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Sci-Fi / Fantasy Existenz

sonic_hedgehog

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Was wäre wenn? Das ist eigentlich die Grundfrage fast jedes Science Fiction Romans. Was wäre, wenn wir schneller als das Licht fliegen könnten? Was wäre, wenn wir auf dem Mond das havarierte Raumschiff außerirdischer Wesen finden würden? Was wäre, wenn….
Auch David Brin stellt diese Frage in seinem neuen Roman Existenz. Er stellt diese Frage ausgehend von einer anderen, philosophischen Frage, der Frage des sogenannten Fermi-Paradoxons: Wenn es außerirdisches Leben gibt, warum finden wir keine Spuren davon? Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Zivilisation nicht durch irgendeine einzigartige Kombination von Zufällen entstanden ist (und wie groß ist angesichts der Größe des Universums dafür die Wahrscheinlichkeit?), dann müsste es eine Vielzahl belebter Planeten geben – warum also finden wir dafür keine Anzeichen?

David Brin öffnet uns die Tür in eine Welt, die von einer (oder mehreren) Katastrophen heimgesucht wurde – eine mögliche Zukunft also. Umweltdesaster (der nicht abgewendete Klimawandel) und nukleare Katastrophen (Krieg? Unfälle?) haben zur Entstehung eines rigiden Kastensystems geführt – an der Spitze der wieder erstarkte Adel, am Fuß verarmte Klimaflüchtlinge, die in halb versunkenen Städten mehr vegetieren als leben. Die Vereinigten Staaten sind zerbrochen und auch Chinas Expansion ins All ist nach einer Katastrophe gestoppt. Doch die Technik hat sich weiter entwickelt, man trägt wieder Brillen, Brillen, die durch Filter und Direktverbindungen in ein erweitertes Internet verschiedenste Layer einer Augmented Reality bieten - mit Tags, Styles, Werbung, Wegweisern etc.

Und auch wenn das Weltall weiter weg ist als heute – es gibt noch Astronauten: Als eine Art Müllmänner der Stratosphäre versuchen sie den Orbit von den Trümmern zu befreien, die uns schon heute Kopfzerbrechen bereiten. Einer davon ist Gerald Livingstone, der während einer seiner Schichten das Artefakt findet, das das Fermi-Paradoxon lösen wird. Ob die Lösung der Menschheit nun gefällt oder nicht. Und er ist nicht der einzige: Auch Peng Xiang Bin findet in den versunkenen Ruinen einer Villa nahe Schanghais ein solches Artefakt und gerät, als er versucht, es zu verkaufen, mitten in die Intrigen der Mächtigen. Mächtige. Es gibt sie natürlich noch, wie bereits erwähnt insbesondere den alten Adel, Adel wie Lacey Kroh und ihren Sohn, der mit kostspieligen Hobbies sein Leben riskiert, während seine Mutter (unter den misstrauischen Augen der Standesgenossen) ihrem Steckenpferd nachgeht – SETI. Und damit plötzlich massiv an Bedeutung gewinnt. Dies ist besonders heikel, da auch politisch ein Umschwung naht – die Abkehrbewegung des Propheten Tenkswataw, deren Befürchtung ist, dass ein zu viel an Technik zum Untergang führen könnte, versucht ein Bündnis mit dem Adel, als die Bombe in Form der außerirdischen Botschaft platzt. Misstrauisch beobachtet wird all dies durch die Presse, unter anderem durch Tor Powlow und die Smartmobs der Netzgemeinde. Behauptet das außerirdische Artefakt doch, kurz zusammengefasst, dass intelligentes Leben dazu verdammt ist, sich selbst zu vernichten und einzig eine Art galaktischer Kettenbrief Rettung verspricht: Der Upload einzelner Geister in galaktische Sonden, die gemeinsam mit anderen Intelligenzen durch das All fliegen, um ihre Botschaft an anderes intelligentes Leben zu verbreiten. Doch ist das tatsächlich die Wahrheit, oder verfolgt der Botschafter eine andere Agenda?

David Brins Existenz ist ein Brocken, in jederlei Hinsicht. Mit mehreren parallelen Handlungssträngen mit Protagonisten der unterschiedlichsten Schichten wirft er den Leser in eine grandiose Geschichte, die grandiose Geschichte des Erstkontakts. Leider scheitert er fast ebenso grandios.

Klügere Menschen als ich haben gesagt, dass die meisten Bücher mit extremen Seitenzahlen ein besseres Lektorat gebraucht hätten. Existenz hat in der deutschen Ausgabe ohne Nachwort 888 Seiten – grob geschätzt in Schriftgröße 8 oder 9… Die Erzählung wechselt beständig zwischen den Handlungssträngen, wobei jedes der kurzen Kapitel einen kurzen Text vorangestellt hat, der entweder die Gedankenwelt eines der im Verlauf noch wichtig werdenden Autisten wiedergibt oder aus dem fiktiven Fachbuch „Die Büchse der Pandora“, einer Sammlung von Weltuntergangsszenarien zitiert. Diese Unterbrechung der Erzählstruktur ist zwar fordernd, aber aufgrund des Kontexts äußerst interessant. Das Problem ist die Haupthandlung, die von Gedanke zu Gedanke mäandert, ohne wirklich voran zu kommen. Fast 200 Seiten vergehen so, ohne dass die Handlung wirklich fesselt. Intellektuell fordernd und interessant, vergisst Brin seinen Leser. Doch auch interessante Ideen verdienen einen Spannungsbogen. In der chaotischen Struktur, gerade des ersten Viertels geht dieser jedoch verloren. Der Leser muss sich diesen Roman erarbeiten und das wird ihn Leser kosten. Auch ich war mehrfach kurz davor, den Roman einfach beiseite zu legen, was neben der Seitenzahl auch ein Grund dafür ist, warum ich für diese Rezension relativ viel Zeit benötigt habe. Das ist insbesondere deswegen eine Schande, weil die Brins Vision eines Erstkontakts und dessen Folgen in seiner Zukunftskonstruktion für sich betrachtet faszinierend ist. Nur die Form…

Ich hätte diesem Roman aufrichtig eine stringentere Struktur und eine inhaltliche Straffung gewünscht, in der vorliegenden Form kann ich ihn nur Fans empfehlen.
Ich danke dem Heyne Verlag für die Möglichkeit, dieses Buch in Augenschein zu nehmen und verweise alle, die einen Blick auf die Ideen David Brins werfen wollen, auf die dort zu findende Leseprobe. Denn bei aller versuchter Objektivität – letztlich sind Geschmäcker immer unterschiedlich und es gibt kaum objektive Maßstäbe für Kunst.
 
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