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Abenteuer/Kampagne Spielbericht (Advanced) Dungeons & Dragons Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea

Sitzung 108 - Besuch aus Fürstenbad

Die Geschichten von Neire mussten leider noch etwas warten, denn wir hatten wirklich ein Problem. Wir waren immer noch in der großen Halle unter dem Thronsaal und wussten nicht was mit Urrungfaust passieren sollte. Die anderen hatten schon angefangen die Berge von Schätzen zu verstauen. Es stank grauenvoll nach verbranntem Fleisch. Das Fleisch des Königs und seiner Ritter. Aber auch nach meinem Fleisch. Der Trank der Heilung hatte zwar in Windeseile die Wunden wieder geschlossen, dennoch zuckte mein ganzer Körper zusammen bei der Erinnerung. Halbohr schien auch nicht ganz er selbst zu sein. Er hockte auf dem Boden und spielte mit einigen Münzen. Tauschte sie aus, stapelte sie und entfernte einige. Vielleicht war es aber auch kein Spiel. Vielleicht versuchte er einen viel zu komplizierten Plan auszuarbeiten, wie es nun mal seine Art ist. Und der gehäutete Leib des kolossalen Lindwurms schien alles aus seinen toten Augen zu beobachten.

Jetzt galt es unser Problem zu lösen. Der König war nur noch ein verbranntes Etwas, doch wir brauchten einen König. Wir konnten uns nicht durch die ganze Stadt Urrungfaust kämpfen. Doch genau das würde passieren, wenn wir ohne den König wieder auftauchen würden. Die Lösung unseres Problems sollte Daera Düsterung sein. Die wunderschöne Dame mit ihren schwarzen Tätowierungen, die auf ihrer milchig weißen Haut im starken Kontrast hervorstachen, hatte die Fähigkeiten dazu. Offenbar konnte sie nicht nur den Geist von anderen beherrschen, wie auch Neire, sondern sie verstand es auch ihre Gestalt zu ändern. Sie hätte am liebsten die Frau gespielt die wir kurz im Thronraum gesehen hatten, doch half uns dies nicht bei dem Problem mit dem König. Schließlich, nach zeitraubenden und langweiligen Diskussionen, stand der Plan. Daera würde die Gestalt des Königs Granryks annehmen. Fehlten noch die Grauwegur Ritter. Wenn einer der Ritter fehlen würde, würde dies sicherlich nicht besonders auffallen. Doch wenn alle fehlten, würden sich unangenehme Fragen anschließen. Also schafften wir einige Orks aus dem Tempel des Jensehers heran. Und dann wurde ich mit in das Versteckspiel einbezogen. Ich hatte eine Idee und niemand sollte die schweinsähnlichen Kreaturen für etwas anderes als stolze Grauwegur Ritter halten. Ich half nach und mit der Hilfe der Herrin ließ ich ihre Knochen, Haut und Haare zu denen der Duergar werden. Zusätzlich brach Neire mit seinen Augen des Jensehers ihren Geist. Sie sollten nicht nur so aussehen wie Nachtzwerge, sondern sie sollten alles vergessen was sie vielleicht vorher gewesen waren. Einige widerstanden wie durch ein Wunder. Sie wurden getötet und entsorgt. Wir konnten es uns nicht erlauben, dass eine geistige Stärke in diesen Kreaturen heranwuchs. Andere konnten die Schmerzen, die die Umwandlung ihnen bereitete, nicht aushalten. Sie verwandelten sich in verkrümmte Abscheulichkeiten. Irgendetwas zwischen Ork und Duergar, bevor ihr Herz den Qualen nicht mehr standhalten konnte. Irgendwann hatten wir genug, um sie in die Rüstungen zu stecken. Einer fehlte jedoch immer noch. Die letzte Grauwegur Rüstung war durch die Flammen komplett verbogen und nicht mehr zu gebrauchen. Aber das war nicht schlimm. Dann würde eben ein Grauwegur Ritter immer gerade auf Botengängen sein. Auch Daera war nicht untätig geblieben. Als wir mit den verwandelten Orks aus Nebelgard zurückkamen (Neire ist dortgeblieben), war von ihr nichts mehr zu sehen. Aber wir standen plötzlich wieder vor dem König Granryk von Werunstein, als wenn ihm kein Haar gekrümmt worden wäre. Jedes kleinste Detail hatte sie nachgeahmt. Nur weil sie gerade neben dem verkohlten Leichnam stand konnte ich überhaupt auf den Gedanken kommen, dass dies in Wahrheit Daera war. Sie wies die Orks im Körper der Duergar zurecht und sie zogen sich die Rüstungen an. Sie waren noch etwas ungeschickt dabei und brauchten Hilfe. Der falsche König hatte auch die Rüstung angezogen und Waffen und Schild geschultert. Zusammen gingen sie wieder zurück in den Thronsaal. Wir warteten erst einmal bis Daera sich umsehen konnte, ob irgendjemand schon Verdacht geschöpft hatte. Daera wolle auch herausfinden wer diese Frau gewesen war, die mit König Granryk von Werunstein bei unserem Besuch gesprochen hatte.

Nach etlichen Stunden kam Daera wieder zurück. Ihr Gang war überaus selbstsicher. Und sie hatte den Rat, den ihr ihr gegeben hatte, bereits berücksichtigt, dass der König des Öfteren in das Lachen eines Säufers gefallen sei. Bereits jetzt konnte sie es täuschend echt nachahmen. Daera berichtete, sie fände die Frau nicht mehr wieder. Niemand hatte sie wieder gesehen. Offenbar war es die neue Gemahlin des Königs, Thunriel von Grauroch. Die alte Frau, Idriania von Werunstein war wohl vor kurzem gestorben. Ich fand es merkwürdig, dass die neue Königin nicht auch den Namen des Mannes angenommen hatte. Sollte vielleicht der alte Wurm Thiangjort etwas damit zu tun gehabt haben? Aber wer weiß schon, welche Gepflogenheiten bei den Nachtzwergen geduldet werden und vielleicht war es ja die neue Frau des Königs. Daera hatte etwas über einen Sohn des Königs, Breodin von Werunstein herausfinden können. Obwohl er als Abkömmling der nachtzwergischen Rasse noch im Alter eines Kindes, vielleicht eines Heranwachsenden, war, schien er doch stärker zu sein als man meinen könnte. Vielleicht würde er uns irgendwann einmal Probleme bereiten, aber jetzt widersetzte er sich den Befehlen des neuen Königs nicht. Und der erste Befehl war, dass ein neues Bündnis mit Unterirrling geschlossen werden sollte. Dieses Bündnis sollte den Grundstein für den Reichtum von Urrungfaust legen. Und in Wahrheit sollte Urrungfaust an den Tempel des Jensehers und damit an Jiarlirae gebunden werden.

Für uns gab es nichts mehr zu tun und wir verließen die stinkende Stadt des Unterreichs über die breite Brücke, auf dem Weg auf dem wir gekommen waren. Es war das gewaltige Bauwerk über den See von Arbolbaar, das von den Nachtzwergen Brücke Irrlingglomm genannt wurde. Keiner behelligte uns auf den Weg, auch wenn uns einige immer wieder misstrauische Blicke zuwarfen, vor allem unserem „Meister Halbohr“. Wir waren fast schon über die breite und imposante Brücke gelangt, als Bargh etwas Merkwürdiges auffiel. Er zeigte in die Richtung, in der die Brücke sich dem Ufer der Höhle näherte. Keiner von uns verstand im ersten Moment worauf er hinaus wollte, bis er sagte: „Schaut, die Wägen!“. Dann fiel es mir auch auf. Der immerwährende Strom von Karren, Kutschen und Kolonnen war in unsere Richtung abgebrochen. Einige Wägen betraten gerade noch die Brücke um ihre Waren in Urrungfaust anzubieten, doch es kamen keine neuen aus dem Dunkel der Tunnel. Halbohr sprang schnell zu einem der letzten Wagen. Der ältere Nachtzwerg der ihn zusammen mit seinem Sohn führte, erkannte ihn fast direkt. Er wusste auch etwas, doch die Gier dieser Geschöpfe war unermesslich. Selbst für eine einfache Frage wollte er bezahlt werden. Ich hätte ja die Worte mit glühendem Stahl aus ihm heraus gebrannt, doch Halbohr war schwach und gab nach. Zwei blitzende Citrine hielt er ihm vor seine knollige Nase. Das lockerte seine Zunge. Er erzählte, dass sie tatsächlich in den Tunneln etwas gesehen hatten. Ein Glitzern von Metall, wie von Rüstungen. Das war auch gar nicht weit weg gewesen. Und er hatte Stimmen gehört. Sein Sohn bestätigte es. Er hatte sogar etwas mehr gesehen: Die Schatten von Gestalten, die aber viel zu groß waren um Duergar sein zu können.

Das Ganze war sehr besorgniserregend. War neben dem Tempel und Urrungfaust noch eine dritte Macht im Spiel die sich bisher bedeckt hielt? Das sollte und durfte nicht sein. Wir mussten die einzige Macht sein und unsere Vorherrschaft durfte von niemanden angefochten werden. Lyrismar nahm magischen Kontakt zu Neire auf. In seinem Geist hielt er eine kurze Zwiesprache mit Neire, der weit weg im Tempel des Jensehers verweilte. Er fragte den Propheten des Tempels des Jensehers um Rat. Neire berichtete, dass dort ein Spitzel ausfindig gemacht wurde. Dieser hatte unseren Weg und unsere Ziele verraten, nämlich, dass wir von Urrungfaust aufbrachen. Wer dieser Spitzel war und von wem er bezahlt wurde wusste er noch nicht. Die Folterungen brachten jedoch eine Spur, die nach Fürstenbad führte. Barghs Gesicht wurde grimmig als Lyrismar die Worte die er hörte wiederholte. Was wollten sie hier und was hatten sie mit uns zu tun? Wollten sie an Bargh Rache nehmen? Oder war es nur reiner Zufall? Ich rätselte über die Gründe, als Bargh ein weiteres Mal rief und auf das dampfende und stinkende Wasser des Sees deutete. Jetzt sah ich, was er meinte. Irgendetwas machte eine Spur von Wellen im Wasser, und diese Wellen kamen auf uns zu. Wir zogen unsere Waffen und sprachen unsere Gebete zum Lob von Jiarlirae. Dann brach wie aus dem Nichts die Kreatur hervor, die sich im Tiefflug unsichtbar über das Wasser bewegt hatte.

