiert und die von Oliver Plaschka geschickt übersetzt wurde.
Nur ist der Roman trotzdem nicht so groß wie die Heldin, dafür wirkt er an ein paar Stellen zu konstruiert: Gerade in der zweiten Hälfte werden ein paar Klischees des Genres zu viel bedient und es gibt zu viele Erzählstränge, die sich im passenden Moment wiedertreffen. Und auch wenn die genaue Geschichte, wie die Apokalypse vor sich ging nie enthüllt wird, alle Informationen entstammen den lückenhaften Erinnerungen der Protagonisten, kommt man nicht umhin, darin kleinere Logiklöcher zu entdecken.

Dennoch – das Licht überwiegt: Makepeace ist eine Protagonistin, die diese Welt erträgt und die auch ihre Fehler erträgt. Sie trägt das Buch, überdeckt dessen Fehler und dürfte der Grund sein, warum das Buch zurecht 2010 für den Arthur C. Clarke Award nominiert wurde (und somit von China Miéville geschlagen wurde, beileibe keine Schande). Dieser Roman ist definitiv lesenswert!

Marcel Theroux wurde 1968 in Uganda geboren und lebt in London. Vor der Veröffentlichung von Weit im Norden hat er sich als Fernsehmoderator für Dokumentationen intensiver mit Russland und dem Klimawandel beschäftigt.

Ich danke dem Hexne Verlag für die Möglichkeit, das Buch zu rezensieren und verweise Interessierte wie immer gerne auf die Leseprobe, die auf der Verlagsseite zum Download bereit steht. Das Youtube-Werbevideo hingegen sollte man nur teilweise ernst nehmen – meiner Vorstellung von Makepeace entspricht das dort zu sehende Frauengesicht jedenfalls nicht...
 
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