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Sci-Fi / Fantasy Welt aus Stein

sonic_hedgehog

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Mein Name ist Massima Leithka Orna. Ich bin Gebundene des Clans Caracassa und Angehörige von Ledo Kader.
So beginnt das Verhör der Protagonistin, nachdem sie in einem gescheiterten Angriff von den Gurta gefangen genommen und im Kerker von Farakza eingesperrt wurde.
Die Handlung spielt auf dem Mond Callespa, der um seinen Mutterplaneten in einem Zwillingssternsystem kreist. Ursprünglich besiedelten die menschlichen Völker die Mondoberfläche, bis eine Veränderung in der Aktivität der Sonnen sie zwang, sich unter die Erde, in die großen Kavernen zurückzuziehen, die die Lebewesen früherer Zeitalter hinterlassen haben. Die verschiedenen Völker leben in den verschiedenen Höhlen in verschiedenen Tiefen – und fechten im Falle der Eskaraner, des Volkes, dem Orna entstammt, seit Generationen einen erbitterten Krieg mit dem Volk der Gurta aus. Andere Völker bleiben darin neutral oder haben sich der ein oder anderen Seite angeschlossen.
Es ist eine fremdartige Welt, die Chris Wooding schildert – nicht nur die Tatsache, dass das Leben fernab des Sonnenlichts stattfindet, auch die sonstige Umwelt ist völlig fremd und faszinierend geschildert. Die Welt wird beherrscht von Pilzgewächsen verschiedenster Größen und Formen.
Orna ist eine Gebundene. Als Clan Caracassa ihr im zarten Alter von 10 Jahren erst im Laufe der Geschichte näher erläuterte Hilfe zuteil werden ließ, schwor sie aus Dankbarkeit einen Lebenseid, ein Leben im Dienste des Clans. Seit dieser Zeit wurde sie ausgebildet, als Spionin, Attentäterin und Diebin – eine Tätigkeit, in der sie überaus erfolgreich war, bis der Angriff auf den Hafen von Korok fatal scheiterte. Die eskaranische Armee wurde von den Gurta eingeschlossen und niedergemacht. Als vermutlich einzige Überlebende wurde Orna gefangengenommen, nachdem sie mitansehen musste, wie ihr Mann Rynn getötet wurde. Fast gebrochen vegetiert Orna im Kerker von Farazka dahin, bis ihre Überlebensinstinkte an die Oberfläche zurückkehren. Ein Auslöser dafür ist die Existenz eines Mitgefangenen, der sie an ihren Sohn erinnert – die Sorge um diesen und der Wunsch, wenigstens ihn vor einem Tod auf dem Schlachtfeld zu bewahren, sind ihr größter Ansporn. Jeder Gefangene hat die Pflicht zu fliehen – und ob dieser Kerker in der Lage ist, eine Frau wie Orna zu halten, ist noch nicht gesagt. Gemeinsam mit drei Mitgefangenen plant sie die Flucht, doch mit dem Entkommen aus dem Kerker ist noch nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt. Verfolgt von den Gurta müssen die Flüchtenden nicht nur Wege wählen, die nur die Not diktieren kann, sondern sich dabei auch die unausweichliche die Frage stellen, wieso der Angriff, der zu Ornas Gefangennahme führte, überhaupt misslingen konnte. Gibt es etwa Verräter in den Reihen der Eskaraner – und was ist der Nutzen, die diese daraus zögen.?Und so gerät die gerade der einen Gefahr entronnene in einen Strudel von Ereignissen, der sie erneut vor eine harte Probe stellt.