Ein gewaltiger Schatten der die Lichter der Dunkelfeuer von Urrungfaust schluckte legte sich über uns. Eine Kreatur mit riesigen Schwingen und schuppigen Körper. Hier und da blitzten die Schuppen wie Kupfer auf, doch an vielen Stellen sahen sie aus, als ob das Kupfer vom Grünspan zerfressen wurde. Die Augen der Kreatur brannten in grünem und rötlichem Licht. Der gewaltige Schädel warf sich nach hinten. Doch der Schwanz der Kreatur war kürzer als man es eigentlich erwartet hätte. Ab der Mitte schien es, als ob der Rest weggebrannt wurde. Schwarze vernarbte Schuppen waren das Einzige, was übriggeblieben war. Die Kreatur trug auf ihrem Rücken ein Geschirr mit mehreren Sätteln wovon einer besetzt war, von einer Frau mit langen silbernen Haaren und einer Haut die so hell war wie kaltes Mondlicht. Als ich den Schwanz sah, erinnerte ich mich in einem Buch von so einer Kreatur gelesen zu haben. Dies musste der alte kupferne Drache der Wildweberberge sein, Lysseryth’Branthil. Die Berge, in denen er in den Geschichten lebte, waren ganz in der Nähe von Fürstenbad. Auch wurde von einem Kampf zwischen Lysseryth‘Branthil und einem anderen Drachen mit roten Schuppen erzählt, bei dem der kupferne Wurm als Verlierer hervorging und dabei einen Teil seines Schwanzes einbüßen musste. Der Schädel stieß zu uns herab und aus den Tiefen des Rachens spie er eine grüne Flüssigkeit auf uns alle. Schon als der erste Tropfen meine Haut berührte, brannte es fürchterlich und dann kam der Rest der Flüssigkeit auf mich. Ich musste aufschreien als sich meine Haut begann aufzulösen. Den anderen ging es nicht besser. Und dabei hatten wir noch Glück denn wir konnten alle noch ein Stück zur Seite springen. Auf der Brücke nach Urrungfaust tauchten weitere Gestalten auf. Ganz vorne schritt ein Krieger in einem Feldharnisch aus einem matten Stahl, auf dem Runen und das große Bild eines Adlers prangerten. Unter dem Helm quollen lange blonde Haare hervor und er trug einen purpurnen Mantel über seine Rüstungen. Dieser wehte durch die Schwingen des Drachen zur Seite und ich konnte darauf das widerliche Symbol von Torm sehen. Hinter ihm folgte ein Trupp von Rittern und weiteren Soldaten, die schon ihre Bögen spannten. Der Ritter des Torm stellte sich uns entgegen und brüllte über die Brücke: „Meister Halbohr, ihr werdet bezahlen für eure Taten. Stellt euch ehrenhaft im Kampf und sterbt!“ Ich rappelte mich auf. Sie sollten die wahre Macht Jiarliraes zu spüren bekommen. Ich beschwor einen gleißenden Blitz und schleuderte ihn auf die Drachenkreatur. Doch er fuhr einfach an den Schuppen entlang, ohne dass die Kreatur etwas davon zu bemerken schien. Stattdessen jedoch fuhren die Energien auf die Frau im Sattel die gerade schon begonnen hatte Zauberformeln zu rezitieren. Sie schrie auf, als auch ihre Haut aufplatze und ihr Fleisch begann zu kochen.

Zur gleichen Zeit stürmte Bargh den Rittern entgegen. Das Wappen von Fürstenbad setzte ihn in Rage. Die Schatten von Glimringshert tropften aus der Klinge. Der Ritter erhob sein Schild und Barghs Schwert krachte scheppernd dagegen. Er wollte den Angriff mit seinem Hammer erwidern doch auch Bargh wehrte den Angriff mit seinem Schild ab. Ich hörte das Klingen von Stahl auf Stahl, das für eine Weile tobte. Dann war da ein fürchterlicher Schrei. Glimringshert zog einen Flammenschweif hinter sich und der vor Hitze glühende Stahl fuhr durch das Bein des fremden Ritters. Sauber schnitt Bargh durch Muskeln und Knochen, als ob sie nur aus Luft bestünden. Der stolze Ritter fiel zur Seite, als Bargh sein Bein an der Hüfte abhackte. Dennoch feuerte er unter Schmerzen seine Kameraden weiter an. Die Soldaten in den letzten Reihen entließen ihre gespannten Bögen und ein Pfeilhagel legte sich über uns, während die anderen Ritter an Bargh vorbei stürmten. Sie wollten Halbohr um jeden Preis. Lyrismar beschwor mit seinem Stecken weiter Blitze, aber auch dieses Mal fuhren sie einfach der Schuppen des kupfernen Wurmes entlang in den Körper der Frau hinein. Sie schrie kurz auf, dann fiel der tote Körper mit einem dumpfen Knacken auf die steinerne Brücke. Ihr schöner elfischer Schädel hatte sich geöffnet und etwas Rotes hatte sich dort verteilt. Ich freute mich, als ich sie stürzen sah und musste trotz meiner Schmerzen auflachen, als sie dort am Boden lag. Wie sich nachher herausstellte, hatten wir die alte elfische Hexe der Wildweberberge getötet, die elfische Königin Learwy’thi’Silgur. Die Ritter trafen jetzt auf uns, aber ich und Halbohr erwarteten sie schon. Mein dem Chaos geweihter Säbel blitze nach vorne, viel zu schnell, als dass der Ritter ebenfalls sein Schild erheben konnte. Auch der Dolch von Halbohr fand sein Ziel und stach in den Hals eines anderen Ritters. Bargh war ihnen in der Zwischenzeit gefolgt und griff sie von hinten an, doch als ob seine Wut auf Fürstenbad ihn übermannt hätte stolperte er. Glimringshert dürstete es nach Blut und es war der Klinge egal wessen Blut es werden sollte. So senkte sich der Stahl in Barghs eigenes Bein. Es sah so aus als ob der Kampf nicht gut enden würde für uns, doch dann kam der Prophet von Flamme und Düsternis zu uns.

Wie ein Engel aus Schatten erschien er in der Luft über der Brücke. Sein Gesicht war noch eingehüllt in seinen Mantel, doch konnte ich die blonden Locken erkennen. Aus seiner Hand schossen mehrere glitzernde Geschosse aus Schatten in den Kopf des Drachen die nicht mehr einfach abflossen, sondern an den Schuppen aufplatzten. Die Kreatur brüllte als sich dunkles Blut über die Brücke ergoss und ein riesiges Stück Kupfern-besetztes Fleisch aus ihrem Körper gerissen wurde. Ein Diener des Torm rief die anderen zum Sturm, während er selbst eine Säule der Flammen auf uns warf. Doch Glimringshert konnten die Flammen nicht schaden. Das Schwert saugte sie in sich auf und brach die Macht des schwachen Gottes. Der Anführer der Ritter, ein Krieger mit Namen Sigwolv von Ulminrun, wie wir später erfahren sollten, hauchte seine letzten Atemzüge, während das Blut in Strömen aus dem Beinstumpf floss. Mit einem röchelnden Schrei rief er: „Verzagt nicht, meine Brüder. Tötet sie!“ Dann verdrehten sich seine Augen und er starb in der Gewissheit versagt zu haben. Neire hatte die Wendung gebracht und das ist ihm bewusst geworden. Der Drache war schon in einer Taumelbewegung als weitere Geschosse von Neire in den Körper trafen. Eine gewaltige Wunde platzte dabei auf und die Kreatur rammte mit einem kolossalen Getöse in den Stein der Brücke. Lyrismar beschwor eine Feuersbrunst die sich mit einem Bersten über die restlichen Soldaten legte. Ich sah Teile von Körpern durch den Druck einfach wegfliegen, als ob jemand einen kleinen Zweig aus einem Ast reißen würde. Auch Bargh war wieder auf den Beinen, seine Wunde war zum Glück nicht so tief. Von hinten schnitt das Schwert den Rücken eines Ritters auf und von vorne teilte ich die Kehle eines anderen. Einer nach dem anderen fiel. Doch waren sie verblendet und sahen nicht wie hoffnungslos ihr Kampf geworden war. Der letzte Anhänger des Torms lag in einer Lache seines Blutes. Zitternd versuchte er noch zu sprechen, als ob das, was er sagen würde noch irgendeinen Wert hätte: „Seht was ihr angerichtet habt. Ihr seid mit Dämonen im Bunde…“.

