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P&P-Rollenspiel ... was ist das?

Screw

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Wie viele solcher oder ähnlicher Texte habe ich schon gelesen ... genau genommen: keinen
Ich habe sie immer nur angelesen oder, nach den ersten paar (3) Malen ignoriert, denn ich hatte schon recht früh eine sehr klare Vorstellung, was das ist ... für mich.

Treffe ich Leute, die damit noch keine Berührung hatten oder nur vage Vorstellungen haben, benutze ich gerne folgende Phrase:

Rollenspiel ist Schauspiel im Kopf

Und weil eine Schlagzeile allein noch keine Nachrichten macht, ergänze ich das meist folgendermaßen:

Man ist Darsteller einer selbst erdachten Figur in einem interaktiven Theaterstück, dessen Skript man nur bruchstückhaft während der Vorstellung erhält. Das Publikum besteht aus ein paar Personen, die sich in der gleichen Situation befinden und man selbst gehört wiederum zu deren Publikum. Ziel des Ganzen? Was auch immer das Skript euch gibt, macht gemeinsam ein Stück daraus, von dem ihr immer wieder erzählen möchtet.

Mit diesen Worten eröffne ich meinen ersten Blog hier auf den RPG-Foren.com zum großen Themenbereich, und meinem primären Hobby seit 1996, P&P-Rollenspiel.

Da dies mein erster Blog überhaupt ist, sehe ich das auch ein wenig als Test-Stadium an. Ich muss mich erst einmal rein finden. Aber in weiterer Folge, plane ich hier meine Ansichten, Tipps und Anregungen in diesem Bereich darzulegen, um so Neulingen einen leichteren Einstieg zu ermöglichen oder Altehrwürdigen etwas zum Schmunzeln (oder auch Überdenken) zu geben. Ich hoffe, ich finde damit zumindest einige Interessenten, und ich denke gerade noch über die sinnvollste Möglichkeit nach, wie ihr auf meine Ergüsse reagieren könnt, solltet ihr das wollen. Ob es einen Diskussionsbereich geben wird, oder dies in einem der bestehenden Foren geschehen wird? Ich lasse es euch wissen.

cul8r, Screw
 

Screw

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>> Fajik Rovuku ist ein Hundezüchter in Waterdeep und hat in seinen 65 Jahren schon einiges gesehen, aber nichts kam an diese eine Sache heran, die ihm vor 31 Jahren passiert war. Das war der Tag, als er Nurdass traf ... ein Wesen, dass ihn mehr als einmal überraschen würde. <<

So beginnt das Leben meines neuesten Charakters. Nicht jede Charaktererstellung muss mit dessen Geburt oder ersten Erinnerungen beginnen, ist sogar eher die Ausnahme, aber eine gute Vorgeschichte ist einer der Grundpfeiler für gutes Rollenspiel. Je mehr man über seinen eigenen Charakter weiß (sprich: sich ausgedacht hat), desto besser kann man sich in diesen hineinfühlen. Es gehört also auch Empathie zum Rollenspiel, denn wie sollte man eine Figur glaubhaft verkörpern, wenn man keine Vorstellung von deren Gefühlswelt oder Denkweise hat?

Um das zu erreichen, sind aber doch einige Dinge nicht unwesentlich.
  • Eine gewisse Grundkenntnis der Welt, in der der Charakter lebt und in welchem Winkel davon er aufgewachsen ist.
  • Welcher Volksgruppe, Rasse oder Gattung er angehört und was das für seine Lebensumstände bedeutet.
  • Welche Kultur beherrscht sein Aufwachsen und seinen Alltag und welche Position nimmt er in dieser ein?
  • Ist das Geschlecht relevant für die Entwicklung und die Möglichkeiten, die dem Charakter offen stehen?
  • Wie kommt der Charakter zu dem Lebensweg, der ihn schließlich zum Abenteurer/Shadowrunner/Helden macht?
  • Was treibt ihn an? Was ängstigt ihn, macht ihn wütend, fröhlich, traurig, hoffnungsvoll?
  • Wonach strebt der Charakter und was ist sein moralischer Kompass?
Das klingt wie ein Lebensratgeber, aber genau das ist eine Hintergrundgeschichte auch. Die Hintergrundgeschichte eures Charakters definiert, wer er oder sie ist, sein möchte, sein kann, und ihr lenkt sein oder ihr Schicksal.

