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Rollenspielsystemvorstellung: Desperado

Feuertraum

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Desperado

Autoren: Ursprünglich entwickelt und geschrieben von Ian Lemke. Nun in der Fassung von André Frenzer, mit Texten von Sven Dwulecki.

Erschienen: 2020
Verlag: THQ Nordic/Pegasus

Der wilde Wilde Westen
fängt gleich hier am Spieltisch an
der SC Waffen sind die Würfel
und natürlich der Verstand.

Da fliegen Blaue Bohnen durch die Luft
Man wird sich duellieren
Und ein dezenter Tipp von mir
Bloß nicht den Kopf verlier’n


Ja, ich weiß, eingefleischte Truck Stop Fans würden mir jetzt am Liebsten die Ohren strubbelig ziehen, weil ich den Text zu „Der wilde Wilde Westen“ ein wenig verhunzt habe, aber als Einleitung zum Pen und Paper Rollenspielsystem „Desperado“ finde ich ihn schon passend.
Wobei ich mir gar nicht mal so sicher bin, ob man dieses System tatsächlich als ein P&P bezeichnen darf, da es sich mehr als ein Spiel entpuppt, bei dem Taktik und Strategie einen gar nicht mal so geringen Raum einnehmen.
Worum geht es?
„Desperado“ bietet des Helden an, je einen von fünf Charakteren zu spielen:
Einen Revolverhelden, einen Trapper, einen Spieler, einen Quacksalber und einen Voodoopriester.
Jeder Archetyp wird beschrieben.
Jeder Archetyp bekommt auf zwei der sechs Attribute einen zusätzlichen Punkt, wobei die Attribute bei den Charakteren vorgegeben sind. Dann besitzen sie noch zwei Fertigkeiten und zwei Spezialfertigkeiten.
Wenn sich die Spieler einen der Charaktere ausgesucht haben, geht es ans Erstellen des selbigen. Zu diesem Zweck darf er 20 Punkte auf die sechs Attribute verteilen (als da wären Muskelkraft, Wendigkeit (steht in diesem Fall für Geschwindigkeit und Reflexe), Konstitution
Intuition Intelligenz und Entschlossenheit), wobei jedes Attribut mindestens einen Punkt haben muss, maximal aber sechs Punkte haben darf. Selbst mit den +1 auf ein Attribut in den Beschreibungen dürfen sie sechs Punkte nicht überschritten werden.

Zusätzlich sollte ein Spieler darauf achten, bei den Attributen Konstitution, Wendigkeit und Entschlossenheit schon eine höhere höhere Punktzahl einzutragen, da aufgrund deren Werte drei weitere Bereiche bestimmt werden: Die Lebenspunkte (Wert der Konstitution = Lebenspunkte), Duellwert (Wendigkeit + 10) und Nervenstärke (Entschlossenheit = Nervenstärke)

Während man den Duellwert jetzt nicht so extrem hoch setzen sollte, sind die Lebenspunkte und die Nervenstärke schon recht wichtig. Doch dazu an anderer Stelle mehr.
Nachdem die 20 Punkte verteilt und die abgeleiteten Werte eingetragen sind, folgt der zweite Schritt der Charaktererstellung: Das Auswählen weiterer Fähigkeiten.
Neben den beiden, die ein Archetyp von zu Hause aus mitbringt, darf sich jeder Spieler noch zwei weitere Fertigkeiten aussuchen. Bei der Fertigkeiten stehen – abhängig von der Fertigkeit – zwischen 1 – 4 Attribute. Sollte es zu einem Einsatz einer der Fertigkeiten kommen, wird der Wert, der bei den Attributen steht, zum Würfelergebnis zugezählt. Dabei wird berücksichtigt, dass je nach Situation auch mal eine andere der Attribute genutzt werden muss. Sprich der SC darf sich nicht automatisch die höchste Zahl aussuchen.
Haben sich die Spieler zwei Fertigkeiten aus der Liste ausgesucht, kommt es zum letzten Schritt der Charaktererstellung, wobei diese tatsächlich nur den Voodoopriester betrifft. Dieser darf sich zwei von sechs zaubern aussuchen, die er während des Spiels anwenden will.