Ich lachte ihn aus, denn ich wusste, dass er log. Nein, wir waren im Bunde mit der Schwertherrscherin Jiarlirae, der Herrin über Feuer und Schatten. Wir hatten Nebelgard, den Tempel des Jensehers, Unterirrling und Urrungfaust erobert, doch ich wollte mehr. Bald schon, sehr bald würde auch Fürstenbad mit meiner Herrin im Bunde sein, oder es würde brennend untergehen.​
 
Zwischenspiel 01 - Ringgeist Fraertha

Die Luft des Gemachs roch nach fluoreszierenden Tinkturen, nach den alchemischen Flüssigkeiten, die dort in den Schatten aufgebahrt waren. Für Ungewohnte mochte der Hauch abstoßend sein, zu beißend und zu fremdartig. Neire störten die Dämpfe kaum noch. Zudem musste er sich jetzt konzentrieren. Er musste seine Müdigkeit überwinden, musste sie abschütteln wie eine zweite Haut. Der junge Priester ließ für einen Augenblick seine zitternden Hände sinken und betrachtete die Dietriche, die er zwischen seinen Finger verhakt hatte. Er senkte seinen Kopf mit dem gold-blond gelockten Haar und dachte an die beiden letzten Wochen zurück. Seit der Abreise von Bargh, Zussa und Halbohr, hatte Neire seine freie Zeit in dem alten Lagerraum verbracht. Er hatte wenig geschlafen und die Pläne und Unternehmungen von Halbohr vorangebracht. Doch innerlich war Neire von Zweifeln geplagt gewesen. Er hatte die Tätigkeiten unterschätzt, die Halbohr mit seiner minutiösen Planung verfolgt hatte. Nicht nur die sture Beharrlichkeit Halbohrs hatte Neire nicht aufbringen können, sondern auch die Anweisungen und Unterredungen, die er mit den neuen Dienern Jiarliraes abhalten musste, waren ihm unangenehm. Viel lieber flüchtete er sich in den alten Lagerraum, den er langsam in ein kleines Labor umgerüstet hatte. Hier hatte er die Apparaturen aus Ortnors magischer, extradimensionaler Kammer aufgebaut, die sie vor Barghs Abreise dort herausgeholt hatten. Hier hatte er auch die drei sphärischen Gegenstände aufgebahrt, die Lyrismar Schwefelschimmer ihm vor einigen Tagen aus Urrungfaust gebracht hatte. Die Sphären waren aus Ne’ilurum, besaßen eine Käfig-ähnliche Struktur und Kristallglasverbindungen. Nur ein mattes Licht drang aus den Fenstern aus Bergkristall, die im dunklen Ne’ilurum Stahl eingelassen waren. Doch auch die Gedanken an die wundersame Bestimmung der Sphären, die Neire zu ergründen versucht hatte, waren für den Moment in weitere Ferne gerückt. Neires Aufmerksamkeit lag auf der kleinen bleiernen Tür, die er hinter einem Schrank entdeckt hatte. Sie war verschlossenen; Halbohr, Bargh und Zussa mussten sie wohl übersehen haben. Neire atmete tief ein und begann die Dietriche in das Schloss einzuführen. Er hatte die Tür bereits nach Fallen untersucht und eine giftige Nadel entdeckt. Der Schlossmechanismus war sehr alt und kompliziert. Er musste bereits von den elfischen Erbauern des Tempels konstruiert worden sein. Neire begann die Dietriche an den Kraftpunkten zur fixieren. Seine Hände waren jetzt ruhig. Als er sich sicher war, dass er genügend Halt hatte, leitete er die Bewegung ein. Das Metall der Dietriche begann sich zu spannen, das alte Schloss knirschte. Für einen Augenblick glaubte er, die Fixierung würde reißen. Doch er hatte auch Glück. Die Bewegung hakte nicht und endete schließlich mit einem Einrasten. Neire atmete aus. Sein Herz raste und er hörte seinen Puls in den Ohren. Er zog vorsichtig die Tür auf. Dahinter sah er ein kleines, etwa drei mal drei Schritt großes Gemach liegen. Die Wände waren mit Blei beschichtet. Eine dicke Schicht Staub verhinderte ein Schimmern. Dennoch drang genügend des vielfarbigen Lichtes hier hinein. Der Raum war leer, bis auf ein kleines eisernes Podest. Dort lag ein funkelnder Ring auf einem verwelkten Stück Samt. Neire schlich sich langsam näher und betrachtete seinen Fund. Der Ring war aus einem Kranz von schwarzem Opal, der über glänzendes Mithril geschoben war. Vorsichtig untersuchte Neire das Podest und den Ring nach Fallen und Flüchen. Nur als er sich sicher war, nahm er den Ring auf. Ein merkwürdiges Kribbeln floss durch seine Finger und stieg seinen Arm hinauf. Es war, als würde er ein fernes Flüstern hören. Er versuchte sich zurückzuerinnern. Er hatte schon einmal von einem solchen Ring gelesen. Es musste sich um einen der Svaerendor handeln – ein Arkefakt aus einer fernen Welt; Ringe, die okkulte, mächtige Geisterwesen an sich gebunden hatten. Neire hatte auch von einem alten Fluch gehört, doch er hatte keine direkte Gefahr verspürt. Er begann sich den Ring über den Ringfinger der linken Hand zu ziehen. Das Flüstern wurde stärker. Wie eine ferne Stimme sprach es zu ihm. Lieblich, eindringlich und flehend zugleich. Es war ein besonderer Zustand, in den sein Verstand glitt. Fast wie der, des geöffneten Geistes. Neire betrachtete das funkelnd schwarze und helle Schimmern. Er begann den Ring zu drehen. Zuerst wurde das Säuseln geringer. Dann war es plötzlich da. Ein kalter Windhauch erfüllte den Raum und silbriges Licht war zu sehen. Sein Atem kondensierte in der zuvor warmen Luft; Eiskristalle begannen sich an den Wänden zu bilden. Da war ein Gesang, wie von alten elfischen Runenliedern. Neire spürte, dass ihn etwas von hinten betrachtete. Langsam begann er sich umzudrehen. Vor den Lichtern des alchemischen Gemachs, den Steintischen und Regalen, stand die geisterhafte Gestalt. Sie war lieblich anzusehen; von bleicher Haut und silbrigem, langen, lockigem Haar. Ein Hauch von Frost war um sie herum, doch sie fröstelte nicht. Im Gegenteil. Silberne feine Ketten, an denen kleine blaue Juwelen funkelten, bedeckten Brust und Scham ihres sonst nackten Körpers. Magisch blau leuchtende Augen blickten ihn aus einem noblen Gesicht an. Hohe Wangenknochen, eine gerade Stirn und spitze Ohren charakterisierten die Schönheit ihrer übermenschlichen Symmetrie. Der junge Priester stand in diesem Moment da und betrachtete das Wesen aus einer anderen Zeit. Dann hörte er ihre Stimme.

Ringgeist: „Ihr habt mich gerufen Meister des Rings. Ich gebe mich euch hin und begrüße euch, Neire von Nebelheim, Diener von Jiarlirae.“
Neire: „Ihr… ihr dient dem Ring, Svaerendor, ist es nicht so? Wie ist euer Name Geist?“
Ringgeist: „Weise seid ihr, mein lieblicher Junge. Ihr kennet die Namen aus alter Zeit. Mein Name ist Fraertha, doch ein Geist bin ich nicht. Gebunden bin ich, fern in Raum und Zeit, doch aus Fleisch und Blut. Jetzt diene ich euch. Fragt mich, wie ich an diesen Ring gefesselt wurde und befreit mich, wenn ihr mich befreien wollt.“
Fraertha schenkt Neire ein kaltes Lächeln. Ihre langen silbernen Locken umspielen ihre nackten Hüften. Sie kommt einen Schritt näher. Ihre Augen leuchten blau.
Neire: „Wir alle dienen alle unserem Herrn. Ich diene der Schwertherrscherin, der Königin von Flamme und Düsternis, der Dame des abyssalen Chaos. Ihre Stimme sagt mir, dass ihr nicht die ganze Wahrheit sprecht, Fraertha. Sie spricht von einem Fluch der Bindung, von verborgenem Wissen. Das Verborgene treibt den Wissenden zur Erlösung des Fluchs oder in den Wahnsinn, in dem er einst vergehen wird, sollte er den Fluch nicht brechen können.“
Fraerthas Lächeln erstirbt, als Neire die Worte zischelt. Sie hebt den Zeigefinger ihrer linken Hand, als sie spricht. In der kleinen bleiernen Kammer haben sich Eiskristalle gebildet.
Fraertha: „So sagt mir Neire, was ist euer Begehr? Ich diene euch, bis ihr mich wieder in die Schatten entlasst.“
Neire: „Die alten Sagen und Mythen sprechen von drei Wünschen, die ihr mir erfüllen müsst. Doch gebunden seid ihr an den Ring. Welche Macht gewährt ihr dem Träger?“
Jetzt tritt der Jüngling näher an Fraertha heran und streicht sich die gold-blonden Locken zurück. Sein schattenhafter Umgang verbirgt seine äußeren Konturen. Das Glitzern von Sternen sowie dunkle Aussparungen von Tentakeln sind auf seiner Robe zu erkennen.

