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Sci-Fi / Fantasy Metro 2033

Integra

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Metro 2033 ist das Erstlingswerk des russischen Autors Dmitry Glukhovsky, der 1979 in Moskau geboren wurde. Glukhovsky hat in Jerusalem Internationale Beziehungen studiert und arbeitet als Journalist für Russia Today und die Deutsche Welle.

Für den Schauplatz der Handlung seines postapokalyptischen Romans hat er die sagenumwobene Moskauer Metro gewählt.
In der - schon im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzbunker genutzten - tiefsten U-Bahn der Welt, entwirft er eine Zivilisation, die sich etwa zwanzig Jahre nach einem weltweiten Atomkrieg aus den überlebenden Flüchtlingen entwickelt hat. Die in sich geschlossene, kleine Welt hat ihre eigenen bizarren Regeln und noch eigenartigere Bewohner – das macht sie zu einem fremdartigeren Ort als so manche Fantasywelt. Schweine und Pilze stellen die Nahrungsgrundlage dar, etwas Abwechslung kommt durch Ratten und Moos auf die Speisekarte. Manch priveligierter Mensch leistet sich den Luxus von Kartoffeln. An den einzelnen Stationen haben sich die unterschiedlichsten Gesellschaftsformen herausgebildet. Postkommunisten, Faschisten, eine skrupellose Handelsorganisation bilden nur einen kleinen Ausschnitt, der in zahlreiche Fraktionen zersplitterten neuen Zivilisation, die nur die Not und die Gefahren des unterirdischen Labyrinths daran hindern, sich gegenseitig zu vernichten.
Die Oberfläche ist ein tödlicher Ort, den man nicht nur wegen der Strahlung meidet, sondern auch weil dort die verschiedensten mutierten Monster ihr Unwesen treiben – soweit eigentlich ein Szenario, dass stark an das ein oder andere Computerspiel erinnert. Und tatsächlich: 4A Games arbeitet an einem Egoshooter mit Rollenspielelementen, der den Arbeitstitel “Metro 2033: The Last Refuge” trägt.

Die zahlreichen alten und neuen Stationen, Tunnel und Bunker sind von so vielen Mythen umgeben und aktuell immer noch Gegenstand wilder Spekulationen (Stichwort “Metro 2”), dass es nicht schwerfällt, der Fantasie des Autors zu folgen, der im Laufe der Erzählung immer neue Urban Legends einwebt. Zumal Glukhovsky einen recht kraftvollen, eindringlichen Erzählstil pflegt und von Anfang an Spannung aufbaut (die er leider nicht über die beachtlichen 784 Seiten halten kann), indem er seinen Protagonisten erst einmal den Schauergeschichten am Lagerfeuer lauschen läßt. Dieser Kniff bringt auch dem Leser die Welt nahe, ohne dass umständliche Erklärungen notwendig werden.

Der Held seiner Geschichte ist Artjom, der wie der sprichwörtliche “dumme Iwan” zu seinem und durch seine Abenteuer kommt. Weder durch besondere Charakterzüge, noch Talent ausgezeichnet, ist er seltsamerweise immer dort erfolgreich, wo andere scheiterten und überlebt, wo der sichere Tod lauert. Die Handlung selbst ist ausgesprochen einfach und geradlinig, wodurch spätestens in der zweiten Hälfte des Romans, trotz wunderbar düsterer und unheimlicher Stimmung die Spannung merklich nachläßt. Der Autor führt immer wieder neue Charaktere ein, die kurze Zeit später wieder verschwinden, ohne besonderen Eindruck zu hinterlassen. Dabei fällt das völlige Fehlen weiblicher Charaktere auf. Auch sonst machen sich die Frauen in Glukhovskys Roman erstaunlich rar: Zusammen kommen höchstens eine halbe Seite Text, die sich eine Kartoffeln schälende Hausfrau und eine Prostituierte teilen.

Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, dass Glukhovsky – berauscht von seiner großartigen Idee – vor allem seinen Weltentwurf feiert (Das macht er auch wirklich toll. Jeder Pfeiler, jede Marmorplatte, jeder alte Zug wird en detail beschrieben. Leider machen das gute Reiseführer auch.). Selbst der Hauptcharakter Artjom bleibt bis zum Schluss ziemlich blass, die Handlung ist so dünn, dass man als Rollenspieler am liebsten sagen würde: “Meister, können wir das abkürzen?”.

Mein Dank geht an den Heyne-Verlag, der diese Rezension ermöglichte.
 
