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Sci-Fi / Fantasy Peter S. Beagle: In Kalabrien (Klett-Cotta)

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Titel: In Kalabrien
Autor: Peter S. Beagle
Übersetzung: Oliver Plaschka
Aufmachung: Gebunden
Seiten: 164
Verlag: Klett Cotta
Erscheinungsdatum: 10.02.2018
ISBN-13: 978-3-608-96217-8

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Vor ziemlich genau 8 Jahren hatte ich die Gelegenheit hier im Forum im Rahmen einer Rezension, seinerzeit noch in Kooperation mit dsa-fantasy.de, Peter S. Beagles zurecht gefeierten Roman „Das letzte Einhorn“ vorzustellen.
Aus Sicht des Autors ist noch wesentlich mehr Zeit vergangen, doch 2017 ist auch er zurück gekehrt zu dem Lebewesen, das seinen Erfolg begründete - dieses Mal in Kalabrien…

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Claudio Bianchi ist ein über das Leben zynisch und mürrisch gewordener Bauer mittleren Alters, der auf mich als Leser deutlich älter wirkt und allein auf seinem kleinen, etwas heruntergewirtschafteten Hof im kalabrischen Hinterland lebt. Die Bewirtschaftung des Hofs und seine Tiere sind gerade ausreichend, um Claudio zu ernähren – denn, wie einer seiner wenigen Besucher, der Postbote Romano schon auf der ersten Seite des Romans feststellt, der Hof liegt zu hoch für die amerikanischen Sonnenanbeter und zu niedrig für die deutschen Skifahrer. Was aber auch genau den Wünschen von Claudio entsprechen dürfte, der zumindest damit kokettiert, dass schon der Besuch des Postboten einer zu viel sei.
Diese scheinbare Selbstzufriedenheit, diese Routine eines abgeschiedenen Lebens zerbricht mit dem Erscheinen eines Einhorns, eines Einhorns, das sich aus unerfindlichen Gründen eine Senke in Claudios Garten ausgesucht hat, um die Geburt eines Fohlens vorzubereiten. Claudio sieht sich in der Verantwortung für dieses mystische und dennoch zerbrechlich wirkende Geschöpf, und das verändert alles, auch ihn selbst. Nicht zuletzt, da ein Geheimnis auch in der Abgeschiedenheit des kalabrischen Hinterlands nicht zu bewahren ist. Nicht zuletzt, da die Idylle des sich selbst versorgenden Landlebens eben nur eine scheinbare ist. Die Gerüchte, auf Claudios Hof lebe ein Einhorn, locken nicht nur Touristen und Presse, sondern auch die kalabrische ‘Ndrangheta an. Aber braucht ein Einhorn Schutz? Braucht es ihn während der Verwundbarkeit des Kindbetts? Oder braucht der Schützende ein Einhorn?

„In Kalabrien“ ist keine Fortsetzung von „Das letzte Einhorn“, und dennoch haben die Romane Gemeinsamkeiten – nicht nur darin, dass beide von Einhörnern handeln. Die Gemeinsamkeiten liegen aber weniger in der Geschichte, als darin, dass Beagle auch hier das Einhorn dafür nutzt, eine Parabel zu erzählen. Diesmal eine Parabel dafür, dass es im Leben nicht zu spät ist. Das Einhorn durchbricht die Mauer, die Claudio um sich selbst aufgebaut hat, aus Gründen, die sich dem Leser erst im Lauf der Geschichte erschließen. Der Leser erfährt den Zauber, den dieses Wesen auf Claudio ausübt, wie es seine kleine Welt in ein mystisches Licht zerrt. Umso tiefer der Fall, als auch der Rest der Welt Eingang in diese Späre sucht, quasi erzwingt – sowohl für Claudio und La Signora, als auch für den Leser. Die Wirklichkeit erträgt den Zauber nicht, oder er erträgt die Wirklichkeit nicht. Und dennoch, ein Stein, der im Gebirge ins Rollen gekommen ist, der wird nicht so leicht gestoppt. Im Gegenteil. Und wer in seinem Vorgarten einem Einhorn bei der Geburt eines Fohlens hilft, der kann sein einsames Leben nicht einfach wieder fortsetzen.

Peter S. Beagle ist erneut eine zauberhafte Geschichte gelungen. Claudio Bianchi wirkt deutlich älter als er in Wahrheit ist, schlicht deshalb, weil er sich selbst in diese vorzeitige Alterung gefügt hat, sie provoziert hat. Auch Kalabrien wirkt … abgehängt. Ein letztes Refugium einer Welt in Europa, in der man von seiner eigenen Hände Arbeit lebt und leben muss. Man spürt das Graue, das Braune dieser Welt, sieht vor seinem Auge verwitterte Gestalten und gebeugte Rücken. Und dennoch: Was sich anfühlt wie dies fünfziger Jahre, liegt nur durch einen Hauch getrennt, neben unserer Welt – der Welt der Handys, Googles, etc. Die Welt in der auch der Postbote und seine Schwester leben könnten, hätten nicht das Dorf und die Erwartungen der Gesellschaft eine gewisse Klebewirkung. Beagle erweckt seine Welt zu einem merkwürdigen Leben, er hätte sich das Stilmittel, der einzelnen italienischen Worte und Sätze, die er seinen Protagonisten in den Mund legt, auch sparen können. Die Atmosphäre bedarf nicht dieses eigentlich billigen Tricks. Und welchen Kontrast stellt diese Welt zu einem Einhorn dar? Beagle wandert haarscharf an der Kante zum Kitsch, doch schafft es wunderbarerweise immer, seine Geschichte vor dem Abrutschen zu bewahren. Und auch seine Botschaft ist eigentlich eine altbekannte – die hier nur neu und schön verpackt wird. Einer der Fälle, in denen die Verpackung aber das eigentlich relevante ist.

Peter S. Beagles „In Kalabrien“ ist eine Empfehlung für jeden, der sich mal wieder für ein paar kurze Stunden von einer Novelle verzaubern lassen will, die die Welt nicht neu erfindet, aber dafür umso schöner präsentiert. Für jeden, der vielleicht auch einfach mal wieder eine stille Liebeserklärung verschenken will. Es sind nur 164 Seiten,von Oliver Plaschka gefühlvoll übersetzt und in gewohnter Klett-Qualität gesetzt, aber mehr braucht es manchmal auch nicht.

Verschafft Euch selbst einen ersten Eindruck in der Leseprobe des Verlags, dem ich an dieser Stelle gerne für das Rezensionsexemplar danken möchte.


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[35//40] - Handlung
[39//40] - Stil
[09//10] - Aufmachung
[09//10] - Preis/Leistungs-Verhältnis

92% - gesamt
 
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