Eine Zeit hatte sich Neire mit Fraertha unterhalten und sie nach ihrer alten Zeit gefragt. Zuerst hatte sie sich gesträubt und ihm kurze Antworten gegeben. Dann hatte sie Neire nach der Rasse der Schneeelfen gefragt und Fraertha hatte ihm von ihrer vergangenen Welt erzählt. Sie hatte von Inseln ewigen Schnees im Nordmeer berichtet, von Kriegen und von der Herrschaft ihrer hohen Rasse über versklavte Menschen und Zwerge. Sie war einst eine Hexenmeisterin am kaiserlichen Hofe gewesen. Sie hatte im Blute menschlicher Jungfrauen gebadet und schlimmere Dinge getan. Sie hatte den alten Chaosgöttern gedient. Sie hatte Arioch als ihren Herrn genannt. Sie hatte die Macht der Portale in andere Welten beherrscht und war deren schwarzer Künste Herrin. Sie gewährte Neire seinen Wunsch, den er dreimal wiederholte. Seine Worte waren: „Gewähret mir Wortgewandtheit, Ausstrahlung und Einfluss.“​
 
Zwischenspiel 02 - Die Entdeckung im Tunnel - Teil I

Es war jetzt eine Zeit her, dass Neire das letzte Mal etwas von Bargh, Zussa, Lyrismar und Halbohr gehört hatte. Zuletzt war Lyrismar Schwefelschimmer plötzlich und wie aus dem Nichts erschienen. Der Diener Jiarliraes mit der kohlenschwarz-verbrannten Haut und dem schmalen, länglichen und völlig haarlosen Kopf hatte ihm vier der Sphären aus dem dunkel-schimmernden Glasstahl übergeben. Nur kurz hatte Lyrismar über die Erstürmung des Tempels Glammringsfaust berichtet. Der Gesandte aus dem fernen Reich von Flamme und Düsternis hatte zudem nach den jüngsten Entwicklungen im Tempel des Jensehers gefragt, bevor er wieder in die Hallen des Nachtzwergengottes zurückgekehrt war. Neire hatte die geraubten Strukturen aus Ne’ilurum untersucht, aus deren kristallischen Öffnungen noch ein schwacher Schimmer von Lichtmagie drang. Er hatte festgestellt, dass die Sphären noch intakt und für das Weltentor brauchbar waren. Er hatte daraufhin einige schlaflose Nächte damit verbracht die Sphären in ihren Verankerungen anzubinden, um damit das Weltentor wieder vollständig in Gang zu setzten. Nach einigen erfolglosen Versuchen war er sich der Funktionsweise der Lichtinstrumente immer sicherer geworden. Sie schienen einen Teil derer Energien anzuzapfen, welche das dreiundzwanzigjährige Wiederkehren des Linnerzährns in die Ne’ilurum-Adern des Unterberges verbracht hatten. Neire hatte seine Erkenntnisse notizenhaft auf Papyrus niedergeschrieben und betrachtete jetzt sein Werk von teils wirren Runenzeichnungen. Er wusste, dass die Energiesphären magische Kräfte aufnehmen und für eine Zeit speichern konnten. Der Magiefluss, den diese Instrumente speicherten, war anscheinend für verschiedene Zwecke verwendbar. Er hatte Mechanismen entdeckt, die die Magie in Untergruppen von Kräften aufteilte, um sie dann nach anderen Mustern wieder zusammenzufügen. Geschah dies in richtiger Weise, konnten die unendlich-dimensionalen Gebilde von Raum und Zeit, so zusammengesetzt werden, dass neue Verbindungen und Brücken entstanden. Neire hatte sich dazu entschlossen den Vorgang als Umkehrung derer Gesetze einzustufen, die die Welt um ihn herum steuerten. Er war sich sicher, dass, sollte die Maschine in richtiger, noch unbekannter Weise benutzt werden, auch die Grenzen zu den Reichen der Götter überbrückbar sowie vielleicht die Zeit selbst umkehrbar sein würden. Er war voll von unbändiger Neugier und urtümlicher Freude, vielleicht eine Entdeckung gemacht zu haben, die einst die Schöpfung der starr-gesetzlichen Ebenen widerrufen könne. Sollte er der Prophet der Dame des aufsteigenden Chaos des Abgrundes sein, der die verhassten Reiche jener Götter in ein Urmeer aus Chaos wandelte? Er verharrte einen Moment und betrachtete sein Spiegelbild im glasigen Schimmer des dunklen Metalls. Sein Antlitz hatte an Ausstrahlung gewonnen, seitdem er dem Ringgeist seine drei Wünsche geäußert hatte. Er ahnte und wusste, dass noch etwas fehlte in seinen Forschungen. Er war gerade dabei das Weltentor auf einen Fokus zu setzen. Die Kristallsphären mussten dafür in eine bestimmte Neigungs- und Drehwinkel gesetzt werden, um das Tor auf einen Punkt einer fernen Welt zu richten. Die Verdunklung der Kristallgitter, die über Mechanismen in den Sphären selbst bestimmbar war, entschied dann mit den Neigungen und Drehungen über die auszuwählende Welt. Die Möglichkeiten schienen schier unendlich zu sein. Er hatte eine lange Zeit damit verbracht verschiedene Kombinationen auszuprobieren. Der Vorgang war dem ähnlich, den er mit seinen Dietrichen vollführte, wenn er ein Schloss öffnen wollte. Allerdings waren es hier nicht mechanische Kraftpunkte und Drehrichtungen, mit denen er das Schloss bewegen wollte. Das Gebilde des Weltentors musste auf einer imaginären Ebene der Erkenntnis einrasten, um den Mechanismus der Umkehrung zu aktivieren. Zu dieser imaginären Ebene musste sich zudem die Weltliche einfügen, um bestimmte, wiederkehrende Zyklen aus dem Chaos zu schöpfen. Neire hatte bereits eine Kombination entdeckt. Jetzt forschte er an einer neuen Konstellation, die ihm den Weg zu einem anderen Ort dieser Welt öffnen sollte. Das Tor begann zu flimmern und er konnte sehen, wie sich die geisterhaft-durchsichtige Spiegelscheibe bildete, die sich begann über dem Boden zu drehen. Sollte er die Kombination finden, die das Portal öffnete, musste er schnell sein. Er hatte zwar einige nachtzwergische Söldner befehligt nahe dem Weltentor zu wachen, doch sollte etwas das Portal durchdringen, wäre er für eine Zeit allein der Gefahr ausgesetzt. Sicherer fühlte er sich, wenn er den Raum verlassen und die Türe mit dem schweren Rad von außen verriegeln würde. Neire konzentrierte sich, um den Lichtpegel der letzten Sphären zu justieren. Er lauschte dem summenden Geräusch. Er fühlte den Kraftfluss der Magie des Unterberges. Er spürte das Ne’ilurum der Irrlingsspitze, das unsägliche Mächte speicherte. Doch da war auch etwas Anderes. Ein Geräusch das wie… ja es waren, es mussten Schritte sein. Schnell, als wenn jemand laufen würde. Sie hallten durch ein Gewölbe und sie kamen näher. Neire zögerte, dann ahnte er Herkunft des Geräuschs. Aus dem Tunnel hörte er plötzlich ein Rufen in der Sprache der Nachtzwerge. „Wo ist er, wo ist der Prophet? Wo ist Neire von Nebelheim?“​
 
