Hier vielleicht ein Einsteigerbericht: Warum Troika!?
Nach vielen Jahren traditionellem Rollenspiel und etwa sieben aufregenden Erzählspieljahren geht auch an mir das OldSchoolRevival nicht spurlos vorbei. Ich hatte zwar nie allzu viel mit D&D am Hut und bin auch ganz froh, diese ganzen Klischees der Rollenspielsteinzeit hinter mir gelassen zu haben, aber diese unglaubliche Kreativlawine, die die OldSchoolBewegung losgetreten hat, nötigt mir doch Respekt ab. Schüchtern schaue ich mir also immer mal wieder ein paar Produkte an… und bleibe erstmal bei den optisch ansprechenden hängen. „Into the Odd“ ist große Kunst – aber das Spiel läuft doch wieder sehr in Richtung Schatzsuche; mit Dungeons, jetzt noch größer, raffinierter und merkwürdiger… Ultraviolet Grasslands besitzt Bilder, die mich sofort wegträumen lassen – aber das dazugehörige System regelt fast so viel wie DSA4: von der relativ detaillierten Berechnung der Traglasten bis hin zum Aufbau selbst etablierter Karawanenrouten… das brauche ich nicht mehr.
Irgendwann habe ich Troika! in der Hand. Es sieht seltsam aus. Auf Facebook schreibt jemand, das Spiel wirke, als hätten die „Erfinder:innen hart auf Acid geschwebt, während sie ein Double Feature aus Peterchens Mondfahrt und Little Nemo angeschaut haben“. Nun… ich liebe Little Nemo… vielleicht ist das der Grund, warum ich etwas genauer hinschaue.
Ich schlage die Regeln auf und sehe eine Figurenerschaffung, die nach vier Würfen abgeschlossen ist. Wer´s drauf anlegt, hat in einer Minute eine neue Figur. Der letzte Wurf führt zu einem Background, einer Kombination von Spezies, Charakterklasse und Hintergrundstory, alles aber nur angerissen. Die meisten dieser Backgrounds sind fremdartig und skurril.
Das System besitzt die üblichen Elemente: ein paar Grundwerte, ein paar merkwürdige Fertigkeiten, Glück, Hit Points, ein seltsames Initiativsystem, Aktionen, Gefahren, Schaden, Rüstung, ein seltsames Ausrüstungssystem, ein levelloses Steigerungssystem, ein paar Gegenstände, eine Spruchliste, ein paar Gegner. Dabei macht das System einen aufgeräumten Eindruck: alles ist reduziert auf das Allerelementarste. Aber obwohl ich Leerstellen gut finde, auch zum Erzählen brauche, finde ich beim ersten Durchblättern trotzdem nichts, was mich hinterm Ofen hervorlockt. Ich habe den Eindruck, dass das Spiel trotz einiger Merkwürdigkeiten doch wieder auf dieselbe Art von Geschichten aus ist, die mich andere Systeme auch erzählen lassen.
Dann wühle ich bei itch.io und stoße immer wieder auf Troika! Produkte, eines schräger und durchgeknallter als das andere: Drockside beispielsweise: eine heruntergekommene Hafengegend, in der heruntergekommene Zwerge leben. Oder eine ganze Reihe von Flugmaschinen inklusive der goldenen Barken samt Besatzung, die zu Sphärenreisen in der Lage sind. Oder ein Theater, in dem die Grenzen zwischen Show und Realität zu verschwimmen scheinen. Was ist das in diesem Spiel – frage ich mich – das bei den Leuten diese seltsamen Fantasien ankurbelt?
Ich schlage noch einmal die Grundregeln auf und bleibe beim Affenhändler hängen – einer der merkwürdigeren Backgrounds. Die Figur schleppt lebende Affen mit sich herum und bietet sie Passanten als Nahrung an. Kein Background für Tierschützer, würde ich sagen! Meine Aufmerksamkeit wird aber durch die einleitenden Sätze gefangen: „Das Leben auf der Mauer ist hart. Man ist nie mehr als ein paar Schritte von einem Sturz ins Bodenlose entfernt, aber auch die Bewohner der hier befindlichen maroden Siedlungen brauchen Nahrung.“ Das sind zwei Sätze – und mein Kopfkino summt und erschafft eine ganze Welt. Wenn der Affenhändler mit im Spiel ist, heißt das doch nichts anderes, als dass es irgendwo auf unserer Spielwelt eine gewaltige Mauer mit kleinen bröckeligen Dörfchen drauf gibt. Und ich merke: Ich will sofort dort spielen!
Und jetzt, wo ich eine Vorstellung habe, was da möglich ist, fallen mir auch wieder die Zwerge ein. Es gibt zwei Zwergenhintergründe. Einmal den „Dwarf“, der offenbar keine Eltern hat, sondern von seinesgleichen gebaut und belebt wurde, und dann den „Derivative Dwarf“, das sind die Felsbrocken, aus denen ein Zwerg in einem unvergleichlichen Schöpfungsakt ein perfektes Exemplar seiner Spezies herstellen wollte, das dann aber aufgrund künstlerischen Versagens unvollendet geblieben ist. Diese armen Gesteine wünschen sich nichts mehr, als vollendet zu werden, was aber meist ein Traum bleibt. Irgendetwas klingelt bei mir und ich schaue mir nochmal diese Hafengegend an: Ja, da leben sie, diese halbfertigen Zwergenfelsbrocken, und fristen eine bemitleidenswerte Existenz. Ich bin fasziniert. Und diese Fluggeräte? Ich blättere durch die Hintergründe und stoße auf den Cacogen, den Exographer und die denkende Maschine, drei Wesenheiten, die die Fähigkeit „Golden Barge Pilot“ besitzen. In den Fertigkeitsbeschreibungen heißt es da lediglich: „Mache eine Probe auf diese Fertigkeit, um auf einem Schiff mit goldverspiegelten Segeln zwischen den Sternen zu navigieren“. Aus diesen mageren Worten hat dann jemand sechs Fanzines über Sphärenreisen geschrieben…
Ich lasse mir die Sache durch den Kopf gehen und denke, ich hab´s begriffen. Dieses Buch ist voller Andeutungen, die irgendwie eine Welt ergeben können. Wie die genau aussieht, verrät dir niemand, aber wer weiß, dass es sie gibt, entdeckt die Spuren überall. Noch einmal schlage ich das Buch auf und finde von den Basisregeln bis zum Bestiarium Andeutungen über heilkräftige Badehäuser, die ominöse „Magierakademie der Türen“ und Hexen, die sich nachts in Schweine verwandelt in der Stadt herumtreiben.
Damit hatte Troika! bei mir letztlich Erfolg. Ich will aus diesen durchgeknallten Andeutungen mit anderen Spielern gemeinsam spielend eine eigene Version dieser verrückten Welten entwickeln. Vielleicht geht´s ja noch ein oder zwei anderen Spielerinnen und Spielern ähnlich!