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Spielhilfe Shadowrun Schattenstädte (Shadowrun 4)

sonic_hedgehog

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Mit Schattenstädte liefert uns der Pegasusverlag eine überarbeitete Neuauflage des schon 2006 noch unter der Fahne von Fanpro erschienen Quellenbandes zu den bedeutendsten „Runner Havens“ – teils neu lektoriert, teils nachübersetzt, auf jeden Fall aber auf die aktuelle Zeitlinie aktualisiert und im Vergleich zur amerikanischen Originalausgabe erweitert.

Schattenstädte sind das klassische Setting für Shadowrun:
Geprägt […] vom Intrigenspiel der Konzerne und der kriminellen, politischen und magischen Fraktionen – ohne dass einer von ihnen dominant ist.
[…]Sprawls [in denen] es ein empfindliches Gleichgewicht aus sich ständig verändernden Bündnissen und Feindschaften [gibt], während unzählige Fraktionen unablässig um mehr Einfluss, Kontrolle und Reichtum konkurrieren.
Gemäß dem neuen Konzept, verschiedene Städte der 6. Welt thematisch gruppiert in Quellenbänden zu präsentieren anstatt sie alleinstehend oder in Regionalbeschreibungen zu publizieren, umfasst Schattenstädte drei aus dieser Gruppe, Hongkong, Seattle und Hamburg, eine knappere Vorstellung Marseilles und wirft schließlich noch einen kurzen Blick auf Kapstadt, Caracas und Istanbul, die als Städte im Zwielicht bezeichnet werden.
Die drei großen Kapitel, Hongkong umspannt die Seiten 6-60, Seattle 64-124 und Hamburg 126-177, bieten alle grob denselben Inhalt: Eine allgemeine Beschreibung des Flairs des Sprawls, eine (sehr kurze) Historie, detaillierte Beschreibungen der einzelnen Stadtteile, der dominierenden Konzerne, organisierten Kriminellen und Gangs, einen Überblick über für schattige Charaktere interessante Orte, Personen und potentielle Ziele sowie Übersichtskarten. Wie bisher in fast allen Shadowrunveröffentlichungen sind diese Karten aber fast nicht brauchbar, da viel zu wenig detailliert. Am besten kopiert man sie und legt sie neben aktuelle Karten, worauf man dann Stadtviertel markiert und Straßenzüge anhand der Beschreibungen aktualisiert. Die damit entstandenen, großformatigeren Karten sind dann wesentlich besser im Spiel einsetzbar. Das aber nur am Rande. Regeln und Werte sollte man in diesen Quellenbänden nicht erwarten, sie wollen nur Hintergrundmaterial und Anstöße für Abenteuer bieten.

Hongkong wird im ersten Kapitel als vitale Melange westlicher und chinesischer Traditionen vorgestellt:
Ein riesiger Freihafen und Umschlagsplatz für Güter aus aller Welt, wirtschaftlich und sozial stark geprägt von Wuxing Inc., das aber nicht die alleinige Herrschaft hat, sondern auf vielen Ebenen mit den weiteren Cons und Megacons sowie den Triaden und koreanischer sowie russischer Mafia konkurriert. Neben den klassischen Motiven der Industriespionage etc. bringt der Anteil chinesischer Mystik mit den Drachenlinien und dem Feng Shui eine weitere, exotische Ebene der Konzernintrigen ins Spiel. Insgesamt in meinen Augen eine sehr gelungene Beschreibung – exotisch, aber mit genügend Vertrautem um den Einstieg in asiatische Gebiete zu erleichtern, harmonisch verwoben und unverwechselbar und mit einigem, was Ideen in meinen Kopf zauberte.

Erwartungsgemäß konnte in der in den USA damals ersten Veröffentlichung zur 4. Edition Seattle nicht fehlen – die Geburtsstadt des Schattenbusiness, oft beschrieben und für viele Spieler bis heute Heimatsprawl ihrer Charaktere. Gerade die Tatsache, dass Seattle eine so zentrale Rolle in de Welt von Shadowrun spielt, bewirkt auch, dass hohe Ansprüche gestellt werden. Ansprüche die, es sei vorweg genommen, dieses Kapitel in meinen Augen nicht erfüllt. Vielleicht begründet darin, dass eine der Hauptkampagnen der 3. Edition, der Shutdown der Renraku Arkologie in Seattle seinen Anfang nahm, vielleicht auch darin, dass Seattle in diesem Zusammenhang ein eigenes, 135 Seiten langes Quellenbuch gewidmet wurde, erweckte das Seattlekapitel in mir den Eindruck eines zwar durchdachten, aber wenig inspirierten, reinen Updates früherer Publikationen – und damit als etwas langweilig.