Zwischenspiel 02 - Die Entdeckung im Tunnel - Teil II

Neire war Granrig Hellengrub durch die Tunnel gefolgt. Er hatte keine weitere Zeit damit verloren das Weltentor zu öffnen. Im Gegenteil. Kurz bevor er den Raum verlassen hatte, hatte er eine der Kristallsphären in eine neutrale Stellung bewegt, in welcher der Kraftfluss der Magien unterbrochen war. Jetzt eilte er mit dem Baumeister durch die alten Gänge des elfischen Komplexes. Der Nachtzwerg, der den Bau des Tunnels nach Wiesenbrück verantworte, ging voran. Nur wenn Neire mit ihm sprach, drehte er sich um und antwortete ihm. Er hatte Neire bereits berichtet, dass etwas im Tunnel vorgefallen war; dass sie etwas entdeckt hätten und dass sie in ein Höhlensystem hineingebrochen waren. „Und ihr sagtet, ihr habt noch keinen Schritt durch die Öffnung getan? Ihr habt nicht nachgesehen, was dahinter war?“ Granrig drehte sich wieder um zu Neire, als er ihm antwortete. Der Nachtzwerg hatte langes schwarzes, gelocktes Haar und ein, für einen Zwerg, schmales Gesicht. In der Dunkelheit funkelten seine grauen Augen. Granrig besaß keinen Bart und war gekleidet in seine Schuppenrüstung aus geölten Stahlplatten, in der Form kleiner Schilde. Auf seinem Haupt und seiner Rüstung haftete noch der Steinstaub des Tunnelbaus. Sein kleines Schild hatte der Nachtzwerg an seiner linken Schulter befestigt, seine militärische Picke trug er im Gürtel. „Wir haben den Tunnel sofort gesichert. Ich sagte euch doch bereits, mein Prophet. Ich habe mich an die Erfahrung meines Volkes gehalten und dem jungen Feuerriesen Theredal das Kommando übergeben. Er und Gelundara wachen dort über die Orks, die für die Steinarbeiten eingeteilt waren.“ Neire dachte an die jungen Feuerriesen, die sich beim Dienst im Tunnelbau abwechselten. Er hatte bereits öfters mit Theredal gesprochen, der für einen Feuerriesen relativ intelligent war. Theredal konnte lesen und schreiben und hatte sogar Interesse an Jiarlirae gezeigt. Die junge Feuerriesin Gelundara kannte Neire nicht so gut. Er wusste, dass sie für eine Feuerriesin stark und groß gewachsen war. Auch hatte er von ihrem aufbrausenden Charakter gehört. Sie hatten mittlerweile den einstigen Forschungskomplex der Grauelfen verlassen und schritten durch die Höhlen, in denen die Orks hausten. Die Kaverne war natürlichen Ursprunges und nicht erleuchtet. Zwischen Tropfsteinen, die an einigen Stellen, die Verbindung zwischen Boden und Decke hergestellt hatten, flackerte jedoch der Schein von Feuer. Der Gestank von Müll, verrottetem Fleisch und Fäkalien erfüllte die Höhle. Zudem war das Schreien von Orkkindern zu hören. Sie verließen die Kavernen der Orks und gelangten durch einen Gang zur Halle der unterirdischen Spalte. Der Tunnel, der sie dorthin führte war bereits verbreitert worden. Die Riesen hatten den Stein an vielen Stellen abgeschlagen und den Gang auf eine Breite von mindestens drei Schritten sowie eine Höhe von vier bis fünf Schritten erweitert. Jetzt lag der Tunnel hinter ihnen und sie blickten auf die schwarzmetallische Konstruktion, die den an dieser Stelle verbreiterten Abgrund überspannte. Die Höhle wurde bereits von zwei Feuerkäfern erhellt, deren Licht aus den eisernen Käfigen drang, die dort von der Decke hingen. Zwei grimmige Feuerriesen, der eine gehüllt in ein Kettenhemd, der andere in einen Schienenpanzer, hielten dort Wache. Sie wurden unterstützt von acht Orks, die für die Wache sowie den Betrieb der beweglichen Plattform vorgesehen waren. Neben dem Transport der Tunnelgräber bewegten sie hauptsächlich den Abraum des Tunnels hinauf. Die Orks sahen zwar erschöpft aus, waren aber längst wieder zu Kräften gekommen, nachdem sie sie damals aus den Kerkern des Nomrus befreit hatten. Vernarbtes Gewebe war jedoch an den Stellen zu erkennen, an denen ihre Haut nicht von Schuppen- und Lederpanzern bedeckt war. Granrigs Stimme dröhnte durch die Halle, die im rötlichen Schimmer der Feuerkäfer lag. „All der Götterheil Jiarlirae! Gribtus, Ulfur. Macht die Plattform bereit. Der Prophet ist mit mir und wir müssen hinab.“ Beide Feuerriesen schienen die Kommandos in der gemeinen Zunge zu verstehen und murmelten kurze Beleidigungen gegen den Nachtzwerg. Gribtus, der kleinere der beiden Riesen, drehte seine gedrungene Gestalt in Richtung der Orks und donnerte den Befehl. „Auf das Rad, worauf wartet ihr noch, verfluchte Bastarde. Der Prophet ist hier und muss hinab in den Tunnel.“ Neire betrachtete den Feuerriesen. Gribtus‘ lange rot-blonde Haare quollen unter seinen Helm hervor. Er besaß einen kurzen, ausgefransten rot-braunen Bart. „Schaut sie an, wie langsam sie klettern, Prophet! Wir sollten vielleicht ab und an einen in den Schacht hinabwerfen, so dass sie das hinaufklettern lernen, hahahaha…“ Gribtus hatte Neire in der Sprache der Feuerriesen geantwortet und hielt sich jetzt den Bauch. Neire grinste zwar, aber der ältere, größere Feuerriese Ulfur zog eine missmutige Miene. „Wie sollten sie das überleben, dort hinab. Wollt ihr dann selber auf das Rad steigen Gribtus? Nicht lustig, nicht lustig.“ Gribtus‘ Lachen wurde weniger, als er den fettleibigen Ulfur betrachte. Ulfurs Gesicht war dreckig und ungepflegt, wie auch seine Rüstung. Strähniges Haar war größtenteils unter seinem Helm verborgen und bernsteinfarbene Augen musterten seinen Kameraden. Beide Feuerriesen hatten aschgraue Haut. Bevor Gribtus etwas erwidern konnte, antwortete Neire. „Lernen sie nicht, müssten sie gezüchtigt werden. Doch wir brauchen sie lebend. Tod im Schacht nützen sie uns nichts.“ Beide Feuerriesen nickten zustimmend und beobachteten sie. Neire und Granrig waren bereits auf die Plattform gestiegen, die an vier Seilen hing. Gribtus murmelte zwar noch etwas, doch Neire konnte die Worte nicht verstehen. Dann senkte sich der Aufzug in die Tiefe. Das Knirschen von Kettengliedern war zu hören, als die Orks sich auf der Trittrolle bewegten. Die Plattform schaukelte bedrohlich, als es durch den Steinschacht hinabging. An den Wänden funkelten die Spuren des Ne’ilurumerzes in matten, dunklen Glastönen. Als sie ein Stück hinabgelitten waren und die Geräusche der Ketten leiser wurden, sprach Granrig zu Neire. „Prophet, sie gehorchen zwar der Königin und achten euch, doch sie tun alles um sich meinen Anweisungen zu widersetzen. Es gefällt mir nicht. Wir kommen nicht schnell genug voran. Und wer weiß, wann sie ihre Gelegenheit sehen mich mit einem Felsbrocken zu erschlagen. Ich habe keine Angst, doch ich habe ein ungutes Gefühl.“ Neire strich sich die Locken zurück, die mittlerweile von Steinstaub bedeckt waren. Der Luft des Schachtes war wie von einem feinen Nebel durchzogen, den man auf der Zunge schmecken konnte – der zwischen den Zähnen knirschte. Er nickte, als er antwortete. „Ich verstehe Granrig. Sie erinnern sich an Umbari, den Diener König Isenbuks. Er verriet einst seinen König und zahlte den Preis dafür. Vielleicht sehen sie Umbari, wenn sie mit euch reden.“ Granrig schüttelte den Kopf und wollte gerade antworten, da unterbrach Neire ihn. „Ihr werdet unsere heilige Sache nicht verraten, Granrig. Ich sehe die Zukunft in Flamme und Düsternis und ich sehe euch dort. Ich werde mit Königin Hulda sprechen müssen. Ihr gehorchen die Feuerriesen und sie werden ihr nicht widersprechen.“ Granrig nickte, als sie weiter in die Tiefe sanken. „Habt Dank, mein Prophet.“ Schon bald kam die Plattform zu einem Halt. Sie waren am Fuß der Spalte angelangt, die nur im Bereich des Schachtes verbreitert worden war. Spinnweben und Gebeine füllten den Grund der natürlichen Felsöffnung aus. Sie drehten sich jedoch zu dem Tunnel, der durch den Stein der Irrlingsspitze hinfort führte. Der Gang war fast fünf Schritt breit und ebenso hoch. Er führte durch die ewige Dunkelheit, mit einer leichten Abwärtsneigung. Für eine lange Zeit knirschten ihre Schritte über die Steine, die noch hier und dort lagen. Je weiter sie kamen, desto weniger wurden die Erzspuren des Ne’ilurums. Schließlich konnte Neire die kältere Luft spüren, die durch den Tunnel drang. Ein Höhlengeruch, wie von Wasser und Erde kam ihnen entgegen. Dann hörten sie die Stimmen und sahen Umrisse nebelhaft im flackernden Fackellicht. Zwei riesenhafte Gestalten, von muskulöser, leicht gedrungener Gestalt. Sie hielten ihre Köpfe geduckt, wohl bedacht nicht an die Decke zu stoßen. Ihren Gesichtern war ihre Jugendlichkeit anzusehen, die im Kontrast zu ihren großen Körpern stand. Beide Riesen waren umringt von fast zwei Dutzend orkischer Arbeiter, die auf Abraum saßen oder lagerten. Die heranwachsenden Riesen drehten sich zu ihnen, als sie die Schritte im Tunnel hörten. Je näher sie kamen, desto besser war der Dunst von Steinstaub zu durchblicken. Gerätschaften und Loren standen im Gang, Werkzeuge waren an die Wände gelehnt. Neire konnte hinter den Gestalten ein Loch in der Felswand des Tunnels erkennen – dorthin, wo sie den Gang gruben. Ein Raunen von grunzenden und gutturalen Stimmen war zu hören, das die beiden heranwachsenden Riesen mit einem scharfen Zischen unterbanden. Hervor trat Theredal, der, von Steinstaub bedeckt, nur einen Lendenschurz trug. Er war schlank und drahtig für einen Feuerriesen und trotz seines jugendlichen Alters bereits fünf Schritt groß. Ein kindliches Gesicht kennzeichnete ihn, ohne Bartwuchs und umrahmt von langen, fettigen schwarzen Haaren. Er beugte sich zu Neire hinab und begrüßte ihn: „Allheil Jiarlirae! Ihr seid endlich gekommen, Prophet. Wieso mussten wir so lange warten hier?“ Neire nickte ihm zu und zog seinen Tarnumhang zurück. „Granrig suchte mich im Tempel auf und erzählte mir von eurem Fund. So tretet zu Seite und lasst mich sehen, was ihr entdeckt habt.“ Theredal trat zur Seite, doch da war Gelundara, die jetzt den Gang versperrte. Sie war jünger als Theredal, aber bereits genauso groß wie er. Auch sie war in Unterkleidung gehüllt und von Steinstaub bedeckt. An einigen Stellen hatte getrockneter Schweiß lange Bahnen in den Staub ihrer schwarz-grauen Haut gezogen. Sie war muskulöser als Theredal und korpulent. Ihre rötlichen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. „Ach was, er hat uns warten lassen, dieser kleine Bastard. Wieso sollte er anders als Umbari sein? Wieso sollten wir ihn nicht hier und jetzt zerquetschen und den Orks zum Fraß vorwerfen?“ Ihre rötlich schimmernden Augen funkelten hasserfüllt in ihrem rundlichen Gesicht, als sie sprach. Neire richtete sich auf und trat ihr einen Schritt entgegen. Er durfte keine Schwäche zeigen. Obwohl er innerlich vor Furcht zitterte, klang seine Stimme entschieden. Neire würde die Kraft der Linsen des Jensehers einsetzen, sollte sie ihm widersprechen. „Ich bin Neire von Nebelheim. Ich bin der Prophet, dem eure Königin Hulda vertraut, der euch hierhin geführt hat und euch einst vor dem Verrat Umbaris und eurem Verderben bewahrte. Ihr müsst eurer Königin gehorchen. Sie hat euch aufgetragen diesen Gang zu graben, unter Granrigs Kommando.“ Neire sah, dass Gelundara ein beleidigtes Gesicht zog. Er fuhr weiter fort. „Solltet ihr euch weigern, werde ich mit Königin Hulda sprechen. Ihr solltet ihre Strafe fürchten.“ Gelundara schien zu grübeln. Sie konnte die Worte wohl nicht ganz fassen, nickte aber und trat zurück. Neire bewegte sich näher zu den beiden jungen Riesen und den orkischen Arbeitern. Er blickte in Richtung des Lochs in der Höhlenwand, aus dem ihm klare, kalte Luft entgegenströmte. Theredal und Gelundara wichen zur Seite und wiesen ihm den Weg. Er hörte das schweinische Grunzen einiger Orks, die ihn bewundernd anschauten und ihre Köpfe vor ihm beugten. Die Öffnung war drei Schritt hoch und gerade breit genug für ihn durchzusteigen. Neire überlegte einen Augenblick, ob er allein hindurchsteigen oder die beiden Riesen mit ihm nehmen sollte. Das Fackellicht des Tunnels drang nicht weit in die Dunkelheit dahinter. Er hörte ein Rauschen, wie von Wasser und sah den Schimmer bleicher fluoreszierender Pflanzen. Dahinter schien es hinabzugehen, in die Tiefe. „Theredal, Gelundara, verbreitert die Öffnung. Wir werden zu dritt hinabsteigen. Granrig wird mit den Arbeitern hierbleiben.“ Er trat einen Schritt zurück und beobachtete, wie die beiden jungen Riesen ihr Werk vollbrachten.

