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Sci-Fi / Fantasy Der Elektronische Mönch

sonic_hedgehog

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Avery Cates, der Ich-Erzähler, ist ein Gangster, eine Mietkanone, wenn auch mit einem gewissen Ehrenkodex der sich daraus speist, dass er in zivilisierteren Zeiten geboren wurde. In einem dystopischen New York verdient er seinen Lebensunterhalt damit, im Auftrag Anderer Leute zu töten – seien es säumige Schuldner, Konkurrenten, … Mit 27 Jahren gehört er dabei zu den älteren und erfahrenen Mitgliedern der Gesellschaft.
Momentan jedoch sitzt Avery ziemlich tief in der Tinte – in seinem letzten Job traf er unerwartet nicht nur auf das Opfer, sondern auch auf dessen Leibwache, eine Polizistin. Aber nicht eine der normalen Straßenpolizistin, der sogenannten Brecher, sondern eine Offizierin des SSD, des Systemsicherheitsdienstes und damit eine mehr als ernstzunehmende Bedrohung. Und mit deren Tötung findet sich Cates in der Position des Gejagten wieder. Und der geballten Staatsgewalt kann er auf Dauer nicht entgehen. So findet er sich bald in einer Verhörzelle wieder, wo ihm aber wider Erwarten ein Angebot unterbreitet wird, das er nicht ablehnen kann. Ein Auftrag, der alles von ihm fordert – und noch ein bisschen mehr. Cates macht sich auf ein Team zusammenzustellen und in einen der bestgehüteten Orte der Welt vorzudringen – die Zentrale der elektronischen Mönche…

Jeff Somers entwirft eine dystopische Cyberpunkwelt, in der zwar die Erde unter einer Führung vereint ist, die Gesellschaft aber tief gespalten – man ist entweder fast obszön reich oder bettelarm – der Begriff der Mittelschicht entstammt einer fast vergessenen Vergangenheit. Unter dem Regime des Einheitsrates und streng überwacht vom SSD, eine Elitepolizeieinheit mit State-of-the-art Ausrüstung, fristet die Menschheit ihr Dasein und lebt zu großen Teilen von der Hand in den Mund. Doch inmitten all des Schmutzes und der Gewalt stehen voll vercyberte Gestalten – die Mönche der elektronischen Kirche, die ihren Anhängern das ewige Leben verspricht – nicht irgendwann, sondern jetzt. Wer sich ihnen anschließt, dessen Gehirn wird in einen Roboterkörper transplantiert – und Tod und Krankheit gehören der Vergangenheit an. Doch ist das schon die ganze Wahrheit?

Der Leser erlebt diese Welt aus der Perspektive des Ich-Erzählers, dessen mangelnde Bildung und brutale Lebenswirklichkeit der Autor geschickt durch die Verwendung einer ebenso drastisch vulgären wie brutalen Sprache transportiert. Dass dies nicht jedermanns Geschmack trifft, muss wohl nicht weiter ausgeführt werden, wirkt aber authentisch. So entsteht ein leicht zu lesendes und spannendes Gesamtkonstrukt, das aber auch einige Schwächen hat:
Denn leider verliert sich der Autor in Stereotypen und Wiederholungen. Die Protagonisten teilen sich weitgehend in die Gruppen Harte Hunde (Avery & Co.), korrupte Straßenpolizisten, arrogante SSDler und verbleiben innerhalb der Grenzen dieser Charakterisierung. Der Ich-Erzähler wird nicht müde immer wieder zu äußern, dass es wichtig ist hart aufzutreten, dass die Welt kaputt ist, dass er es leid ist und sich alt und müde fühlt, wieder und wieder. Allein, der Klage folgt nichts, womit der Autor eine Steilvorlage zur Entwicklung des Hauptcharakters ungenutzt lässt. Auch wenn man dies positiv gewendet als Zeichen deuten kann, dass alle eigentlich nur Gefangene der Umstände sind, verschenkt der Autor hier Potential. Potential verschenkt sicherlich auch die Übersetzung, es wird wohl ein Geheimnis Ulf Ritgens bleiben, warum er in einer Cyberpunkwelt den Begriff „gunner“ mit „Revolverheld“ übersetzte…
Der elektronische Mönch liest sich wie ein Actionfilm – schnell hintereinander geschnittene Sequenzen treiben die Geschichte voran und werfen die Protagonisten von einer Gefahr in die andere. Und wie in einem Actionfilm bleiben dabei Logik und Handlung mitunter auf der Strecke. Der Plan, den Cates zur Erfüllung seines Auftrags entwirft, ist offensichtlich zu dünn, Somers institutionalisiert einen Deus ex Machina, in ihrer Armut bedienen sich die Protagonisten trotzdem modernster Technik, überleben eigentlich unmögliche Situationen, das übliche eben.
Und trotzdem zieht das Buch den Leser in seinen Bann: Die Welt des Avery Cates hat Potential, die Geschichte zeichnet sich durch einige überraschende Wendungen aus und die Charaktere sind zweifellos cool, so cool, dass im Original die Geschichte bereits weitergesponnen wurde.

Das Buch hinterlässt somit einen gemischten Gesamteindruck: Wer in sich völlig schlüssige Romane mit ausgefeilter Charakterentwicklung bevorzugt, den wird „Der elektronische Mönch“ vermutlich weniger ansprechen. Wer sich hingegen für leichtgängiges Kino für die Augen im Stil eines Luc Bessons begeistern kann, für den könnte das Buch einen Blick wert sein.

Ich danke an dieser Stelle dem Bastei Lübbe Verlag für die Möglichkeit dieser Rezension und wünsche viel Spaß beim Lesen!
 
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