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Sci-Fi / Fantasy Die letzte Flut

sonic_hedgehog

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2007 veröffentlichten Wysession and Lawrence Ergebnisse ihrer Forschung, bei denen sie bei Experimenten mit Schallwellen im Erdmantel große Wasservorkommen gefunden hatten. Was wäre, wenn dieses Wasser unsere Welt noch stärker beeinflusste als es der Klimawandel ohnehin tut?

2016, nach Jahren der Geiselhaft, werden Lily, Piers, Gary und Helen endlich aus der Hand ihrer Geiselnehmer im bürgerkriegsgeplagten Spanien befreit. Die Welt, in die ihre Befreier der AxysCorp sie entlassen, hat sich verändert: Weltweit bedroht ein aus (noch) ungeklärten Gründen erfolgender Anstieg der Meeresspiegel die Küsten und niedrig gelegene Gebiete – ein stärkerer Anstieg als allein durch den Klimawandel zu erklären wäre. Bald überschwemmen Sturmfluten Sydney und Teile Londons, rund um die Welt leiden Mensch und Umwelt unter Naturkatastrophen. Und der Anstieg erfolgt schneller als jeder Wissenschaftler sich das hätte vorstellen können – bald ist ein Meter überschritten und es zeichnet sich ein exponentiell verlaufender Anstieg ab. Verzweifelt evakuieren Regierungen die Küstenstädte, werden Dämme errichtet, versuchen Firmen ihre Anlagen zu schützen. Doch erbarmungslos steigt das Wasser weiter, immer größere Wasservorkommen im Erdmantel entladen sich in die Weltmeere – und die Zivilisation wie wir sie kennen droht zu scheitern. Reiche Industrielle errichten hoch gesicherte Grüne Zonen in den Hochgebirgen, ganze Städte sind auf Wanderschaft, Kämpfe, ja Kriege entladen sich um die fruchtbaren Landstriche in den Bergen. Und einige Visionäre bereiten sich auf den Zeitpunkt vor, wenn das Wasser auch diese Enklaven erreicht. Währenddessen übersteigt der Meeresspiegel die 100m Marke und steigt unerbittlich weiter. Die ehemaligen Geiseln kämpfen gemeinsam mit ihrem Befreier um ihr Überleben und um das der Menschheit.

Stephen Baxters Buch „Die letzte Flut“ entwirft auf knapp 750 Seiten eine beängstigende Zukunftsvision, die -in sich weitgehend konsistent- das Schicksal der Menschheit im Angesicht der letzten Flut beschreibt. 22 der 50 größten Städte sind Küstenstädte und auch sonst ballen sich rund um den Globus die Menschen an den Küsten. Schon der im IPCC-Bericht prognostizierte Anstieg des Meeresspiegels durch die Klimaerwärmung bedroht die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen. In Baxters Roman kommt es zusätzlich zur Klimaerwärmung auch noch zum Freisetzen von Wasser aus dem Erdmantel und der dadurch bewirkte Anstieg der Meeresspiegel ist wesentlich dramatischer. Binnen weniger Jahre befindet sich die Hälfte der Menschheit auf der Flucht und der Platz auf den höher gelegenen Gebieten wird knapp – ebenso wie die Lebensmittelversorgung da nur die wenigsten Nutzpflanzen für einen Anbau im Gebirge geeignet sind. So entladen sich soziale Spannungen und verschiedene Gruppierungen scharen ihre Anhänger, um sich im Kampf um Überleben durchzusetzen. All diese und weitere Entwicklungen schildert Baxter als auktorialer Erzähler aus der Sicht der vier ehemaligen Geiseln, die durch ihren Retter, den visionären, aber auch egoistischen Großindustriellen Lammockson und ihre Tätigkeiten vor der Geiselnahme auf verschiedenen Ebenen die Entwicklungen an vorderster Front erleben und versuchen, sich und die Reste ihres Lebens zu retten. Baxter versteht es, die Geschehnisse eindrucksvoll und spannend zu schildern – einzig seine Figuren halten nicht diese hohe Qualität. Buchstäblich keine der Hauptpersonen ist ein wirklicher Charakter, eher würde man sie als Typen einordnen. Sie verkörpern verschiedene Grundkonzepte wie Menschen mit solchen Ereignissen umgehen könnten ohne wirklich dreidimensional zu wirken. Die Frage, die sich kontrovers diskutieren lässt ist, ob man dies dem Roman oder dem Autor wirklich ankreiden kann?

„Die letzte Flut“ ist ein Katastrophenroman, der gegen Ende stärker werdende Züge klassischerer Science Fiction bekommt. Vergleicht man das Genre mit dem Genre der Katastrophenfilme, so ergibt sich ein Vergleich, der die Personendarstellung verständlich macht. Unter den Katastrophenfilmen gibt es diejenigen der Kategorie „The Day After Tomorrow“, in denen die Katastrophe im Prinzip nur dazu dient, die Bühne für dramatische Erlebnisse der Hauptcharaktere zu bereiten. Auf der anderen Seite gibt es aber auch eher dokumentarisch angelegte Filme wie z.B. die ZDF-Produktion „Armageddon – Der Einschlag“. Hier dienen im Gegenteil die Protagonisten nur der Illustration der Folgen der Katastrophe ohne dadurch in den Vordergrund zu rücken. Auf Romane übertragen fällt „Die letzte Flut“ eindeutig in die zweite Kategorie – was die Tatsache der eher blassen Figuren erklärt.