Steine waren polternd in die Tiefe gefallen. Der Nachhall hatte eine größere Höhle erahnen lassen. Theredal und Gelundara hatten ihre Werkzeuge mit Gewalt und Geschick eingesetzt und das Felsgestein hinfort geschlagen. Als das Loch breit genug für die beiden Riesen war, hatten sich Theredal sowie Gelundara bewaffnet und eine Fackel aufgenommen. Dann waren sie hinabgestiegen. Neire war ihnen gefolgt. Sie hatten den Tunnel offenbar in die Felswand einer Höhle getrieben, die knappe vier Schritt unter ihnen aufragte. Im Licht der Fackeln hatte sich Neire der Blick auf nässlich schimmernde Felswände eröffnet. Der Boden war von einer Schicht Erde bedeckt gewesen, auf der Flechten und matt-weißlich fluoreszierende Pilze wuchsen. Sie hatten begonnen die Höhle zu erkunden und einen klaren unterirdischen See gefunden. Am Ufer des Sees hatten sich Bänke aus dunklem Sand gebildet, die teils von Flechten überwachsen waren. Neire hatte mittlerweile die Fackel von Theredal übernommen, der einen riesigen Zweihänder trug. Die jungen Riesen standen neben ihm und betrachteten das glitzernde, klare Wasser. Beide fröstelten in der kalten Luft, zeigten aber eine furchtlose Entschlossenheit. Gelundara trug die Fackel in ihrer linken sowie ein übergroßes Langschwert in ihrer rechten Hand. Neire deutete wortlos in eine Richtung und sie begannen dem Ufer zu folgen. Sie schritten schweigsam am Strand des Sees entlang. Zwei Lichtkegel, verloren in der Dunkelheit. Dann fanden sie den unterirdischen Fluss, der den See nährte. Entgegen des reißenden Wassers schritten sie und erkundschafteten zwei höher liegende Höhlen, die von einem Pilzwald bewachsen waren. Bis auf das beständige Rauschen des Wassers hörten sie keine Geräusche. Nicht einmal Insekten waren hier zu finden. Am Ende der zweiten Höhle stießen sie auf einen Wasserfall, der durch den Strom eines engen Tunnels genährt wurde. In dem kleinen See am Fuße des Wasserfalls konnten sie bleiche Fische sehen, die in dem klaren Wasser schwammen. Sie durchsuchten die Höhle und begaben sich dann wieder auf den Rückweg, um den Strom des Wassers zu folgen. Nach einiger Zeit kehrten sie zurück in die Höhle mit dem See und schritten am Ufer entlang. Auch hier schlossen sich mehrere kleinere und größere Kavernen an, die mit bleichen Pilzen bewachsen waren. Die Höhlen waren frei von Tieren, die nicht im Wasser lebten. Die letzte Höhle war fast vollständig von einem See ausgefüllt, dessen Wasserstand niedriger als die ihn umgebenen Felskanten lag. Das Wasser war klar und tief und sie konnten nicht sehen, wohin der unterirdische Strom floss. Das Fackellicht war zu schwach, um in weitere Tiefen vorzudringen. Neire hatte jedoch genug gesehen. Die Höhlen schienen unbewohnt und ohne weitere Gefahren. Sie mussten Granrig Bericht erstatten. Er würde den weiteren Bau des Tunnels planen.​
 
Zwischenspiel 03 - Audienz bei Königin Hulda Isenbuk

Neire ließ sich auf einen der gepolsterten Stühle hinabsinken, den ihm Königin Hulda gewiesen hatte. Er nahm einen Schluck des von gelblichem Schaum bedeckten Dunkelbraans, welches ihm Hulda angeboten hatte. Er genoss den starken, bitteren Geschmack und die feine, säuerliche Note des urrungfauster Bieres. Neire musterte die Königin kurz, ließ seinen Blick dann aber durch das Gemach schweifen. Pechfackeln brannten an den Wänden und warfen lange flackernde Schatten. Der Boden war mit kostbaren Fellen ausgelegt und gestickte Teppiche schmückten die Wände. Dort waren die Runen von Jiarlirae zu sehen sowie Feuerriesen, die in glorreichen Schlachtenszenen dargestellt wurden. Teils stammten die Wandteppiche noch aus den Mitbringseln König Dunrok Isenbuks. Das Empfangsgemach beinhaltete zudem Bänke und Stühle, die dem Thron aus Ne’ilurum zugewandt waren. Dort saß Königin Hulda. Zwei hohe eiserne Türen führten in anliegende Räume. Große Schatztruhen waren um die Erhöhung des Thrones aufgestellt. Die Wirkung des Dunkelbraans setzte augenblicklich ein und Neire genoss die Wärme und die flackernden Schatten des Gemachs. Er blickte Königin Hulda an, schwelgte jedoch in Gedanken an die vergangenen Monate, die seit dem Aufbruch von Bargh, Zussa, Halbohr und Lyrismar vergangen waren. Im Tempel des Jensehers hatte sich seitdem einiges verändert. Neire hatte bereits vor einiger Zeit seine Forschungen am Weltenportal abgeschlossen. Die ursprüngliche Macht des magischen Tores hatte er vollständig wiederhergestellt. Zudem war er sicher in der Bedienung des Mechanismus geworden, der das Weltenportal steuerte. Aber auch in anderen Bereichen hatte sich der Tempel verändert. Sie hatten den Ausbau der Höhlen weiter vorangetrieben. Granrig Hellengrub hatte die Arbeiten geplant und beaufsichtigt. Neire erinnerte sich an seinen letzten Rundgang durch die unterirdischen Hallen. Die Düsterheitpilze hatten sich dank des ausgeklügelten Bewässerungssystems und der beständigen Zufuhr von Fäkalien und totem Fleisch ausgebreitet. Sie hatten Riesen und Orks angewiesen ihre Geschäfte in Bettpfannen zu sammeln und sie dann in die Höhlen zu bringen. Neire erinnerte sich an das purpurne Glühen der nässlich schimmernden Höhlen. Hier und dort hatte er die zerteilten Überreste von Körpern gesehen, die bereits von den Pilzen überwuchert wurden. Wann immer einer der Orks starb - was alle paar Tage einmal vorkam, wenn ein Riese in einem Wutanfall einen erschlug – hatten sie den Leichnam zerlegt und ihn zur Anreicherung des Nährbodens unter den Pilzen verteilt. Die Höhlen hatten eine morbide Schönheit. Sie waren voll von vergänglichem Gestank, doch von einem überweltlichen, purpurnen Lichtglimmer. Aber nicht nur der Anbau der Düsterheitpilze war vorrangeschritten. Nahe den Lagern der Orks hatte Granrig eine Ne’ilurum Mine erschlossen, in der sie das wertvolle Erz abbauten. Auch der zweite zwergische Berater, Heergren Nuregrum, der von Halbohr angeheuert wurde, war nicht untätig gewesen. Der Nachtzwerg in den Diensten des Tempels des Jensehers hatte eine Schmiede und einen Hochofen aufgebaut, die sich nahe den Gemächern von Königin Hulda befanden. Dann hatte er mit der Ausbildung der Feuerriesen Vargur und Gryvik begonnen. Vargur kannte Neire gut, hatte doch der erwachsene aber sehr junge Feuerriese die Gruppe von Frauen und Kindern in die entfernten Höhlen abseits des Krieges geführt. Über ihn munkelte man, dass er von König Isenbuk und einer Feuerriesin gezeugt wurde, die bei seiner Geburt starb. Gryvik hingegen war ein heranwachsender Feuerriese, mit schneller Auffassungsgabe und guten kämpferischen Fähigkeiten. Er war von Heergren als zweiter Diener an der Esse ausgewählt worden. Zusammen hatten Heergren, Vargur und Gryvik begonnen Stahl aus Ne’ilurumerz sowie Waffen und Werkzeuge herzustellen. Sie hatten Kohlelieferungen aus Unterirrling erhalten und zudem einige Orks zum Dienst abkommandiert. Neire hätte seine Gedanken so weiter schweifen lassen können. Er dachte gerade an ihre Erfolge in der Zucht der Feuerkäfer, als er von der Stimme Königin Huldas aus den Gedanken gerissen wurde. Er verdränge die Erinnerungen an die Bruthöhle der glühenden Rieseninsekten und blickte Hulda in die Augen. Die Königin hatte ihre beiden Beine verschränkt und betrachtete ihn wohlwollend von ihrem Thron. Ihre grau-dunkle Haut hing von ihrem Körper und Gesicht in Falten hinab und wurde größtenteils von wertvollen Wildlederfällen überdeckt. Die beiden dunklen, schweinsartigen Augen betrachteten Neire bewundernd aus ihrem Ratten-ähnlich spitz zulaufenden Gesicht. Neire ließ sich nicht abschrecken von ihrer Hässlichkeit, von ihren abstehenden, rot-verfilzten Haaren und den Geschwüren, die ihre Wangen bedeckten. Er dachte zurück an ihre gemeinsamen Gespräche. Immer seltener hatte er die Linsen des Jensehers eingesetzt und über die vergangenen Monate hatte die Königin ihn auch ohne seine Bezauberungsmagie als ihren engsten Freund akzeptiert. Er hatte sie zudem von seiner Herrin, der Schwertherrscherin, der Göttin von Flamme und Düsternis überzeugen können. Auch Huldas untergebene Feuerriesen hatten sich der neuen Schutzpatronin zugewendet und ihn, Neire von Nebelheim, als ihren Propheten akzeptiert, wenngleich sie ihre Befehle nur von der Königin empfingen. Die Königin zeigte ihre fauligen Zähne, als sie ihn anlächelte und sprach.