AW: Metro 2033

Metro 2033 ist ein interessantes Buch und prinzipiell kann ich Integras Schilderung an keiner Stelle widersprechen. Und trotzdem blieb mir am Ende ein besserer Gesamteindruck, ein Gesamteindruck der vermutlich (wie jeder Eindruck) etwas Persönliches ist, weswegen ich in der Folge versuchen werde, mich dem Buch etwas persönlicher zu nähern:

Zugegeben, Artjom ist nun wahrlich kein Protagonist, der sich durch besondere Eigenschaften auszeichnet. Er ist wirklich eher der Prototyp des dummen Bauern, der die dicksten Kartoffeln hat. Jedoch macht ihn das in meinen Augen weder übermäßig unglaubwürdig noch unverständlich – diese glücklichen Zufälle waren leicht zu akzeptieren. Einmal weil sie in aller Regel nicht zu dick aufgetragen sind und auch der spannenden Sprache und der detailverliebten Schilderungen Glukhovskys wegen. Teilweise litt ich mit Artjom, wenn der direkte Weg wieder einmal blockiert ist und es ihn in Gegenden verschlägt, die er nie betreten wollte. Außerdem hebt er sich dadurch in wohltuender Weise von der Vielzahl der Überhelden ab, die Fantasy und SciFi Romane zur Genüge bevölkern.

Überhaupt die Details: Glukhovskys Weltenentwurf ist großartig. Eine Bevölkerung, die sich nach einem Atomkrieg in die fragile Sicherheit der Moskauer U-Bahn geflüchtet hat und die dort um ihr Überleben kämpft, während verschiedene, sich teils spinnefeindliche Ideologien versuchen, eine Zivilisation nach ihrem Gusto zu etablieren. Ein System, für das das Auftauchen einer Bedrohung von außen der Todesstoß sein kann. Der Autor schafft eine lebendige Welt, angefüllt mit einer Vielzahl faszinierender Charaktere und voller Details, die diese plastisch werden lassen. Artjom stolpert durch diese Welt, verliert sich in ihr und verliert, ebenso wie der Autor, etappenweise sogar sein Ziel aus den Augen. Und das ist nun zweifellos eine Geschmacksfrage: Man muss es mögen, wenn ein Autor in der Mitte seines Romans die Handlung aus den Augen verliert und stattdessen seine gesamten Ideen vor dem Leser ausbreitet. Auch ich stehe solchen Tendenzen misstrauisch gegenüber, angesichts Glukhovskys Qualitäten jedoch hatte ich in diesem Fall viel Freude daran. Vielleicht auch, weil auch dieses teils absurde Irren durch die U-Bahn Artjoms Beschränkungen weiter illustriert – oftmals ist es nicht er, der seine Begleiter zu seinem Ziel treibt, eher wird er durch diese getrieben und landet so öfter an deren ziel als an seinem eigenen.
Ein weiterer Kritikpunkt, der nicht nur in Integras Rezension auftaucht, sondern den ich auch in Gesprächen mit Freunden gehört habe, ist, dass Glukhovsky in seinem Roman eine Vielzahl von Personen auftauchen lässt, die, kaum hat man sich an sie gewöhnt, wieder aus der Geschichte verschwinden. Auch dies habe ich, entgegen meines normalen Geschmacks, in diesem Fall nicht übel genommen. Der Grund dafür ist einfach – die postapokalyptische Gesellschaft der U-Bahn Moskaus zerfällt. Soziale Bindungen haben nur innerhalb der einzelnen Gruppen noch Bedeutung, schon der Nachbarstation steht man in der Regel zumindest misstrauisch, wenn nicht feindlich gegenüber. Diese große Tendenz spiegelt sich auch im Kleinen, im Persönlichen wieder, in den Beziehungen Artjoms zu den Menschen, denen er begegnet. Wirkliches Vertrauen kann so nicht entstehen und insofern ist es nur konsequent, dass die meisten Begegnungen nur vorübergehender Natur sind.

Eines sollte aber trotzdem klar werden: Metro 2033 ist sicherlich kein perfektes Buch. Auch wenn ich in vielen seiner Schwächen positives sehen kann, hätte ein strikteres Lektorat, das den Autor an eine etwas kürzere Leine nimmt und ihn zu ein paar Kürzungen zwingt, dem Buch nicht geschadet. 600 Seiten wären auch genug gewesen. Und in der Tat, auch wenn es mir beim Lesen nicht aufgefallen war, Glukhovskys Frauen sind wirklich erstaunlich abwesend. Diese Gesellschaft scheint fast ausschließlich aus Männern zu bestehen, ohne dass es dafür erkennbare Gründe geben würde. Jetzt, wo es mir vor Augen geführt wurde, ist das eine wirklich erstaunliche Schwäche.

In der Summe hatte ich aber trotzdem viel Freude an Metro 2033, das in meinen Augen auch viele Traditionen russischer Literatur aufgreift. Dies wären z.B. die detailreichen Beschreibungen, aber auch ein grundsätzlich pessimistischer Tonfall, der einer in der postapokalyptischen Welt natürlich auch gut zu Gesicht steht. Am Besten sollte man sich bei Interesse mal die Leseprobe des Heyne-Verlags zu Gemüte führen und parallel einen Blick auf den Artikel zur Moskauer U-Bahn auf Wikipedia werfen. Und eines kann ich versprechen – man wird U-Bahntrassen danach mit anderen Augen sehen.
 
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