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Sci-Fi / Fantasy Troposphere

sonic_hedgehog

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Wenn dieses Buch dich umbringen könnte – würdest du es dann lesen?


Ein interessanter Satz, der das Cover des Romans "Troposphere" von Scarlett Thomas ziert. Und eine Überlegung, die man sich als Leser durchaus stellen sollte:

Ariel Manto ist eine sehr unkonventionelle Frau. Ständig Pleite lebt sie einer Wohnung, die man wohl besser als Dach über dem Kopf bezeichnet und führt ein Leben ständiger Selbstverletzung - und sei es nur in sexueller Hinsicht. Als Literaturwissenschaftlerin arbeitet sie an ihrer Promotion zum Thema Gedankenexperimente in der Literatur, was dadurch erschwert wird, dass ihr Doktorvater über Nacht verschwunden ist und sie dank des Einsturzes eines Nachbargebäudes ihr Büro mit zwei anderen Wissenschaftlern teilen muss. Die Beschäftigung mit Gedankenexperimenten wird auch der Leser des Buches intensiv erfahren, denn zum Gedankenexperiment gehört ein Hang zum Philosophieren und dieser wird auch von der Autorin ausgelebt. Ariels Hauptinteresse gilt den Werken des selten gelesenen Autors Lumas, dessen bedeutendstes Werk den Ruf trägt, verflucht zu sein. Ein Fluch ähnlich dem der Pharaonen - wer immer "The End of Mr. Y" gelesen hat, soll kurz darauf gestorben sein - einschließlich des Autors selbst. Leider (oder zum Glück) ist das Buch aber im Handel nicht aufzutreiben und es soll nur noch zwei Exemplare davon geben. Umso überraschender ist es, dass Ariel durch eine Verkettung von Zufällen in einem Antiquariat über eine Ausgabe des Buches stolpert. Natürlich kann auch Ariel nicht widerstehen, dieses Buch zu kaufen und zu lesen. "The End of Mr. Y" schildert die Geschichte Mr. Ys, der auf einem Jahrmarkt die Existenz einer Rezeptur erfährt, die es ermöglicht Geistreisen in die Gedanken anderer Menschen zu unternehmen. Mr. Y verwendet viel Zeit und sein Vermögen dafür, den Erfinder der Rezeptur zu finden und ihm diese abzukaufen, um sich letztlich in der Geisteswelt, der sogenannten Troposphäre, zu verlieren.
Da in Ariels Ausgabe des Buches jedoch die Seite fehlt, auf der die Rezepturzusammensetzung genannt wird, setzt sie einiges daran, diese aufzutreiben. Dabei ahnt sie weder, in welche Gefahren sie sich damit begibt noch was die Troposphäre wirklich bedeuten kann. Ein Mangel an Wissen, der sich bald ins Gegenteil verkehren wird.

Troposphere ist eine faszinierende Erzählung und selbst ein Gedankenexperiment - was wäre, wenn es eine Gedankenwelt gäbe, in die man reisen kann und dort die Gedanken anderer Menschen aufsuchen kann. Welche Folgen hätte das nicht nur für den Besucher, sondern für die Welt und auch für deren Fundamente?
Gedankenexperimente können dröge sein - aber davon ist Troposhere weit entfernt. Scarlett Thomas verpackt ihre Überlegungen in eine spannende Geschichte und schildert ihre ebenso faszinierende wie erschreckende Protagonistin so packend, dass das Buch einen Sog ausübt und es äußerst schwer macht, nicht noch ein paar Seiten weiterzublättern. Dabei verwebt sie philosophische, physikalische und vollkommen abstrakte Überlegungen zu einem immer dichter werdenden Bild, ohne aber dem Leser die wichtigen Schlüsse zu Wesen und Bedeutung der Troposphäre vorweg zu nehmen. Ariels zugleich hochintelligente und vollkommen unsinnige Herangehensweise an das Phänomen führt zu einer faszinierend zwingenden Folgerichtigkeit der Ereignisse und auch die weiteren Charaktere, die Ariel auf ihrer Reise kennenlernt, sind äußerst interessant, aber auch amüsant.

Zwei kleine Schwächen nur wird der Leser der Autorin verzeihen müssen - zum einen erzählt sie mitunter etwas ausschweifend, zum anderen greift sie wie erwähnt im Rahmen der Erzählung verschiedenste, auch physikalische Themen auf, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob wirklich immer fundierte Kenntnisse zugrunde liegen oder ob hier auch eine gesunde Portion Halbwissen verarbeitet wurde. Da jedoch Troposphere eindeutig ein Roman und kein Sachbuch ist, sollte dies kaum ins Gewicht fallen.

Insgesamt ist Troposphere ein rundum großartig gelungenes Experiment, ein experimentelles Buch, das zum Nachdenken anregt und den Leser in seinen Bann zieht. Lasst es Euch nicht entgehen, ich freue mich immer noch, in der Buchhandlung darüber gestolpert zu sein!

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Scarlett Thomas ist eine 1972 in London geborene Schriftstellerin. Sie hat einen BA in Kulturwissenschaften und unterrichtete an verschiedenen Colleges. Zurzeit unterrichtet sie an der University of Kent unter anderem Kreatives Schreiben. 2001 wurde sie vom „Independent on Sunday“ zu den 20 besten englischen Nachwuchsautoren gezählt, und 2002 kürte man sie bei den „Elle Style Awards“ zum „Writer of the Year“.
Troposhere ist ihr siebter Roman.

Troposhere erscheint im Rowohlt-Verlag und wurde meiner Meinung nach (bis auf ein zwei Auffälligkeiten) souverän übersetzt von. Eine Frage jedoch hätte ich an dieser Stelle an den Übersetzer Jochen Stremmel: Warum wurde eigentlich im Buch der Begriff „Troposphäre“, auf dem Titel aber das englische „Troposphere“ gewählt, vor allem wo das Buch doch im Original „The End of Mr Y“ hieß?

Eine Leseprobe findet sich auf den Seiten des Verlags.
 
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