Königin Hulda: „Neire, mein lieber Freund. Wie lange ist es her, dass wir zuletzt redeten? Waren es zwei oder drei Wochen? Sagt, was gibt es Neues zu berichten. Habt ihr etwas von euren Freunden gehört, aus Urrungfaust?“
Neire von Nebelheim: „Es ist zu lange her, meine verehrte Königin. Seitdem ist viel geschehen, nur eure Schönheit bleibt unverändert bestehen. Nachdem mir Lyrismar Schwefelschimmer die Sphären für das Weltenportal brachte, habe ich nichts von Meister Halbohr, Bargh und Zussa gehört. Doch ich habe sie in meinen Visionen gesehen. Sie kämpfen für Jiarlirae in diesem Augenblick. Ich bin mir sicher, sie werden siegreich sein.“
Die Königin kneift ihre Schweinsaugen zusammen und lächelt, geschmeichelt durch Neires Worte. Sie nimmt einen Schluck aus ihrem Kupferbecher und bringt ein tiefes Rülpsen hervor.
Königin Hulda: „Ihr müsst mir unbedingt erzählen… was habt ihr in euren Visionen gesehen?“
Neire von Nebelheim: „Ich kann es euch nicht nur erzählen, Königin. Ich kann euch die Visionen zeigen. Doch ich habe heute ein dringendes Anliegen, das leider nicht warten kann.“
Sorgenfalten zeigen sich auf Neires Stirn, als er sie eindringlich und mit großen, nachtblauen Augen anschaut. Das Lächeln in Huldas Gesicht erstirbt und ihre dunklen Augen funkeln erbost.
Königin Hulda: „Ist es wieder die junge Gelundara, die für euren Unmut sorgt? Sagt es nur und ich werde sie selbst züchtigen.“
Neire von Nebelheim: „Nein meine Königin, es geht nicht um Gelundara. Ich komme von einer Unterredung mit Granrig Hellengrub. Er sagt, dass wir bald den Durchbruch nach Wiesenbrück haben werden. Es sind Dinge vorzubereiten, bevor wir das Dorf erreichen. Ich plane ein Fest zu Ehren von Jiarlirae in den inneren Hallen des Tempels.“
Königin Hulda: „Das sind hervorragende Neuigkeiten Neire. Wie lange habe ich darauf gewartet und die Bücher studiert. Die Fertigstellung des Tunnels bedeutet das Ende meines Wartens. Ich hatte euch bereits erzählt, dass die Riesen anfangen zu reden. Die Frauen haben sich alle einen neuen Mann gewählt, doch sie schauen auf ihre Königin und reden über mich im Verborgenen.“
Neire von Nebelheim: „Ihr habt Recht Königin Hulda. Ihr sollt nicht länger warten und ich habe versprochen euch auf der Suche nach eurem neuen Gemahl zu helfen. Aber ihr seid die Königin. Das Gerede habt ihr nicht zu erdulden. Ergreift sie und bestraft sie, statuiert ein Exempel, um ihnen zu zeigen, dass ihr mit eiserner Hand regiert.“
Erst nickt Hulda grimmig, doch dann schüttelt sie ihren Kopf.
Königin Hulda: „Ihr sprecht die Wahrheit, doch dies war nie mein Weg. Sehet Neire, dafür war stets König Dunrok Isenbuk zuständig. Er regierte mit eiserner Hand, nach meinem Willen. Ich formte ihn nach meinem Begehr und er folgte mir, für das Wohl unseres Volkes. Nur wurde er fett, träge und hässlich. Er war nicht mehr schön, wie einst, als ich ihn heiratete.“
Neire von Nebelheim: „So soll es wieder sein, wenn ihr euren neuen Herrscher gefunden habt. Jung und stark soll er sein, wie ihr ihn euch gewünscht hattet. Und nach eurem Willen formbar. Eure Schläue, meine Königin, steht eurer Schönheit um nichts nach. Euer Volk und Jiarlirae braucht euch. Sagt Königin Hulda, haben eure Nachforschungen bereits Früchte getragen?“
Königin Hulda: „Ja, habt Dank Neire. Ihr habt recht, nur ich habe die notwendige Weitsicht meine Riesen zu führen. Doch dazu brauche ich meinen Gemahl. Die Bücher, die ihr mir aus Urrungfaust beschafft habt, haben eine Erinnerung in mir hervorgerufen. Es ward geschrieben von der alten Eisenfeste Sverundwiel, die einst den Strom des Feuers gebar. Errichtet wurde sie von der Rasse der Nachtzwergen, auf der Grenze von Schatten und Licht. König Dunrok Isenbuk erzählte von einem jungen Jarl, genannt Eldenbarrer. Er wurde einst bekannt als Träger der Flamme von Thiangjord, eines schwarzen Schwertes, das im Feuer des alten, gleichnamigen Lindwurms geboren wurde. Eldenbarrer sammelte Riesen um sich und eroberte die Eisenfeste Sverundwiel. Ich erinnerte mich, dass Dunrok damals Boten schicken wollte, auf dass sich Eldenbarrer unserem Kampf anschließen solle. Doch wir warteten auf das Gold der schwarzen Elfen und so kam der Austausch nie zustande.“
Neire hört aufmerksam zu, erhebt sich und verbeugt seinen Kopf.
Neire von Nebelheim: „Eine weise Wahl, Königin. Auch ich habe von der alten Eisenfeste Sverundwiel gehört. Ich werde mit den Vorbereitungen beginnen und wir werden aufbrechen, wenn die Zeit reif ist. Ihr habt euch Jiarlirae zugewendet. Ihr Reich ist ein ewiges, aus Flamme und Düsternis. Unter ihrem Zeichen werdet ihr euren neuen König gewinnen. Er wird euer Volk durch eure verborgene Stimme zu neuem Heldentum führen. Die alten Runen deuten euer Schicksal, sie sprechen von Ruhm und Ehre.“

Neire verließ die Gemächer der Königin der Feuerriesen. Er musste mit den Vorbereitungen anfangen und durfte keine weitere Zeit verlieren. Sie mussten das Fest feiern, um die Gunst Jiarliraes zu erhalten. Erst dann konnten sie nach Wiesenbrück vordringen. Er lächelte, als er an das Bergdorf am reißenden Strom Fireldra dachte. Es würde ihr Zugang in das Reich der Oberwelt werden. Ein Ort der Verbindung beider Welten. In seinen Gedanken formte sich bereits ein neuer Name für Wiesenbrück.​
 
Zwischenspiel 04 - Ein Fest im Tempel des Jensehers - Teil I

Das Kohlefeuer glühte hell in der Feuerschale aus Ne’ilurum. Die Flammen vereinzelter Scheite getrockneter Riesenpilze brannten im gelblichen Licht, das lange Schatten warf. Trotz der Helligkeit schien es, als würde der alte Stein der hohen Halle des inneren Tempels das Licht schlucken, je weiter es kam. Die Randbereiche der zum Festsaal geschmückten Kammer waren daher mit Wandfackeln erhellt, die viel kleinere Lichtkegel bildeten, als sie es eigentlich sollten. Ein Stimmengewirr erfüllte das Gewölbe, in das zwei große, sich gegenüberliegende Gänge hineinführten. Die Luft war wohlig-warm und erfüllt von Feuer-, Alkohol- und Schweißgeruch. Paare von Augen schattenhafter Gestalten waren in der Dunkelheit zu erkennen. Die größten Kreaturen waren die Feuerriesen, die mit einer Höhe von bis zu sieben Schritten fast die Decke des Gemachs erreichen. Zwischen den Riesen, die sich teils auf Decken und Felle niedergelassen hatten, waren kleinere Kreaturen zu sehen. Sie waren menschengroß und muskulös, mit wulstigen Augenbrauen, fliehender Stirn sowie einem Unterbiss, aus dem wildschweinartige Hauer aufragten. Vereinzelt waren zudem Nachtzwerge zu erkennen, deren bleiche Haut mit Venengeflechten durchzogen war und deren Augen bläulich im Feuerschein blitzen. Die Menge war chaotisch, teilweise bewaffnet und euphorisch. Grollende wie grölende Stimmen, Brüllschreie und unflätige Rülpslaute durchzogen das Gewölbe. Ein Bereich nahe dem Feuer war mit wertvolleren Fellen ausgelegt. Dort war ein Thron aus Holz zu erkennen, auf dem Königin Hulda saß. Neben dem Thron standen einige Stühle. Hier hatten sich die beiden Nachtzwerge und engsten Berater von Meister Halbohr, Heergren Nuregrum und Granrig Hellengrub, niedergelassen. Zudem saß dort Neire von Nebelheim mitsamt seinem engsten Zirkel des Tempels - Daera Düsterung und Mordin von Noresfyring. Daera Düsterung saß zur Linken von Neire und war in dunkle, leichte Seidengewänder gehüllt. Sie trug einen roten Umhang. Schwarzes, langes, lockiges Haar fiel von ihrem schönen, symmetrischen Gesicht und umhüllte die weiße Haut ihrer weiblichen Kurven. Sie betrachtete die Menge und sprach angeregt lächelnd mit Mordin und Neire. Zur rechten Seite von Neire saß Mordin von Noresfyring. Mordin war groß gewachsen, scheinbar um die 30 Jahre alt und von athletischer Statur. Die Haut seines Gesichtes glänzte wie frischer Schnee in der Dunkelheit und wurde eingerahmt von rotblonden langen Locken. Grünliche Augen blitzten intelligent in seinem adeligen Antlitz. Neire von Nebelheim hielt einen kostbaren Silberkrug in der Hand und trug seine silberne Krone mit dem großen glitzernden Diamanten, der auf seiner hohen Stirn zu sehen war. Die Krone drückte seine gold-blonden Locken, die mittlerweile über seine Schultern fielen, an seinen Kopf. Dort war sein schönes Gesicht zu erkennen. Die weiße makellose Haut, die großen blauen Augen, die gerade Nase und die hohen Wangenknochen. Der Jüngling war vor kurzem sechzehn Jahre alt geworden und gekleidet in seine kostbare, dunkle Magierrobe. Im schwarzen Samt des Kleidungsstücks blitzten leuchtende silberne Sterne eines fernen Nachthimmels. Dunkle Stellen zogen sich wie Tentakel über Brust und Beinkleider. Neire hatte seinen Tarnumhang abgelegt und trug seinen roten Nebelheimer Umhang mit den goldenen Chaosrunen. An beiden seiner Hände blitzten kostbare Ringe.

