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Sci-Fi / Fantasy Das Königshaus der Monster

sonic_hedgehog

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In London herrscht Krieg, schon seit über 130 Jahren. Ein im Geheimen geführter Bürgerkrieg des Direktoriums, das sich die Verteidigung der Bürger Londons auf die Fahnen geschrieben hat, gegen das Haus Windsor, das Königshaus der Monster.
1857, im Jahr des Indienaufstands sah sich das Empire und damit Englands Königin von allen Seiten bedroht. Englands Untergang schien bevorzustehen und in ihrer Furcht wandte sich die Herrscherin an eine Macht namens Leviathan, eine Macht die Schutz versprach. Und das zu nur einem kleinen Preis: London. Der Abschluss des Pakts war die Geburtsstunde des Direktoriums, der von einem Berater der Königin namens Dedlock ins Leben gerufen Widerstandsgruppe, die die Rückkehr Leviathans und den Untergang Londons zu verhindern sucht.
Henry Lamb, ehemaliger Kinderstar und heute Angestellter in der staatlichen Archivverwaltung wird nolens volens von dieser Organisation gemustert um im alles entscheidenden Kampf gegen Leviathan und die Windsors mitzuwirken – in der Tradition seines Großvaters, der ohne dass dies seiner Familie bekannt wäre, lange Jahre in den Reihen des Direktoriums gearbeitet hat und große Opfer gebracht hat. Leider liegt er im Sterben und mit ihm droht auch das Wissen über den Verbleib der entscheidenden Waffe, einer Frau namens Estella, zu sterben.
So können diese Hinweise wohl einzig von Hawker und Boon kommen, den Präfekten oder auch Dominomännern, die seit 1967, dem letzen Einsatz Estellas, unter der Downing Street No. 10 gefangen gehalten werden. Zwei Wesen, die kaum als menschlich zu bezeichnen sind und deren Grausamkeit legendär ist. Und sie sind nicht bereit, ihre Informationen einfach so zu teilen. Doch nicht nur das Direktorium sucht nach Estella, auch Beauftragte des Königshauses haben sich auf die Spur gesetzt – denn die Rückkehr Leviathans steht kurz bevor und diesmal soll der Handel erfolgreich abgeschlossen werden! Ein Handel, der nichts anderes als die Vernichtung Londons bedeuten kann.

Im Original titelt Jonathan Barnes sein Buch mit „Domino Men“ und es bleibt wohl Geheimnis des Verlags, warum im Deutschen der genauso kryptische Titel „Das Königshaus der Monster“ gewählt wurde. Zwar ist das eine Beschreibung, die auf das Haus Windsor dieser Parallelwelt durchaus anwendbar ist, jedoch sind die Dominomänner als rätselhafte Entität wesentlich prägender für den Roman.
Das aber nur am Rande.

Barnes siedelt seine Geschichte in einer parallelen Realität an, einer Realität die in weiten Teilen unserer gleicht, unter der Oberfläche jedoch brodelt es. Viele Handlungen und Figuren können als Allegorien auf die Realität verstanden werden, sei es die ermüdende Arbeit in der Archivverwaltung, deren einziger Sinn das Ordnen von Akten ist, deren Bedeutung mit jedem Jahr schwindet, sei es die innere Verkommenheit des Königshausen, sei es das traurige Leben eines ehemaligen Kinderstars, der auch noch nach Jahrzehnten gezwungen ist, den müden Scherz seiner Rolle immer wieder zu vollführen. Auch Das Direktorium ist eine Geheimorganisation wie sie im Buche steht – elitär, rücksichtslos in der Wahl ihrer Mittel und steht doch mit dem Rücken zu Wand.
Gleichzeitig ist das Buch eine Groteske. Die meisten der Figuren sind gnadenlos überzogen – am deutlichsten erkennt man das wohl an den Personen des Beraters des Königshauses, Joe Streater, oder insbesondere an den Dominomännern – zwei Wesen in der Erscheinung mittleren Alters, die in Schuluniformen gekleidet fast alles zu wissen scheinen und dieses Wissen bevorzugt dazu nutzen, andere zu quälen. In Gefangenschaft scheinen sie beherrschbar, aber wehe wenn sie losgelassen.

