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Autor RPG-Foren-Interview mit Oliver Dierssen

sonic_hedgehog

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Im Rahmen meiner Rezension von Oliver Dierssens "Fledermausland", welches mir bekanntlich sehr viel Freude bereitet hat, hatte ich die Chance, dem Autor ein paar Fragen zukommen zu lassen. Die Antworten kann und will ich Euch nicht vorenthalten. Viel Spaß beim Lesen!


RPG-Foren:
Danke dass Sie sich die Zeit nehmen, uns ein paar Fragen zu Ihnen und Ihren Roman „Fledermausland“ zu beantworten.

Oliver Dierssen:
Aber sehr gerne. Das Thema Rollenspielen und freies Erzählen liegt mir durchaus am Herzen - und ich bin beeindruckt zum hochdifferenzierten Rezensionssystem bei RPG-Foren.com, in das auch vom Autor nicht zu beeinflussende Größen wie Coverdesign und Preis einfließen. Ein bisschen wie Stiftung Warentest ... und mal was ganz anderes als die amazon-Sterne.

RPG-Foren:
Sie sind 1980 geboren und Arzt, als solcher arbeiten Sie seit 2007 in einer psychiatrischen Klinik, vermutlich also an Ihrer Facharztausbildung. Wo und wie haben Sie da die Zeit gefunden, einen Roman zu schreiben?

Oliver Dierssen:
Das stimmt, ich stecke noch mitten in der Facharztausbildung. Das ist nicht unbedingt die Lebensphase, in der man besonders viele Zeitfenster vermutet. Es ist tatsächlich auch kompliziert, vor allem, da ich mich sehr schwer damit tue, morgens und abends nur je eine halbe Seite vollzuschreiben. Ich brauche Zeit, und zwar richtige. Glücklicherweise ist der Arztberuf einer mit vielen Überstunden, die man sammeln kann. Zusammen mit Urlauben und Wochenendtagen ergibt das eine gewisse Summe. Das Genre erfordert glücklicherweise nicht besonders viel Recherchieren, Herumreisen, in Archive und Museen einbrechen. Man kann also, wenn man gerade im Flow ist, so richtig auf die Tube drücken.

RPG-Foren:

Ich habe Fledermausland als eine humorvolle Kreuzung aus Popliteratur im Stil eines Benjamin von Stuckrad-Barre oder eines Nick Hornby und Fantasy empfunden. Kann man diese oder ähnliche Autoren zu Ihren Vorbildern zählen oder wen würden Sie als Vorbild empfinden?

Oliver Dierssen:
Mir fehlt in der Reihe Tommy Jaud, der Autor von "Vollidiot", mit dessen Werk Fledermausland gelegentlich in eine Kiste geworfen werde. Nein, im Ernst: Ich lese ganz gerne humorvolle Bücher und habe auch die genannten Herren im Schrank stehen. Und ich fand den Gedanken ganz reizvoll, "Popliteratur" (was auch immer das ist: Ich-Erzähler? WGs mit Hunden? Drogen?) mit Übersinnlichem zu mixen. Natürlich ist Nick Hornby ein sehr großer Name. Vorbilder sehe ich aber vor allem in Leuten, die das Leben und das Schreiben unter einen Hut gekriegt haben, ohne dass eines unter dem anderen leidet. Stephen King mag ein literarisches Vorbild sein. Sein Lebensweg ist allerdings ein sehr steiniger, mit dem ich mich sehr wenig identifizieren kann. Bei Schreibvorbildern geht es also weniger um die Frage nach dem "Was", sondern auch um das "Wie und Warum".

RPG-Foren:
Fledermausland ist ja geradezu gespickt mit ironischen Betrachtungen unserer Realität, aber auch die eine oder andere Zweideutigkeit ist verborgen. Wie viel von Ihnen selbst steckt denn in Sebastian Schätz und in der präsentierten Weltsicht?