Neire betrachtete abwechselnd Daera und Mordin, von denen er wusste, dass sie seit langem ein Liebespaar waren. Sie hatten ihn sogar einst eingeladen an ihrem Liebesakt teilzuhaben, doch Neire hatte abgelehnt. Zuviel hatte er zu tun und außerdem fürchtete er sich vor Daera. In seiner kurzen Zeit, in der Lyrismar Schwefelschimmer im Tempel des Jensehers verweilt hatte, hatte er ihn vor Daera gewarnt. Jetzt lächelte Daera sie beide an, sprach dann aber zu Mordin. Neire betrachtete bewundernd ihre okkulten Tätowierungen und genoss ihr Parfüm, das nach Weihrauch und brennenden Gewürzen roch. „Mordin, erzählt doch nochmals eure Geschichte, wie ihr mich einst fandet und wie wir uns das erste Mal liebten.“ Mordins Lächeln kam nicht schnell und wirkte auf Neire etwas gezwungen. Dennoch antwortete er, nachdem er etwas Wein aus seinem Kristallglas getrunken hatte. „Hatte ich sie euch nicht schon einmal erzählt, mein Prophet? Es kommt mir so vor als hätte ich sie bereits jedem erzählt.“ Neire bemerkte, dass Daera ihr Lächeln verzog und für einen Augenblick raubtierhafte Fangzähne in ihrem Mund zu sehen waren. „Wir haben die Zeit Mordin und ich habe die Geschichte noch nicht gehört. War es dort, wo ihr einst aufgewachsen seid? Im Reich unserer Herrin?“ Mordin nickte und als Neire zu Daera blickte, lächelte sie. Ihre Fangzähne waren verschwunden. Ein orkisches Sklavenmädchen schenkte ihnen Wein nach und Mordin begann zu erzählen.

„Es war vor langer, langer Zeit. Vielleicht vor 23 Jahrzehnten? Ich lebte im Schloss meiner Mutter, dem Sitz der Familie Noresfyring. Meine Mutter war und ist Liv, VII. von Noresfyring und sie herrscht von Schloss Schattenflamme. Sie ist Liv, die Hexenkönigin, genannt auch die oberste Schattenflamme. Ich aber hatte eine schwere Kindheit. Doch das soll eine Geschichte für einen anderen Tag sein, mein Prophet. Als ich älter war, durfte ich an den wilden Blutjagden teilnehmen und so fing alles an. Ich liebte den brennenden Schattenwald, mit all seinen Gefahren und den fremden Kreaturen. Ihr müsset wissen, mein Prophet. Schloss Schattenflamme und der brennende Schattenwald liegen auf der fernen Ebene Molgor, im ewigen Reich unserer Herrin Jiarlirae. Als Abkömmling der Noresfyrings war es mein heiliges Recht und meine Pflicht den brennenden Schattenwald zu durchstreifen. Ich tat es mit meinen Gespielinnen, den Konkubinen des Chaos. Sie waren glorreiche Geschöpfe, voll von brennender Gier, zerstörerischer Lust und aufopferungsvollem Hass. Ihre Namen waren Ida, Ylvi und Lyke und sie waren, wie meine Familie selbst, aus alten adeligen Geschlechtern der Blutmark. Geschlechtern, die seit jeher den Schwertherrschern, den alten Chaosgöttern gedient hatten.“

Mordin beugte sich zu Neire und der junge Priester konnte die übermenschliche Hitze spüren, die von Mordin ausging und jeden normalen Menschen verbrannt hätte. Ein Leuchten war in seinen grünlichen Augen zu sehen, als Mordin von den drei Konkubinen des Chaos sprach. Nur das Zischen von Daera brachte Mordins Geschichte ins Stocken. Er hielt für Augenblick inne und der Schimmer in seinen Augen verschwand. Dann fuhr Mordin fort.

„Es war am dreizehnten Tag unseres Streifzuges durch den brennenden Schattenwald, als wir auf die Ruinen der alten Stadt Hagatorm stießen. Ich hatte von der Geschichte der Stadt bereits gehört. Die Herrscher des Waldes hatten im Zentrum von Hagatorm einst die dunkle Pyramide errichtet, um das silberne Feuer des Mondlichtes auf eine ferne Welt hinab zu bringen. Doch wir waren nicht an den Geheimnissen von Hagatorm interessiert, nicht an dem alten Fluch der Stadt. Wir suchten die Lichtung des brennenden Schattenwaldes, den verwunschenen Ort Gladenlys. Wir schritten durch das vergangene Reich und sahen den alten Silberfluch. Die Bäume schrien, denn ihre Wurzeln brannten im Feuer des flüssigen Mondlichtes. Doch da war kein Mond, kein Himmel im Reiche Molgor. Das Feuer ist überall in Molgor und der Himmel selbst ist der brennende Schattenwald. Dann kamen wir an den weinenden See und wir sahen, was aus Gladenlys geworden war. Die Tränen aus Mondlicht waren zu brennendem Quecksilber gewandelt. Wir legten unsere Kleider ab und nahmen ein Bad in den silbernen Fluten. Nur dort im See, nur in den blubbernden Fluten, im Quecksilbernebel, hörten wir ihre Schreie. Wir sahen die Insel und die brennende Esche. Wir schwammen näher und erfreuten uns an ihren Schreien. Es waren die Kinder der brennenden Esche, die dort gefangen waren. Silberne Mondfeen aus der einstigen Welt von Hagatorm. Sie waren die Wurzeln der Esche, wie die Wurzeln der Esche sie waren. Ihre Flügel waren durchsichtig und trugen das Feuer; sie schwirrten beständig, als ob sie ihre Schreie vervielfältigen wollten. Wir gingen näher auf sie zu, die Konkubinen des Chaos und ich. Wir waren fasziniert von ihrer Schönheit, dem Schmerz ihrer in die Ewigkeit gestreckten Vergänglichkeit. Ich wollte nach ihren Flügeln, nach den Wurzeln greifen. Doch die Wurzeln begannen sich zu bewegen und dann stand sie dort. Ich trug damals bereits mein Breitschwert aus Graustahl, geschmiedet von der hohen Inquisition der Blutmark und seit langem in unserem Familienbesitz. Doch ich hatte die Waffe nicht bei mir, war wie meine Konkubinen völlig nackt. Das Wesen aus den Wurzeln kam zu mir und sie sprach. Sie sagte, sie wäre Daera Düsterung, die erste Frau, seit dem Anbeginn der Zeit. Das erste Weib, das aus dem Urchaos geboren ward. Ich war gefangen in ihrem Blick, ihren violetten Augen und in ihren von Quecksilberflammen verzehrten schwarzen Locken. Sie fragte mich wer ich sei, was ich an diesem Ort verloren hätte. Ich sagte, ich bin Mordin von Noresfyring, Sohn der Hexenkönigin, der obersten Schattenflamme. Ich sagte, ich hätte keine Furcht vor ihren schwarzen Lippen, ihren lebenden Tätowierungen und ihren dunklen Krallen. Sie lächelte und fasste mich bei meiner Männlichkeit. Sie zog mich hinein in die brennenden Wurzeln, welche die silbernen Mondfeen waren. Und sie waren um uns herum während wir uns liebten. Da waren die Schreie der auf ewig gequälten Kreaturen und ihre Flügel, die uns sanft berührten. Es war dieser Schmerz, der zärtliche Flügelschlag, der mich dort wie rötlicher Samt umschloss. Die Hitze wollte mich verschlingen, die Feuchte der Flammen anreichern und mich verwelken lassen. Ich spürte ihren Mund und ihre Klauen. In größter Ekstase begann ich die Flügel der silbernen Mondfeen auszureißen. Ihr Klagegesang schwoll zu einem Höhepunkt heran, dann ward der Fluch gebrochen. Daera Düsterung ward befreit von ihrer Aufgabe. Ich war nicht verwelkt, nicht dahingerafft in ihrer Liebkosung. Wir sammelten die ausgerissenen silbernen Flügel und verließen diesen verfluchten Ort. Wie vereinbart brachte ich die Flügel meiner Mutter, die sie für ihre schwarze Kunst benötigte. Doch ab jetzt waren es Daera Düsterung, meine Konkubinen des Chaos und ich, die den brennenden Schattenwald von Molgor durchstreiften.“
 
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