Die Geschichte hat alles, was ein guter Roman braucht – einen interessanten Weltentwurf, teils tragische, teils witzige Charaktere, eine Bedrohung gigantischen Ausmaßes und einen Schreibstil voller Elan. Trotzdem zündet sein Buch nicht richtig. Der Grund dafür liegt wohl in einer gewissen Unausgewogenheit: Einerseits ist die Geschichte grotesk überzogen und schert sich nicht um logische Erklärungen für das Geschilderte, andererseits scheint sie sich mitunter vollkommen ernst zu nehmen und sogar gegen Ende eine Lehre beinhalten zu wollen. Einerseits liefert die Überzogenheit viel Raum für witzige Szenen, andererseits sind viele Witze und Teile der Handlung etwas flach. Das Hauptquartier des Direktoriums beispielsweise ist ein Aquarium in einer Gondel des London Eye, dem Riesenrad, geschützt durch die Illusion von Besuchermassen vor dem Eingang (wenigstens eine Erklärung für die langen Wartezeiten) – eine Technik, deren Herkunft aber ungeklärt bleibt und die auch sonst auch keinen Einsatz mehr findet. Das Direktorium selbst ist eine streng geheime Untergrundorganisation (mit äußerst variablen Ressourcen), dessen Name jedoch widerspruchslosen Einlass sogar in den Regierungssitz gewährt.
Dabei ist es aber beiliebe nicht so, dass die Lektüre nicht zu genießen wäre:
Henry Lamb stürzt in eine Verschwörung, deren Ausmaß sich ihm erst schrittweise enthüllt und die wesentlich weiter geht, als es selbst der Leser ahnt. Menschen treten in sein Leben und versuchen ihn zu steuern, das was er für sein Leben gehalten hat wird in Einzelteile zerlegt und Teil eines großen Plans, er gewinnt die Liebe seines Lebens (und verliert sie wieder)... Und insbesondere die Antagonisten sind, wenn auch mitunter etwas plump, faszinierend unvorhersehbar, chaotisch und böse – und haben Spaß daran. Spaß den sie dank des schönen Schreibstils auch dem Leser, der das alles aus dem Blickwinkel des Ich-Erzählers Lamb erlebt, vermitteln können.
Auch wartet das Buch mit einigen unerwarteten Wendungen auf, die den Leser erst schmunzeln lassen, bis ihm ein weiteres Detail des Plans, des Programms wie Schuppen von den Augen fällt – steuert aber leider auf ein etwas seichtes Ende zu, [mi]das bereits im Namen des Protagonisten angekündigt ist und dessen letzter Witz – wieder ohne Erklärung der Funktionsweise – eigentlich der erste ist.[/mi]

Insgesamt ist „Das Königshaus der Monster“ ein amüsantes Buch mit Stärken (wie der vor Schreibspaß fast platzenden Sprache) und Schwächen (hauptsächlich in der Handlung, z.B. viele ungeklärt bleibende Fragen und partielle Plumpheit), das nach einem furiosen Anfang das Niveau nicht ganz halten kann und so ein durchwachsenes Gesamtbild liefert.

Der Autor, Jonathan Barnes, ist Anfang dreißig und machte in Oxford seinen Abschluss in englischer Literatur. Er ist freier Kolumnist für mehrere britische Tageszeitungen und Magazine. „Das Königshaus der Monster“ ist sein zweiter Roman nach „Das Albtraumreich des Edward Moon“, das in England von der Kritik hoch gelobt wurde und ebenfalls im Piper-Verlag vorliegt.

Mein Dank gilt dem Piper-Verlag, der diese Rezension ermöglichte und auf dessen Seiten eine Leseprobe des Prologs als pdf vorliegt.
 
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