Oliver Dierssen:
Auch wenn die Erlebnisse von Sebastian Schätz nicht die des Autors sind, ist die Geschichte natürlich durch meine Brille gesehen und erzählt. Oft wurde ich gefragt: Klauen Sie Ihre Ideen von Ihren Mitmenschen, eventuell ja sogar von Ihren Patienten? Der beste Ort zum Klauen sind natürlich die eigenen Macken. Wenn man die auf die Spitze treibt, aufpoliert, das Neurotische und Komische daran an die Oberfläche bringt, kriegt man eine Menge Material zum Schreiben. Zum Beispiel Sebastians Abneigung gegenüber Studenten. Ich war ja selbst Student, habe in einer WG gewohnt und müsste mich von den Vorwürfen angesprochen fühlen. Dennoch tauchte diese Wut auf das Studentische beim Schreiben in mir auf. Sich hineinfühlen können in fremde Personen, das Eigene und das Fremde durchmischen können, sowas ist günstig, wenn man Schreiben möchte.

RPG-Foren:
Was mich vor ein Rätsel gestellt hat, ist das TK-Huhn, das „water chicken“. Ist die Geschichte mit der korrekten (?) Übersetzung als Zwergsultanshuhn schon beendet, oder wollten Sie auch eine laut Internet vorhandene Verwendung als vulgäre Bezeichnung der weiblichen Geschlechtsteile mitschwingen lassen? Ist das überinterpretiert? Ganz allgemein gesprochen, wie wichtig sind ihnen verborgene Zweideutigkeiten in Romanen, haben Sie daran Spaß?

Oliver Dierssen:
Ich bin überrascht, belustigt, vielleicht sogar etwas peinlich berührt über die Assoziationen, die so ein armes Tier weckt. Das hat es sicher nicht verdient ... Nein, im Ernst, mir ist im Prinzip völlig egal, wo das Tier herkommt und was seine biologisch korrekte Bezeichnung ist. Was mich interessiert ist: Wie geht Sebastian damit um? Schon mehrfach bin ich mit der Lesererwartung konfrontiert worden, jeder Satz müsse einen Sinn, eine geheime Bedeutung, einen Unterbau, einen Verweis auf den Metaplot enthalten. Dem stelle ich die Behauptung gegenüber, dass diese Erwartungen ja auf die Ereignisse unseres Alltages gar nicht zutreffen - vieles von dem, was uns so passiert, hat gar keinen Sinn. Deswegen freue ich mich über so phantasievolle und gewitzte Interpretationen, die durch Andeutungen, Halbheiten, Schwammigkeiten im Text angeregt werden. Nach meinem und Sebastians Kenntnisstand ist ein water chicken ein Wasserhuhn, das unerlaubterweise im Sortiment von Mister Xu auftaucht. [Es ist eine Ratte, für den europäischen Geschmack umetikettiert.]

RPG-Foren:
Als Mitglied in einem Forum, das sich mit Fantasy und ScienceFiction sowohl auf Ebene der Literatur, als auch, wie unser Name schon sagt, mit Pen&Paper Rollenspielen dieser Genres, gehört eine Frage natürlich unbedingt zum Repertoire: Haben Sie selbst Erfahrungen im Bereich Rollenspiel sammeln können, wenn ja mit welchen Rollenspielen, wenn nein, weil es sie prinzipiell nicht interessiert oder weil es sich einfach nicht ergeben hat?

Oliver Dierssen:
Ich habe diese Frage befürchtet - die Gretchenfrage in der Fantasyliteratur. Tut er "es" auch? Gehört auch er zu der Schmuddelfraktion, die mit chipsfettigen Würfeln um sich wirft? Die knappe Antwort ist: Ja, umfangreich, leidenschaftlich, immer wieder gern, es gibt kaum ein besseres Hobby. Gerade erwerbe ich sämtliche noch verfügbaren alten Changeling-Restbestände bei amazon USA, dort sind sie günstig. Kauft sie nicht, lasst sie mir, ich will sie haben.

RPG-Foren:
Zurück zu Fledermausland: Wie zufrieden sind Sie denn mit der Präsentation des Romans? Also z.B. mit der Comicfledermaus auf dem Cover, aber insbesondere damit, dass der Roman als „Der definitive Vampirroman für die Generation Praktikum“ beworben wird?