Nachdem auch dies erledigt ist, kann das eigentliche Spiel beginnen.
Und spätestens während des Spielens merkt man, dass das Spiel zwar von den Ansätzen her eigentlich ganz cool ist, aber im Gesamturteil doch noch um einiges überarbeitet werden sollte,, da sich leider so einige Schwachstellen zeigen.
Erstmal läuft es ab wie ein normales Rollenspiel: Helden bekommen einen Auftrag, den sie mittels der üblichen Vorgehensweise durch Interaktion, Spurensuche oder eben Kampf erledigen sollen. Während die Spurensuche und die Interaktion normal sind, weicht das Kampfsystem unserer Erfahrung/unseres Wissens/unserer Meinung nach vom Üblichen ab.
Während es bei einigen Systemen bei gegenseitigen „Erst schlag ich zu, dann schlägst du zu und dann wird der jeweilige Schaden abgezogen“ oder „Wir hauen uns gleichzeitig und der Schwächere bekommt den Schaden ab“-Abwicklungen kommt, funktioniert das Kampfsystem in „Desperado“ auf einen vollkommen anderen Weg:
Haben die SCs einen Misserfolg gewürfelt, bekommen sie einen Lebenspunkt abgezogen, während der gegnerische NSC mit heiler Haut und unverletzt davonkommt.
Haben die Scs hingegen einen Erfolg gewürfelt (also mit ihren 3W6 über den vom Spielleiter festgelegten Schwierigkeitsgrad), bekommen die Schergen (es gibt noch die Bosse) einen Schadenspunkt (was den sofortigen Tod bedeutet), allerdings auch die SCs (!)
Zu guter letzt gibt es noch den großartigen Erfolg. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass man a) den SG erreicht bzw. überschritten hat UND gleichzeitig einen Pasch mit zwei der drei Würfel bekommen hat (ein Tripple zählt dennoch als Pasch mit zwei Würfeln). Ist dieses der Fall, bekommt nur der NSC einen Schaden (und wie gesagt: Ist der NSC ein Scherge, ist es tot) und der SC bekommt einen weiteren Vorteil. Bei einem Taktischen Kampf (aka Jeder kämpft für sich alleine) darf er auf einer Tabelle für Großartige Erfolge würfeln (mit einem W6), und in Abhängigkeit was er wirft bekommt er einen zusätzlichen Vorteil. Dies funktioniert übrigens auch bei Situationen, die nichts mit Kampf zu tun haben, allerdings obliegt es da dem Spielleiter, sich einen Vorteil auszudenken.
Was ist die Logik dahinter, dass ein SC einen Schaden abbekommt, wenn er einen Erfolg erzielt hat?
Dazu muss ich etwas ausholen: Laut Regelwerk schauen Schergen von vornherein in eine vorher festgelegte Richtung. Diese kann an den Helden vorbeigehen, diese können auf ein Hindernis treffen oder eben auch einen der Scs. In letzteren Fall gilt dies als ein automatischer Misserfolg, und ein automatischer Misserfolg = Schaden. Je mehr NSCs in diese Richtung schauen = mehr Schaden.
Darum ist bei einem Taktischen Kampf laut Regelwerk ein „Aus der Deckung raus, ins Blickfeld geraten, also automatischer Misserfolg also ein Schadenspunkt (bei der Gelegenheit: Wer mit seinen Lebenspunkten auf 0 sinkt, ist „nur“ handlungsunfähig, ist er unter 0, ist er tot.)
Diese Regel gilt jedoch für den Taktischen Kampf, der als „Jeder kämpft für sich allein“ verstanden wird. Es gibt noch eine zweite Variante, bei der man vom Koordinierten Kampf spricht. In einem solchen Fall schießen alle Helden gleichzeitig. Sind alle Schergen ausgeschaltet beim ersten Angriff ausgeschaltet, hat keiner der Helden einen Schaden abbekommen, obwohl es rein theoretisch schon SCs gegeben haben kann, die sich eine Kugel eingefangen haben. Sollten noch Schergen leben, bekommen all jene die Schadenspunkte, die einen Misserfolg erwürfelt haben, selbst wenn diese Scs nicht ins Blickfeld der NSCs geraten wären. Ach ja, Schergen, die sich gegenseitig anschauen, fügen sich keinen Schaden zu.
Unabhängig davon haben diese Kämpfe noch die Bedingung zu erfüllen, dass zuerst die Schergen ausgeschaltet werden müssen, bevor man sich „an die Bosse ranmacht!“. Und die Bosse haben noch die Vorteile, dass sie einerseits mehr Lebenspunkte im Vorfeld haben (3 – 4) und teilweise noch einige Gemeinheiten im Petto haben, wie zum Beispiel 1 Schuss bringt dem SC gleich 3 Schaden!

