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Sci-Fi / Fantasy Biokrieg

sonic_hedgehog

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Zwei Romane, die sich den renommierten Hugo Award teilen. Das gab es vor 2010 noch nicht. Einen der beiden, China Mievilles: Die Stadt und die Stadt konnte ich bereits rezensieren, nun hatte ich die Möglichkeit, einen intensiven Blick auf Paolo Bacigalupis Erstlingsroman: Biokrieg (im Original The Windup Girl – das Aufziehmädchen) zu werfen.

Wir, die Menschheit, haben es versaut. Die Klimaerwärmung hat durch steigende Meeresspiegel einen Gutteil der Küstenregionen unbewohnbar gemacht. Vertreibung und Völkermorde haben Leid und Elend gebracht. Und mit dem Ende des Öls kam auch das Ende leicht verfügbarer Energie und globaler Mobilität. Doch das war noch nicht alles: Im Kampf um Marktanteile für Saatgut wurden auch verschiedene, im Labor entstandene Krankheiten und Pflanzenschädlinge auf die Welt losgelassen und kosteten Millionen direkt und indirekt das Leben, als Ernten ausfielen und die natürliche Vegetation vernichtet wurde. Gleichzeitig hat mit den Cheshire-Katzen ein genetisch verändertes Haustier weltweit nicht nur die Vogelwelt ausgerottet. Auch das menschliche Genom blieb nicht unangetastet – der weit zu geringen Geburtenrate begegnete zumindest Japan durch die Zucht durch Genmanipulation und Konditionierung unterwürfig gemachter sogenannter neuer Menschen, den Aufziehmenschen…

Gegen die Macht der Kalorienkonzerne stemmt sich das Thailand, eine Art Mischung aus Königreich und Militärdiktatur, dessen eigene sogenannte Genfledderer auf Basis einer Gendatenbank alter Nutzpflanzen neue Sorten züchten, die gegen die künstlichen Seuchen resistent sind. Diese Selbstständigkeit wird jedoch mit einer Abschottung vom Rest der Welt und drakonischen Maßnahmen im Fall von Schmuggel und Krankheitsausbrüchen bezahlt. Doch selbst hier ist Korruption allgegenwärtig.

In dieses ebenso düstere wie komplexe Setting wirft der Autor den Leser auf Seiten einer überschaubaren Zahl von Protagonisten, unter denen Anderson Lake, ein Agent Provocateur eines der Kalorienkonzerne, der die Gendatenbank lokalisieren und einen Zugriff darauf ermöglichen soll, Emiko, ein von den Japanern in Thailand zurückgelassenes Aufziehmädchen, das als Zwangsprostituierte arbeiten muss und Hock Seng, chinesischer Flüchtling, der in einem Massaker seine gesamte Familie verlor, wohl die wichtigsten sind. Es gelingt Bacigalupi, diese und die anderen Protagonisten so dreidimensional wirken zu lassen, dass der Leser sogar mit den unsympathischen unter ihnen fiebert. Und auch wenn das Setting an mancher Stelle verwundert (z.B. durch die fast völlige Abwesenheit funktionierender Stromversorgung, obwohl diese auch unabhängig von Öl und Gas möglich sein sollte), ist es doch erschreckend vorstellbar. Bacigalupi entwirft eine Wirtschaft, die durch den Rückgriff auf fast schon vergessene Technologien funktioniert, Technologien wie Spannfedern, die durch menschliche Arbeiter oder Megodonten, eine Art aufgemotzter Elefanten/Mammuts gespannt und über Stunden langsam Energie freigeben und dadurch z.B. Schiffe antreiben. Oder Computer, die durch eine Tretkurbel am Laufen gehalten werden. Und natürlich Genmanipulation…

Die Handlung erinnert an eine klassische Tragödie, sie beginnt düster und es wird nur selten besser. Die Grausamkeit einer (mal anders gedachten) apokalyptischen Welt wird teils so drastisch dargestellt, dass man versucht ist, einzelne Seiten zu überblättern und das Buch den Leser lange Zeit nicht loslassen wird. Dabei ist es bei weitem nicht so, dass das Buch frei von Fehlern wäre: Sicherlich hätte der Autor sich die ein oder andere sprachliche Ausschweifung sparen, die Handlung beschleunigen und die Seitenzahl etwas verringern können. Und sicherlich kann man sich streiten, ob Passagen wie
S.294 schrieb:
Ist sie am Leben? Ist sie tot? Steckt das Handelsministerium dahinter?Oder jemand anderes? Ein Jao Por, angesichts von Jaidees Dreistigkeit erzürnt? Oder jemand vom Umweltministerium? Bhirombhaki, der verärgert ist, dass Jaidee sich nicht an die Spielregeln gehalten hat? War es eine Geiselnahme oder Mord? Wurde sie getötet als sie um ihre Freiheit kämpfte?
großartig durch die Illustration der Zerrissenheit der Person oder schon wieder zu viel sind. Unabhängig davon ist die Sprache jedoch ebenso stark wie die Handlung und ebenso starker Tobak.
Bacigalupi entwirft eine Dystopie, die die sich andeutende Unfähigkeit des Gefahr des Klimawandels abzuwenden mit den Gefahren menschlicher Hybris vereint. Eine Dystopie, die im Gegensatz zu anderer Science-Fiction sehr vorstellbar ist und damit auch Leser fesselt, die dem Genre normalerweise nicht so viel abgewinnen können. Eine Dystopie, die diskutiert werden sollte und die sich zu Recht an der Spitze nicht nur des Hugo Awards findet.

Bewundernswert ist auch, dass dies der Debutroman von Bacigalupi ist. Er war bisher „nur“ durch Kurzgeschichten in Erscheinung getreten, von denen ich persönlich jedoch keine kenne. Die Titel der gelisteten Geschichten lassen vermuten, dass einige der in Biokrieg verwendeten Ideen auch darin schon behandelt wurden, aber das mindert die Leistung ja nicht im geringsten.

Weitere Informationen zum Autor und eine Leseprobe des Buches finden sich auf den Seiten des Heyneverlags, dem ich für die Möglichkeit danken möchte, dieses Buch zu rezensieren. Um es mit den Worten eines gewissen Entertainers zu sagen: Ein Kaufbefehl, zumal für €9,99 (warum eigentlich nicht €10,00, aber die Preispolitik verstehe ich sowieso nicht).
 
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