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Sci-Fi / Fantasy Weltensturm

sonic_hedgehog

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Das große Science-Fiction-Epos: Ein galaktisches Imperium, in dem das ewige Leben lockt. Eine tyrannische Gesellschaft, die sich gegen eine dunkle Verschwörung wehren muss. Eine mysteriöse Bruderschaft, die mit allen Mitteln nach der Macht greift. Und ein Raumschiff-Captain, in dessen Händen die Zukunft der Galaxis liegt...

So lautet der Klappentext von Scott Westerfelds über 800 Seiten langen Science Fiction Romans, der gleich in eine Reihe mit Frank Herberts Wüstenplanet gestellt wird. Wer jedoch erfahren will, worum es im Roman wirklich geht, der möge die folgende Rezension oder den zusammenfassenden Text im Roman lesen. Der Klappentext ist wie so oft mehr als zweifelhaft.

Westerfeld wirft den Leser in ein Universum, das sich in einer runde 1000 Jahre entfernten Zukunft befindet. Die alte Erde lange her, inzwischen beherrschen mehrere Menschenreiche das bekannte Universum. Alle diese Reiche haben eine Möglichkeit gefunden, den Tod hinaus zu schieben, keines jedoch eine so vollständige wie die, die der Auferstandene Kaiser der 80 Welten erfunden und zur Basis seiner Macht gemacht hat: Tote werden durch Implantation eines Symbionten wiederbelebt und ‚leben’ ewig weiter. Natürlich kommt nicht jeder Mensch in den Genuss dieses ewigen Lebens, sondern nur verdiente Untertanen. Auch wenn zwischen allen Herrschaftsgebieten Differenzen bestehen, hat das Reich der 80 Welten einen wirklichen Gegner – die Kultur der Rix. Wo im Reich die Entstehung künstlicher Intelligenzen mit aller macht verhindert wird, leben die Rix in Symbiose mit Maschinen (was ihr Weg zur Verlängerung des Lebens ist) und verehren künstliche Intelligenzen, die alle Computersysteme ab einem bestimmten Vernetzungsgrad hervorbringen, als lebende Gottheiten, deren Teil die Rix selbst sind. Die Rix verehren jedoch nicht nur die Kis, sie sorgen auch aktiv deren Verbreitung. Dies ist, kurz gesagt, die Basis der Geschichte und in ihr sind mehrere Handlungsstränge angelegt. Alles beginnt im Buch damit:

In einem überraschenden Kommandounternehmen sind die Rix auf das Gebiet der 80 Welten vorgedrungen und haben Geiseln genommen. Da sich unter den Geiseln die Schwester des Auferstandenen Kaisers befindet, verbietet sich das übliche harte Vorgehen gegen die Rix und deren Plan auf dem Planeten eine KI ins Leben zu rufen – vorher gilt es, in einem chirurgischen Angriff die Geiseln (oder zumindest die Schwester des Kaisers) zu befreien. Damit beauftragt wird Captain Laurent Zai, dessen Schiff sich in der Nähe des Planeten befindet.
Jedoch scheitert trotz intensiver und guter Planung die Befreiung der Geiseln und die Kindkaiserin kommt zu Tode – ein Blutfehler für den kommandierenden Offizier. Doch Zai lehnt den erwarteten Selbstmord ab und eine Untersuchung der Umstände des Todes lässt Zweifel aufkommen…

Westerfeld ist mit diesem Roman wirklich ein faszinierendes Werk gelungen.
Die Geschichte hat alles, was man sich in einem SF-Roman wünschen kann: Neben der aus der Zusammenfassung schon zu ersehenden Spannung und Action, spielen auch Liebe, Politik und natürlich technische Spielereien die gebührende Rolle. Die Charaktere sind ausgefallen und dennoch nachvollziehbar, so dass sie eine Faszination ausüben. Sei es der Captain, der als Held geehrt und doch körperlich zerstört und mehr Prothese denn Mensch ist, seine erste Offizierin, die gegen die Traditionen ihres Planeten Mitglied der Flotte ist, die säkulare Senatorin Nara Oxham, die die Unsterblichkeit als Hindernis für die Entwicklung ablehnt und die mit Zai eine heimliche Beziehung verbindet, die im Verbund mit der KI lebende Rix-Kriegerin H_rd oder gar Oxhams autonomes und intelligentes Haus. Alle haben eigene Motive und Gründe für ihr handeln und sind nicht, wie leider so oft, bloße Typen.