Oliver Dierssen:
Zu der Fledermaus habe ich mich an anderer Stelle umfassend geäußert. Ich mag sie sehr. Sie ist mir quasi zugeflogen, lebt bei uns uns sabbert uns nachts auf die Kopfkissen. Ich hoffe, sie bleibt und fühlt sich wohl..

"Der definitive Vampirroman für die Generation Praktikum" - als verhinderter Wissenschaftler interessiert mich natürlich die Definition der Begriffe. Zunächst einmal "definitiv": ein Modewort, das vor fünfzehn Jahren kaum jemand benutzte. Ich hoffe, es verschwindet aus diesem Kontext wieder, ein unsauberes, hässliches, pseudowissenschaftliches Wort, das viel hält und wenig verspricht. "Vampirroman" ist natürlich sachlich falsch, das weiß jeder, der den Roman gelesen hat. Es kommen zwei Vampire mit Sprechrollen im Roman vor, das Wort schafft also falsche Erwartungen. "Generation Praktikum" - das sollen wir sein, richtig? Junge Menschen, die keinen passenden Job finden und auf Praktika angewiesen sind. Sebastian Schätz hasst Praktika, er arbeitet lieber mit den Händen, und Studenten mag er schon gar nicht. Und ich habe nur ein einziges Praktikum gemacht, als 15jähriger. Generation Praktikum? Eher nicht.
Die Einzelbestandteile geben also offensichtlich keinen Sinn. Der Satz selber aber klingt ganz schön. Drei Fremdwörter und ein Modewort. Es hätte schlimmer kommen können. Neulich habe ich gelesen: "Moderne Unterhaltung ist mysteriös und sexy." Definitiv schlechter.

RPG-Foren:
Begonnen hat es ja damit, dass Sie und ihr Roman ins Finale des Heyne Wettbewerbs „Schreiben Sie einen magischen Bestseller“ gekommen sind. Seit wie lange hatten Sie schon an Fledermausland gearbeitet als sie sich dazu entschlossen, am Wettbewerb teilzunehmen? Oder war der Roman schon fertig und es fehlte Ihnen „nur“ die Chance, ihn dem passenden Publikum vorzustellen. Und nicht zuletzt: Wurde der Roman zwischen dem Wettbewerb und der Veröffentlichung eigentlich noch verändert?

Oliver Dierssen:
Die erste Fassung, die wie jeder seit Hemingway weiß, Mist ist, war fertig, als der Wettbewerb ausgeschrieben wurde. Sie war recht kurz, aber länger als die geforderten hundert Seiten war sie dann doch. Ich hatte den Roman im Herbst vorletzten Jahres in einem Rutsch heruntergeschrieben. Ein guter Tipp übrigens: Erst eine erste kurze Fassung schreiben und dann später ausarbeiten. Heyne konnte sich für das Manuskript erwärmen und wünschte sich einen etwas längeren Text. Es war ein Vergnügen, in ein im Prinzip fertiges Buch Nebenstrang um Nebenstrang einzuflechten, ohne Angst zu haben, dass man am Ende nicht fertig wird. Schöner kann Schreiben nicht sein, glaube ich.

RPG-Foren:
Schaut man sich um, so kommt man nicht umhin zu bemerken, dass nicht nur mir der Roman gut gefallen hat, sondern dass er allgemein sehr wohlwollend aufgenommen wird. Wie sind denn Ihre weiteren Pläne in literarischer Hinsicht?

Oliver Dierssen:
Na, weiterschreiben natürlich. So viel es geht. Wenn man einmal auf den Geschmack gekommen ist, kann man gar nicht mehr aufhören. Wie soll ich das Gefühl beschreiben, ein Buch wachsen zu sehen? Es ist ein bisschen wie beim Rollenspielen - nur dass der Zauber der letzten Runde nicht mit der Zeit verfliegt, sondern sich immer dichter und intensiver um einen herum sammelt, ein vertrauter, flauschiger Teppich aus Erinnerungen, auf dem man sich fröhlich herumwälzen kann. Moderne Unterhaltung ist mysteriös und sexy.
Ich möchte jetzt nicht zu viel verraten, mache aber kein Geheimnis daraus, dass ich seit Abgabe von Fledermausland im letzten Herbst eine Menge Zeit vor dem Notebook verbracht habe. Und es reizen mich nach wie vor die Geschichten, die mitten unter uns spielen, in denen sich hier und dort auch mal eine Fledermaus, ein karrieregeiler Zwerg, ein Domowoj oder ein devoter Kobold vor unseren Fenstern herumdrücken und uns beim Zubereiten eines Wasserhuhns zuschauen.

