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Sci-Fi / Fantasy Der stille Krieg

sonic_hedgehog

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Mitte des 21. Jahrhunderts war es so weit – das Ökosystem der Erde war den stetig steigenden Belastungen nicht mehr gewachsen gewesen und war kollabiert. Während ein Teil der Menschheit verzweifelt um sein Überleben kämpfte, floh ein anderer Teil auf den Mond – und trug durch den Bau großer Sonnenspiegel in der Erdumlaufbahn das ihre dazu bei, die Erderwärmung abzumildern. Als aber schließlich offensichtlich wurde, dass die im Verlauf des Umsturzes auf der Erde gegründeten Großstaaten genug Kraft gesammelt hatten um auch die Herrschaft auf dem Mond an sich zu reißen, flohen die Mondbewohner in die Weiten des Sonnensystems, in Habitate die auf den Monden von Saturn und Uranus errichtet wurden.

In der folgenden Zeit entwickelten sich die verschiedenen Teile der verstreuten Menschheit sehr unterschiedlich: Während auf der Erde eine aristokratische Herrschaft mit Leibeigenschaft errichtet wurde, die die Erde als quasi Göttin Gaia verehrte und unter dem Einfluss sogenannter grüner heiliger die Genesung der geschädigten Natur betrieben, standen die Außenweltler unter dem Zwang, sich ihren neuen Lebensbedingungen in kleinen Gruppen unter niedriger Schwerkraft und fernab des Sonnenlichts anzupassen – was zur Ausbildung basisdemokratischer Herrschaftsstrukturen und fortgesetzter Manipulation des eigenen Körpers und Erbguts führte.

Unterschiedliche Weltanschauungen kollidieren und auch wenn es Kreise gibt, die alles versuchen um eine Annäherung der Parteien zu erreichen und den Frieden zu bewahren, gewinnen auf beiden Seiten diejenigen an Einfluss, die einen Krieg herbeisehnen.
Paul McAuley entführt den Leser in diese Welt, indem er alternierend die Erlebnisse von fünf Protagonisten schildert, die trotz unterschiedlicher Herkunft, sozialer Stellung und Erlebnisse zentrale Punkte einen. Der Fokus liegt dabei, zur Erleichterung aller die jetzt befürchteten, McAuley könnte sich in zu vielen Erzählsträngen verfangen, auf zweien der Charaktere – Sri Hong-Owen, eine der besten Genforscherinnen der Erde, im Dienste der mächtigen Familie Peixoto aus Groß-Brasilien und Macy Minnot, eine Spezialistin für Mikroben in einer Rückgewinnungs- und Sanierungsgesellschaft, die Mitglied eines Bauteams ist, das auf Kallisto ein Biom errichten soll um so die Annäherung zwischen Außenweltlern und der Erde zu bekräftigen. Die weiteren, kleineren Charaktere sind Loc Ifrahim, ein Diplomat von der Erde, Dave #8, ein Klon, der als Spion und Saboteur gegen die Außenweltler eingesetzt werden soll sowie Cash Baker, ein genmanipulierter Pilot der groß-brasilianischen Streitkräfte.

Das Biom, das nach einer Absprache der großen außenweltlerischen Genzauberin Avernus und des grünen Heiligen Oscar Finnegan Ramos errichtet werden soll, steht unter keinem guten Stern. Nicht nur sterben zu Beginn der Mission der stärkste Sprecher der Friedensbewegung (zufällig) und der Leiter der Expedition (weniger zufällig), auch weitere Sabotagen und Verschwörungen verurteilen die Expedition zum Scheitern, ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Konflikt.

Der stille Krieg erinnert an verschiedene Perioden der Weltgeschichte, zwei große, verfeindete Machtblöcke, die sich auf diplomatischem Weg „still“ bekriegen – Erinnerungen an den Kalten Krieg werden wach. Gemischt mit dem unbedingten Kriegswillen vieler Beteiligter, was an die Situation vor dem 1. Weltkrieg oder dem Irakkrieg erinnert. Doch so nahe diese Schlüsse liegen, so wenig klar lassen sich die Parteien denen der Realität zuordnen. McAuley erschafft hier eigenständige und durchwegs logische politische Systeme und schildert sie liebevoll und detailliert. Dabei gelingt ihm die Darstellung der irdischen Seite in meinen Augen etwas besser, denn auch wenn weite Teile des Romans auf den Außenwelten spielen, bedingt die Tatsache, dass alle 5 Hauptpersonen irdischer Herkunft sind, eine gewisse Einseitigkeit.
Was aber ist der Roman nun? Beworben wird er als Space-Opera, angesichts des Schwerpunkts auf den Tagen und Wochen vor einem Krieg könnte man aber auch militärische SF vermuten. Beide Etiketten würden dem Roman aber nicht gerecht – weder liegt der Fokus wirklich auf der militärischen Seite des sich anbahnenden Konflikts, wie es typisch für Military SF wäre, noch sind die Charaktere machtvolle Gestalter, die an der Spitze der Geschichte stehen, wie es in Space Operas üblich ist. McAuley Roman ist feiner, er fokussiert politische Verstrickungen und vor allem seine Charaktere, die alle, egal wie machtvoll sie scheinen, nie wirklich frei in ihren Entscheidungen sind und eher als getrieben erscheinen. Macy Minnot gerät, obwohl sie alles tut um derartiges zu vermeiden, zwischen die Fronten einer von Loc Ifrahim zur Sabotage des Biomprojekts betriebenen Verschwörung und weiß schließlich keinen anderen Rat als zu fliehe – nur um dann festzustellen, dass sie auch in der Gesellschaft der Außenweltler nicht frei sein kann. Loc Ifrahim wiederum wird getrieben von Ehrgeiz und dem Druck seiner Vorgesetzten, die jeden seiner Schritte beobachten und ein Scheitern nicht akzeptieren würden. Auch Cash Baker und Dave #8 sind vor allem Werkzeuge und ein Ausbrechen aus den Plänen ihrer Vorgesetzten könnte fatale Auswirkungen haben. Am ehesten frei erscheint auf den ersten Blick Sri, die als führende Wissenschaftlerin eigene Pläne vorantreiben kann und deren Ziel, die Geheimnisse der Genzauberin Avernus zu erlangen über allem steht. Doch auch sie ist gefangen in Spinnennetz der Politik und muss vorsichtig abwägen, welcher ihrer Verbündeten machtvoll genug ist um sie zu stützen und welchen sie opfern muss um nicht selbst unterzugehen.