Faszinierend auch, wie sich Westerfeld bemüht, eine korrekte Physik für sein Universum zu verwenden. Überlichtflüge sind nicht möglich und jede längere Reise ist mit nicht zu verachtender Zeitdilatation (unter den Soldaten als Zeitdieb bekannt) verbunden. Raumschiffe können nicht ohne weiteres bremsen und die Richtung wechseln – die Trägheit der Masse zeigt ihr Gesicht. Und die Aufrechterhaltung einer künstlichen Gravitation, auf die der Autor dann doch nicht verzichten will, ist kompliziert und energieraubend. Überlichtschnelle Kommunikation ist über verschränkte Quanten in Maßen möglich, aber aufwändig.
Jedoch ist es nicht nur faszinierend, dass Westerfeld sich an der Physik versucht, viel faszinierender ist, dass diese Physik Einfluss auf die gesamte Welt hat. So verbringen die Senatoren des Reiches große Teile ihrer Amtszeit in Stasis, um in der Lage zu sein, den Überblick über die langsamen Abläufe im Reich zu behalten und langfristige Pläne verfolgen zu können.

Natürlich ist das alles nicht ohne Schwächen, der Begriff der Synästhesie für das geistige Multitasking, dass den meisten Menschen durch Implantate ermöglicht wird, scheint mir falsch gewählt (wenn auch die Idee bestechend ist), der Aufwand, den man für die verschränkte Kommunikation betreiben müsste, unterschätzt und auch einige Folgen der Zeitverzerrung falsch eingeschätzt. Dies alles sind jedoch keine Kritikpunkte, die das Lesevergnügen stören.

Was es etwas schwierig macht, das Buch zusammenzufassen, ist, dass Westerfeld die Handlungsstränge nicht streng chronologisch aneinanderreiht, sonder verwebt. Dies führt zu einer gewissen Unübersichtlichkeit, die dem Roman aber in meinen Augen nicht schadet. So wird die Geschichte der Beziehung Nara Oxhams und Laurent Zais erzählt, während auf der anderen Ebene die Schlacht gegen die Rix voranschreitet und sich politische Verwicklungen zwischen dem Kaiser und dem Senat ergeben. Die Geschichte wird dabei in jedem Kapitel aus der Sicht eines der Protagonisten erzählt.

Zais Versuch, die Kindkaiserin zu retten ist gescheitert und dennoch begeht er den rituellen Selbstmord nicht. Der Kaiser jedoch, der inzwischen einen Kriegsrat einberufen hat um das weitere Vorgehen gegen die Rix und die entstandene KI zu planen (Nara Oxham ist zum Teil dieses Gremiums berufen worden) befiehlt nicht wie von vielen erwartet den Tod Zais, sondern begnadigt ihn und schickt Zais Schiff aus, in einem verzweifelten Angriff das sich dem Planeten nähernde Großkampfschiff der Rix aufzuhalten.
Und während Zais Schiff um sein Überleben kämpft, stellt sich die Frage, warum dem Kaiser so viel daran gelegen ist, dass die KI keinen Kontakt zu den Rix aufnehmen kann? Welches Geheimnis umgibt den Tod der Kindkaiserin und was versucht das Reich zu verbergen? Welche entscheidenden Erkenntnisse kann die KI entdeckt haben und wie weit ist das Reich bereit zu gehen, um diese zu verbergen?

Insgesamt schafft Westerfeld ein atmosphärisch dichtes Werk von wahrlich epischer Breite – er selbst wollte eine Space-Opera schaffen, die er sich als 14 jähriger gewünscht hätte. Mit großen Raumschlachten, Geiselrettungen und Bodenschlachten in Kampfanzügen, die aber wissenschaftlich Sinn machten.
Dieses Ziel hat er erreicht und übertroffen, von diesem Buch könnten sich einige SF-Schriftsteller eine ganze Scheibe abschneiden. Einzig zwei Punkte kann man dem Autor ankreiden – zum einen erzählt er sehr ausschweifend, zum anderen enthüllt sich die Tiefe der Geschichte erst recht spät – all das erfordert Leser, die etwas Durchhaltevermögen besitzen. Dieses jedoch wird belohnt werden. Und das Beste: Sein Universum liefert Stoff für weitere Romane, auch wenn eine Rückkehr leider vorerst nicht geplant ist.

Und in einer Hinsicht hat der Klappentext dann doch recht:

Ein grandioser Auftakt für ein neues Universum, der den Vergleich mit dem Wüstenplaneten nicht zu scheuen braucht!


P.S. für die Fans von Originalen:
OT: The Risen Empire/The Killing of Worlds [Succession]
 
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