Für mich als Verfechter der These, dass dank meiner Kenntnisse Deutschlands das Spiel in der ADL interessanter ist als in den mit relativ unbekannten USA-Nachfolgestaaten besonders interessant das dann folgende Kapitel zu Hamburg:
Da Hamburg im Original nur wenige Seiten gewidmet waren, geht das Kapitel zu großen Teilen auf das Konto der deutschen Redaktion – was sich eindeutig positiv auswirkt, da es gelungen ist, ein glaubwürdiges Bild der Hansestadt zu produzieren. Das in „Deutschland in den Schatten II“ gebotene kurze Kapitel wurde geschickt erweitert und in die Gegenwart transportiert – und legt einige überraschende Neusetzungen. Eine davon ist, dass Hamburg die Möglichkeit bietet, ein deutlich cyberpunkigeres Shadowrun zu spielen, da aus den skandinavischen Ländern der Trend nach ausgeprägtem Chrom, sinnvoller aber auch sinnloser Natur, herüberschwappt und so ein Umfeld präsentiert wird, in dem auch stark vercyberte Charaktere einsetzbar sind. Auch gut und wichtig für das Verständnis des Settings ist, dass in dem Kapitel deutlich herausgearbeitet wird, warum trotz der theoretisch möglichen Totalüberwachung über die kabellose Matrix und die RFID-Tags immer wieder Lücken existieren, in denen Shadowrunner, Schmuggler und Piraten agieren können. Nicht jede theoretisch mögliche Technik ist kosteneffektiv und sogar Megacons haben Kostendruck. Herausgekommen ist eine in der Summe durchschnittlich gute Beschreibung der teils überschwemmten Stadt, die nicht ganz einfach zu bespielen ist aber als toxisches Venedig des Nordens einiges Reizvolles zu bieten hat.

Abgerundet wird die Neuauflage durch ein von den französischen Lizenznehmern übernommenes Kapitel zu Marseille, das aufgrund der Kürze (S. 180-195) weniger detailliert ist und mehr Arbeit für den Spielleiter bedeutet, aber durchaus auch eine Alternative für Auslandseinsätze darstellt, sofern man seine Spieler mit Runs gegen Militär oder von mafiösen Strukturen durchzogene Konzerne beschäftigen will. Und natürlich nicht zuletzt durch die kurzen Abrisse zu Kapstadt, Caracas und Istanbul, die aber wirklich nicht mehr als einen ersten Eindruck vermitteln und viel Freiheit für eigene Ideen bieten.

Den Schluss bietet ein Kapitel mit Abenteuerideen zu den 3 großen Kapiteln, auf denen man durchaus kleine Kampagnen aufbauen kann oder die nach leichten Veränderungen auch in anderen Sprawls verwendet werden können.

Insgesamt ist Schattenstädte ein eher durchschnittlicher Quellenband – mit Stärken und Schwächen. So stark ich das Kapitel zu Hongkong finde, so enttäuscht war ich von Seattle. Irgendwie kam mir fast alles in diesem Kapitel beliebig und sogar etwas ausgelutscht vor. Große Veränderungen wären weder zu erwarten noch erwünscht gewesen, das ist es nicht. Es ist vielmehr, dass das Bild von Seattle, das in Schattenstädte präsentiert wird, einfach blass bleibt. Als reines Update mag es noch brauchbar sein, wenn aber jemand ohne große Vorkenntnisse hier zum ersten mal wirklich mit Seattle konfrontiert würde, dürfte es ihm äußerst schwer fallen zu verstehen, wo die besondere Faszination dieser Stadt liegen soll. Es könnte, wenn man bekannte Gebäude aus dem Text auch ein beliebiger anderer Ort sein. Das hat Seattle nicht verdient. Hamburg steht qualitativ in der Mitte, ist aber endlich eine ausführliche Schwerpunktsetzung in der ADL, Marseille und die Städte im Zwielicht sind nur Ideenlieferanten, nicht aber Detaillieferanten.

So würde ich auch einteilen, für wen Schattenstädte interessant sein könnte: Spielleiter, die ihre Gruppe schon immer im Grenzbereich zwischen westlicher und fernöstlicher Kultur aktiv werden lassen wollten, werden auf das Hongkongkapitel nicht verzichten wollen, wer seinen Spielmittelpunkt jedoch in Seattle hat, ist wohl besser damit bedient, eine andere Veröffentlichung zu Rate zu ziehen. Für ADL-Spieler ist das Hamburg-Kapitel nicht unverzichtbar, aber interessant. Am meisten Nutzen aus dem knapp 30€ schweren Buch ziehen jedoch diejenigen, die mehrere der vorgestellten Sprawls in ihr Spiel einbinden wollen – da alle beteiligten Städte bedeutende Häfen haben, gibt es auch recht offensichtliche Verbindungen. Allen anderen sei ein kritischer Blick empfohlen.

Mein Dank gilt Pegasus Spiele für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
 
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