Und auch der Stil des Autors unterstützt diese Einordnung. In weiten Teilen erinnert das Buch eher an einen aufregenden Bericht– dies zeigt sich zum Beispiel immer dann, wenn Baxter anstatt ein Gespräch zweier Personen wirklich wiederzugeben, den Protagonisten das Wort nimmt und stattdessen das gesagte zusammenfasst:
“Diese Trieste hat ihren Namen also als Tribut an den damaligen Pionier erhalten“, wandte sich Lily an Lammockson.
„Nicht ganz“, erwiderte dieser. „Es ist die Trieste, Lily. Das Original. Oder das, was in den vergangenen Jahren aus ihr geworden ist.“
Nach ihren Ausflug ins Challengertief hatte man die Trieste außer Dienst gestellt, ihre Druckkörperkugel, den höchstentwickelten Teil ihrer Technik, jedoch in ein neues DSV namens Trieste II eingebaut. Das neue Boot war als Testfahrzeug für das Tieftauchprogramm der Navy eingesetzt worden, und vier „Hydronauten“ hatten darin ihre Ausbildung absolviert. Die Trieste II war bis 1980 im Einsatz gewesen, dann hatten ihr die U-Boote der Alvin-Klasse den Rang angelaufen.
„Wovon natürlich jeder gehört hat, weil Alvin zur Titanic getaucht ist“, sagte Lammockson. „Die Trieste haben sie in ein maritimes Museum in Keyport in Washington verfrachtet.“
Auch den mittleren Teil muss Lily von Lammockson erfahren, da dieser direkt auf die darin enthaltenen Informationen Bezug nimmt, als die direkte Rede wieder einsetzt. Trotzdem werden die wichtigen Informationen des Gesprächs eben nicht in dieser direkten Rede präsentiert, sondern für den Leser zusammengefasst. Ein Stilelement das immer wieder auftaucht, mitunter auch direkt in der Form; Lily erzählte XYZ.
Wie gesagt, diese Art zu erzählen macht das Buch nicht weniger spannend, ist aber auffällig.

Auch wenn die schwache Personendarstellung das Buch nicht nachhaltig beschädigt, so ist sie dennoch schade und auch ein bisschen enttäuschend, da der Autor zu Beginn einen Kniff anwendet, der uns als Leser eigentlich zu einem Grundverständnis und damit auch einer grundsätzlichen Verbundenheit mit den Protagonisten bringt – durch ihre jahrelange Gefangenschaft ist ihnen die Welt des Jahres 2016 genauso fremd wie uns. Das gemeinsame Kennenlernen der Welt wäre perfekt um eine Bindung an die Protagonisten zu erzeugen – dadurch dass sie jedoch blass und zweidimensional bleiben, wird diese Möglichkeit verspielt.

Eine weitere Schwäche des Buches soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: Die wissenschaftliche Basis des Buches ist äußerst dünn. Zwar ist die Existenz von Wasser im Erdmantel durchaus möglich und es gibt valide Hinweise darauf, jedoch nach allem was ich ermitteln konnte, ist dieses eher in Form von Kristallwasser gebunden oder fein dispergiert (s. auch den Bericht des [FONT=&quot]National Geographic zu oben genannten Forschungsergebnissen[/FONT] - englisch). Große Ozeane, die sich nach oben entleeren könnten (was füllt dann eigentlich die entstehenden Hohlräume) sind meiner Kenntnis nach äußerst unwahrscheinlich. Damit steht das Buch jedoch in seinem Genre nicht alleine (man denke nur an die Wetterphänomene in dem schon als Beispiel herangezogenen „The Day After Tomorrow“) und es tut der Simulation der Katastrophe keinen Abbruch.

Insgesamt ist Stephen Baxter ein faszinierendes Buch gelungen, das wenn auch nicht frei von Schwächen, durchaus sehr lesenswert ist. Außerdem ist es hochaktuell und mag als Mahnung dienen – ob sich nun Flüchtlingsströme angesichts steigender Meeresspiegel um die wenigen fruchtbaren Höhenlagen streiten oder angesichts steigender Temperaturen um die wenigen fruchtbaren Lagen gemäßigter Zonen – die Folgen für Mensch und Zivilisation sind ähnlich.

Stephen Baxter wurde 1957 geboren und widmet sich nach einem Studium in Mathematik, Maschinenbau und Betriebswirtschaft seit 1995 voll seiner Tätigkeit als Schriftsteller. Sein bisheriges Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit Philip K. Dick Award, dem British Science Fiction Association Award und dem Kurd-Laßwitz-Preis. Zu „Die letzte Flut“ soll 2009 eine Folgeband erscheinen, der im Englischen mit „Ark“ betitelt sein wird.

Herzlichen Dank an den Heyne Verlag, der diese Rezension ermöglichte.
 
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