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Sci-Fi / Fantasy Stadt der Diebe

Arabascan

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Der Hund sah nicht zu uns her. Er wollte unbedingt den Waldrand am anderen Ende des Feldes erreichen, wo er glaubte, Sicherheit oder Unterschlupf oder ein ruhiges Plätzchen zum Sterben zu finden. Blut tröpfelte aus zwei Schusswunden nahe seiner Hüfte, und ein weiterer Schuss musste ihm den Bauch aufgerissen haben, da er etwas Nasses und Verschlungenes unter sich mitschleifte, Gedärme, die eigentlich nie das Tageslicht hätten sehen sollen. Er keuchte, ließ die lange rosa Zunge seitlich aus dem Maul hängen, hatte die schwarzen Lefzen von den gelb gewordenen Zähnen zurückgezogen.
„Die Hunde sind Minen“, sagte Kolja. „Sie bringen ihnen bei, unter einem Panzer nach Futter zu suchen, und dann geben sie ihnen nichts zu fressen, und wenn die Panzer kommen, lassen sie sie los. Peng.“
Es ist Winter in Sankt Petersburg, damals Leningrad, im Jahr 1941. Die Stadt wird von den Deutschen belagert, es herrscht Hunger und Not. Große Teile der Zivilbevölkerung wurden evakuiert, die Stadt selbst ist im Kriegszustand. Die Tauben, Hunde und Katzen verschwinden von den Straßen, um in den Kochtöpfen zu landen, der Leim wird von Büchereinbänden gekratzt und gegessen, da er wertvolles Protein enthält, das in diesem Winter den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen kann, während der Rest zusammen mit allem Holz nicht selten in den Ofen wandert. Protagonist ist der siebzehnjährige Lev Beniov, der Großvater des Autors und Erzählers. Wegen Plünderei wird er verhaftet und von einem Offizier vor die Wahl gestellt. Für die Hochzeit seiner Tochter will er ein Fest geben und was wäre eine Hochzeit ohne Torte? Doch diese benötigt etwas, was man selbst mit Verbindungen und Offiziersrationen in Leningrad kaum noch bekommen kann und so macht er Lev ein Angebot: Schafft es dieser, binnen weniger Tage ein Dutzend Eier aufzutreiben, erhält er die Freiheit und darüber hinaus Lebensmittelkarten für Offiziere, für einen Monat. Wenn er diese, für moderne Zeiten banale aber damals schier unmögliche Aufgabe nicht erfüllt, muss er seine Strafe antreten und die ist, Kriegsrecht sei dank, der Tod…

Der Autor schafft es, in seinem Roman ein unglaublich realistisches Bild einer ausgehungerten Stadt zu zeichnen. Das Buch ist jedoch nicht so düster und deprimierend, wie es dieses Kapitel der Geschichte eigentlich fordert sondern erzählt die Geschichte heiter, philosophisch. Es ist kein Actionroman, wer detaillierte Beschreibungen von Panzerschlachten oder ähnliches sucht, wird in diesem Roman eindeutig zu kurz kommen. Doch wird die Geschichte mit Witz und auch Spannung erzählt. Es wird sehr stark auf die Kriegskultur zu dieser Zeit eingegangen, auf Einzelschicksale und auch auf die russische Kultur, Literatur, Musik und, nicht zuletzt, das Schachspiel. Genauere Erklärungen sind leider kaum möglich, ohne zu viel von der Geschichte zu verraten.

Alles in allem ist es ein wirklich herausragendes Buch, das sich mit keinem Werk vergleichen lässt, dass ich bis jetzt gelesen habe. Vom Erzählstil erinnert es leicht an Metro 2033, gleitet in philosophische oder kulturelle Nebendiskussionen ab, ohne jedoch dessen deprimierende Atmosphäre zu besitzen. Allerdings gibt es durchaus auch plastische Erzählungen von der damaligen Gewalt, die jedoch keineswegs überspitzt wirken sondern der damaligen Situation vollends angepasst sind. Ich kann jedem nur raten, dieses Buch einfach mal auszuprobieren und anzulesen. Es ist eine hervorragende Geschichte mit wunderbaren Charakteren und nicht zuletzt eine Inspiration für apokalyptische und Kriegserzählungen und –rollenspiele, gerade im Kontext zum zweiten Weltkrieg.

Ich wünsche jedem viel Spaß beim Lesen dieses Buches!

Zum Autor: David Benioff, geboren als David Friedmann 1970 in New York City ist ein US-amerikanischer Drehbuchautor und Schriftsteller. Er verfasste unter anderem das Drehbuch für den Film 'Troja', der 2004 in die Kinos kam, für die Fernsehserie 'Game of Thrones' und weitere Werke. 'Stadt der Diebe' ist sein jüngster Roman.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Dieser Empfehlung kann ich nur beipflichten!
Ich habe das Buch letztes Jahr geschenkt bekommen und jede Seite genossen.
Eigentlich ist es eine brutale, grausame Geschichte - im eisigen russischen Winter in einer belagerten, ausgehungerten Stadt leben zu müssen, wäre schon schlimm genug - die Notwendigkeit das Dutzend Eier zu besorgen, koste es was es wolle, macht es nicht besser. Und trotzdem ist das Buch nicht traurig. Spannend, ja, aber auch amüsant. Allein die Absurditäten, die der Protagonist erlebt, während er Eier jagt!
Grandios, und Danke für die Rezension, die mir das wieder ins Gedächtnis ruft!
 
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