Mit Orna schafft Chris Wooding eine Heroin, die man am Besten mit dem Klischee des Ninja beschreiben könnte. Ihre überragenden Kampftechniken, ihre Körperbeherrschung aber auch ihre geistige Widerstandsfähigkeit machen sie zu einer mehr als gefährlichen Gegnerin. Und doch ist der Roman weit mehr und das liegt zum einen daran, dass seine Heldin erstaunlich vielschichtig ist, zum anderen an der Welt, in der er die Handlung ansiedelt. Orna ist nicht nur Kämpferin, sondern auch Witwe und Mutter, zwei Hauptpunkte, die ihren Antrieb ausmachen und den Charakter prägen. Und Callespas Höhlenwelten sind ein sehr interessanter Schauplatz. Die mörderischen Sonnen zwangen die Menschen vor Generationen unter die Erde, wo sich verschiedene Gesellschaftssysteme herausgebildet haben. Die Gurta sind ein kulturell hochstehendes Volk, das nach einem strengen Moralkodex lebt, der jedes Mitglied der Gesellschaft in seine Rolle zwingt. Ihre Feinde, die Eskaraner hingegen leben in einer Oligarchie, in der verschiedene Clans um Machterhalt und -zugewinn kämpfen und dabei in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich sind. Natürlich ist das Leben fernab der Sonnen ohne hochstehende Technik nur deshalb möglich, weil allen Völkern eine Art Magie zur Verfügung steht – aufgeladene Leuchtsteine sind das offensichtlichste Merkmal dieser Fähigkeiten einzelner Mitglieder der Gesellschaften, die jedoch in der Handlung keine Hauptrolle einnehmen.
Wooding gelingt es, diesen Hintergrund weitgehend schlüssig mit der Handlung zu verweben. Am einfachsten lässt sich das daran festmachen, dass verschachtelte Höhlensysteme die kriegsführenden Parteien dazu zwingen, dreidimensional zu planen und dass die fremdartige Natur mitunter Strategien ermöglicht, die in unserer Realität scheitern würden. Und durch seine Schilderungen schafft es Wooding, dem Leser diese Welt bildlich zu machen – es fehlen nur die Enge und Dunkelheit die man in Höhlen erwarten würde – fast alle Schauplätze sind weit und durch verschiedenste Tricks erleuchtet, seien es phosphoreszierende Pilze oder eben Leuchtsteine.
Und auch seine Erzählweise selbst übt eine Faszination aus. Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive aus Sicht Ornas wiedergegeben, sie beginnt mit der Gefangennahme und erzählt in ineinander verschachtelten Erzählsträngen zum einen im Präsens den weiteren Fortgang, zum anderen im Präteritum die Geschichte Ornas bis zu diesem Punkt in wichtigen Ausschnitten. Natürlich liegt ein Schwerpunkt der Handlung, bedingt durch die Fähigkeiten der Protagonistin im Kampf – Kampfszenen die wiederum an fernöstliche Kampffilme erinnern – in den Schilderungen jedoch ausgesprochen eindrücklich sind:
S68f. schrieb:
Er holte erneut aus. Ich duckte mich unter seinem Schlag hinweg und trieb ihm starre Finger in einen Nervenknoten, was ihn zwang, seine Waffe fallen zu lassen, dann traf ich ihn mit einem Kopfstoß das Nasenbein. Von einer Frau hatte er das nicht erwartet. Ihm blieb kaum Zeit aufzuschreien, ehe ich einen kurz angesetzten, brutalen Hieb gegen seinen Solarplexus landete, der ihm die Luft aus den Lungen trieb. Er taumelte zurück, krümmte sich zusammen und rang um Atem.
Übertrieben? Vielleicht – das Bild des Kampfes jedoch dürfte jeder vor Augen haben.
Abgesehen von diesen und anderen mitunter übertrieben wirkenden Fertigkeiten erlaubt sich Wooding erfreulich wenig Fehler in der Logik des Romans – es gibt sie zwar (z.B. eine Geheimagentin, die das Zeichen ihres Herrn auf Arm und Wange tätowiert hat), in der Gesamtbetrachtung jedoch fallen sie kaum ins Gewicht. Nicht zuletzt da es Wooding (angesichts der etwas ungewöhnlichen Einteilung der Handlung durchaus überraschend – fast die Hälfte des Buches besteht aus dem Versuch aus Farazka zu entkommen) gelingt einen Spannungsbogen aufzubauen, der bis zum Schluss hält und in einem durchaus überraschenden Ende mündet.

Welt aus Stein ist eine in sich geschlossen und spannende Erzählung für alle, die sich für diesen Mix aus Eastern und Fantasy begeistern können – und lässt am Ende genügend Anknüpfungspunkte, dass man sich des Gefühls nicht erwehren kann, dass man aus dieser Welt noch mehr lesen wird. Gutes Lesefutter für Genreliebhaber und einen Liegestuhl am Pool!

Chris Wooding ist Jahrgang 1977 und stammt aus Leicester in England. Er studierte englische Literatur an der Sheffield Universityund hat über die Jahre ein gutes Dutzend Bücher verfasst – teils Jugendromane, teils normale Fantasy. Sein Werk wurde mit verschiedenen Preisen bedacht.

Mein Dank gilt dem Lübbe Verlag, der diese Rezension ermöglichte.
 
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