Diese Begrenzung seiner Charaktere, von denen keiner je das gesamte Bild des Konflikts erfassen wird und deren Einzelansichten erst das Bild des Leser zusammensetzen ist wohl, neben dem detailreichen Entwurf der Bühne wohl die größte Stärke des Romans.
Leider jedoch beinhaltet der Roman auch einige Schwächen.
Die kleinste ist wohl, dass der ein oder andere bemängeln dürfte, das dem Roman, bedingt durch die Gefangenheit der Charaktere in den Ereignissen, klare Antagonisten fehlen. Keiner bleibt ohne Schuld und jeder trifft fragwürdige Entscheidungen – die jedoch fast immer zumindest teilweise den Umständen geschuldet sind. Auch die Welt des Paul MyAuley ist eben nicht schwarz-weiß.

Die größte Schwäche ist allerdings, wie McAuley dem Leser die Informationen präsentiert. Nicht nur, wenn er das Bild seiner Welt entwirft und dabei alle wichtigen und unwichtigen Details in Umgebung und Geschichte wiedergibt, auch – und das ist äußerst bedauerlich – bei seinen Charakteren. McAuley überlässt Rückschlüsse über die Motivation seiner Charaktere nie dem Schluss des Lesers, jedes Detail, jeder Gedanke, jeder Handlungshintergrund wird dem Leser an die Hand gegeben:
S.143 schrieb:
Macy war sich sicher, dass Loc Ifrahim und Speller Twain vorgehabt hatten, ihr den Mord […] in die Schuhe zu schieben. Sie hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem sie entkommen war. Nun mussten sie sie also umbringen. Wenn ihnen der nicht gelang und Macy den Friedensoffizieren der Stadt in die Hände fiel, könnte sie ihr Komplott an die Öffentlichkeit bringen.“
Auch wenn auf S. 386 endlich die lang ersehnte Genzauberin Avernus ins Licht der Öffentlichkeit tritt und eine Rede zur aktuellen politischen Situation hält, beschreibt McAuley dies weder durch die Augen eines der Protagonisten noch direkt, sondern er berichtet nur darüber, berichtet wie Avernus spricht, was sie aussagen will und in indirekter Rede über den Inhalt des Gesagten.
Das macht den Roman zäh, er erschlägt den Leser mit Details und nimmt immer wieder das Tempo aus seiner Geschichte.

In der Summe ist „Der stille Krieg“ ein interessanter Roman – ein detailreiches und realistisches Setting gepaart mit einer spannenden Geschichte politischer Intrigen und Kriegstreiberei, erzählt aus der Perspektive des ‚kleinen Mannes‘, der einzig durch seine Erzählweise den Anschluss an die Spitzenklasse leider verliert.
Ein Roman, der auch der Auftakt einer kleinen Serie ist und den Leser somit in der vagen Hoffnung zurücklässt, die Flut an Informationen könnte in dieser Fortsetzung gemildert auftreten.

Paul McAuley wurde 1955 in England geboren und arbeitete lange Jahre als Dozent für Botanik, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Zu seinen bekanntesten Romanen gehört wohl der Alien-Zyklus (Vierhundert Milliarden Sterne, Verbotene Harmonien, Ewiges Licht), dessen erster Teil den Philip K. Dick Award gewann. Der stille Krieg selbst war für den Clarke Award nominiert. Das Sequel ist im Original als „Gardens of the Sun“ bereits erschienen.

Mein Dank gilt an dieser Stelle dem Heyne-Verlag, der uns diese Rezension ermöglichte und auf dessen Seiten sich wie gewohnt eine Leseprobefindet.
 
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