RPG-Foren:
Herzlichen Dank nochmals, wir wünschen Ihnen auch weiterhin viel Erfolg und viel Glück für die Zukunft.

Oliver Dierssen:

Die Glückwünsche gebe ich zurück - ich freue mich sehr, dass es Portale wie diese gibt, wo "das Hobby" den guten, wichtigen Platz bekommt, der ihm zusteht.
 
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Tufir

Drachling
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AW: RPG-Foren-Interview mit Oliver Dierssen

Sehr gelungenes Interview!

Ich finde es bemerkenswert, dass sich der Autor offensichtlich mit deiner Rezension und unserem Rezensionssystem auseinandergesetzt hat. Offensichtlich gefällt ihm auch, dass wir hier dem gemeinsamen Hobby eine Heimat gegeben haben. Ich frage mich, ob er sich eventuell hinter einer der vielen Neuanmeldungen verbirgt! ;)

Gruß
Tufir
 

Sameafnir

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AW: RPG-Foren-Interview mit Oliver Dierssen

Genau! Ein tolles, sehr persönliches Interview und zwar seitens des Interviewers und des Autors, besonders gut gefallen hat mir dies:

Oliver Dierssen:
Ich habe diese Frage befürchtet - die Gretchenfrage in der Fantasyliteratur. Tut er "es" auch? Gehört auch er zu der Schmuddelfraktion, die mit chipsfettigen Würfeln um sich wirft? Die knappe Antwort ist: Ja, umfangreich, leidenschaftlich, immer wieder gern, es gibt kaum ein besseres Hobby. Gerade erwerbe ich sämtliche noch verfügbaren alten Changeling-Restbestände bei amazon USA, dort sind sie günstig. Kauft sie nicht, lasst sie mir, ich will sie haben.

Das macht einem den Mann doch gleich symphatisch! :)
 

Integra

Gelehrt
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AW: RPG-Foren-Interview mit Oliver Dierssen

Was? Dass er spielt oder dass er seinen exzellenten Geschmack beweisst und Changeling spielt/sammelt?
 

Jalokin

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AW: RPG-Foren-Interview mit Oliver Dierssen

Finde das Interview auch sehr gelungen, besonders die wirklich interessanten Fragen. Danke sowohl an Herrn Dierssen, als auch an Sonic, habe mich köstlich amüsiert!!!
 

Integra

Gelehrt
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AW: RPG-Foren-Interview mit Oliver Dierssen

Changeling ist ein Ableger der alten Welt der Dunkelheit, bei dem man Feen spielt (in Deutschland als "Wechselbalg") erschienen. Ziemlich durchgeknalltes Konzept, aber lustig zu spielen.
 

Sameafnir

Ältestenrat
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AW: RPG-Foren-Interview mit Oliver Dierssen

... zieht Hut vor anscheinend allwissenden RPG-Lexikon Integra ... merci!
 

Voltan

Heldenhaft
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AW: RPG-Foren-Interview mit Oliver Dierssen

Noch mal zurück zum Interview:

Finde ich sehr schön. Tolle Fragen und tolle Antworten. Es scheint sich um ein sehr angenehmes und entspanntes Gespräch (oder gemaile) gehandelt zu haben.
 

bhaelomat

Anwartschaft
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AW: RPG-Foren-Interview mit Oliver Dierssen

Seltsam, dass Changeling vergessen ist. "Es kommt ein kalter Hauch." Übrigens gar kein besonders lustiges Spiel. Wird aber auf Cons häufig als bunte Knusperpackung verkauft.

Ist jemand bei Hannover Spielt im Juni?

(Hallo, RPGler, ich hab mich reingeschlichen ...)
 
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