Bleiben noch zwei Punkte zu erklären: Was hat es mit dem Duellwert auf sich und was mit der Nervenstärke?
Hin und wieder kann es zu einer Situation kommen, in der ein Duell stattfindet. In einem solchen Fall gibt es keinen Schadenspunkt durch Blickrichtung, allerdings trotz alledem Erfolg oder Misserfolg.
Die beiden Kontrahenten „stellen“ sich gegenüber. Während der SC den Schwierigkeitsgrad seines Gegners erwürfeln muss, muss dieser den Duellwert seines Gegenübers packen. Eigentlich schon ein kleines Problem, welches im Spiel jedoch dadurch erleichtert wird, dass die Duellanten einen W6 nehmen und einstellen können, wie viel Runden sie warten wollen, bis sie schießen. Je länger sie warten, desto geringer wird der Schwierigkeitsgrad des Gegenspielers (Jede Runde warten = SG -1) . Auf der anderen Seite kann es natürlich passieren dass jemand, der früher schießt, seinen Gegner eventuell ausschalten kann.

Kommen wir noch zur Nervenstärke: Manchmal würfelt man unglücklich. Der NSC muss mindestens mit einer 13 getroffen werden und man bekommt eine 6, eine 5 und eine 1.
Mist!
Doch halt: Es gibt ja die Nervenstärke. Diese erlaubt es, bis zu drei seiner Würfel erneut zu würfeln, wobei jeder Würfelneuwurf eine Nervenstärke kostet. Man kann alle drei Würfel neu würfeln, muss dann aber drei Nervenstärke bezahlen. Und: Diese Aktion funktioniert nur einmal in einem Kampf. Dafür regenerieren sich diese Punkte aber wieder recht fix.

Wenn das Abenteuer aus ist, können sich die Helden verarzten lassen und bekommen ihre Lebenspunkte wieder zurück. Leider können sie diese tatsächlich nur zwischen zwei Abenteuern und nicht während eines, Da geht nur 1. Hilfe oder ein Zauber. Dadurch kann er zwar auf bis zu 6 Punkten kommen, die Ausführenden müssen aber einen sehr hohen Schwierigkeitsgrad knacken.

Fazit: „Desperado“ kann man getrost als ein Spiel ansehen, welches Rollenspielelemente mit Taktik und Strategie verknüpft. Leider wirkt das Regelwerk sehr einfach gestrickt. In unseren Augen (Truppe von 6 Personen) muss es noch einmal deutlich überarbeitet, einige Regeln genauer herausgearbeitet werden. Insbesondere sollte man sich etwas ausdenken, was die Unterschiede zwischen Taktischen und Koordinierten Angriff angeht. Gerade der Koordinierte wird bevorzugt, weil es wesentlich weniger Schaden für die SCs geben kann.
Auch die Duellregeln hinterlassen einen leicht schalen Geschmack.
Ein – wie ich persönlich finde – weiteres Manko: Zwar findet man im Regelheft so einige Zeichnungen, die gedacht sind für Hindernisse, hinter denen sich die Helden vor den Blicken der Schergen verbergen können, jedoch sieht man beim beigelegten Abenteuer Hindernisse, die in den Zeichnungen fehlen.
Durch die in meinen Augen wenigen Fertigkeiten hat man als Spieler auch nicht so viel Spielraum, wobei ich mir da nicht sicher bin, ob dieses nur ein Vorteil für Taktikliebhaber ist oder sich eher als ein Nachteil für die Rollenspieler entpuppt.
Zugegeben, „Desperado“ ist frei im Netz erhältlich, allerdings ist es eine Publikation eines Verlages, der in der Rollenspielszene alles andere als ein NoName ist. Gerade von einem solchen Verlag erwarte ich ein genaueres Schauen, sowohl was die Regeln als solches betrifft als auch, was die Texte betrifft, die zwar alles erklären, aber leider so manche Feinheit auslassen, die beim Spielen mit einer großen Wahrscheinlichkeit eben doch gebraucht werden.
 
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