Ich habe selbst schon ein paar Mal Charaktere ohne Hintergrundgeschichte gespielt (ja, ist halt von seinem Clan abgehauen, hat ein paar Jahre in den Bergen gelebt und seinen Gott gefunden, jetzt ist er Kleriker ...), aber früher oder später haben sich immer Ideen geformt, was in der Vergangenheit geschehen ist. Ideen, die der Figur mehr Leben eingehaucht haben, sie mehr zu einem Individuum haben werden lassen, mit eigenen Ideen, Wünschen , Ängsten und Hoffnungen. Zu einer geschichtstragenden Figur im Abenteuer. Wenn ich an meine Charaktere denke, die ich schon länger nicht mehr gespielt habe, denke ich daran wie an eine Buchreihe, die noch nicht fertig ist. Ich sehne mich nach der Fortsetzung. Wie wird es weiter gehen? Wird es eine neue Bedrohung geben oder endlich den erwünschten Erfolg? Kann mein Charakter sein persönliches Ziel erreichen oder stellt sich dies doch als schwieriger als gedacht heraus? Wird sie sich mit jemanden aus der Gruppe näher anfreunden? Wird es vielleicht mehr als das?

Jeder, der mit Harry Potter oder Herr der Ringe aufgewachsen ist (oder einer anderen packenden Buchserie), kann verstehen, was ich meine. Nur ist man in diesem Fall nicht einfach nur Beobachter, sondern Protagonist. Wir sind mitten drin, ja oft sogar der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Geschichte. Wir sind die, die durchs Feuer gehen, die, denen das Wasser bis zum Halse steht, die, die die Suppe auslöffeln ... oder einbrocken, auch das kann passieren. Auch sind wir die, die den Kopf hinhalten, denn Sterben gehört in den meisten Rollenspielen zum Alltag. Wir sind keine Mary-Sues, keine Allesüberleber, keine beinahe gestorbenen die durch diese Erfahrung plötzlich doppelt so stark wieder aufstehen und die bösen fertig machen ... außer das ist so geplant.

Wichtig ist: Als Spieler weiß man nicht, was als nächstes kommt, und das ist auch gut so. Und einem guten Spielleiter kann man vertrauen, dass was immer die nächste Szene bringt, es Potential für eine großartige und unterhaltsame Geschichte in sich trägt, und auch der Tod eines Charakters in dieser Geschichte einen würdigen Platz haben wird. Ich gebe zu, ich will keinen meiner Charaktere sterben sehen aber es gibt oft Situationen, in denen ich davon ausgehe, dass einer sterben wird ... und verdammt nochmal: An diesen Tod wird sich jeder erinnern!

Ich sehe euch auf der anderen Seite, Screw

PS. Für Kommentare, Anregungen und Diskussionen steht ab sofort ein Thema im Gassengeschwätz zur Verfügung. Ich bemühe mich, im weiteren Verlauf auf diese einzugehen, verspreche aber nichts.
 

Screw

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Spieler A: "Wenn sich keiner der Gegner mehr rührt, durchwühle ich mal ihre Taschen."
Spieler B: "Mein Charakter hält dich davon ab und sagt: >Leichenschändung ist das. Sie haben tapfer gekämpft, also erweise ihnen gefälligst Respekt."
Spieler A: "Ich schlage deine Hand weg und halte dir mein Messer unter die Nase. > Rühr' mich noch einmal ungefragt an, und du kannst dich neben sie legen."

Den Rest könnt ihr euch wahrscheinlich denken.
Leider sind solche oder ähnliche Szenen nicht selten in Rollenspielrunden, denn jeder hat seine ganz eigenen Vorstellungen davon, wie der eigene Charakter tickt. Da ist Konflikt vorprogrammiert, aber das bedeutet nicht, dass das auch ein Problem für die Spielrunde darstellen muss. Wichtig ist hier, wie in allen sozialen Belangen, die Kommunikation. Klar, man will nicht gleich allen am Tisch die verborgenen Tiefen des eigenen Charakters offen legen, wo wäre da der Reiz, aber es ist immer eine Frage des "wie". Hilfreich ist hier oft eine sogenannte "Session 0", die es den Spielern ermöglicht, ihre Charaktere einander vorzustellen und gemeinsam zu sehen, wie dieser zusammengewürfelte Haufen an Individualisten (bzw. Egoisten, Egozentrikern, Sonderlingen, Opportunisten ... sucht euch was aus ;) ) am besten zusammen hält. Unter den Charakteren darf es gerne Spannungen geben, sogar bis hin zur gerade noch so zurückgehaltenen Blutfehde, aber nur, wenn die Spieler alle damit einverstanden sind. Schließlich spielt man ja zusammen, nicht gegeneinander.

Eines der schlimmsten Beispiele, die mir diesbezüglich je zu Ohren gekommen sind, ist eine Geschichte aus dem Shadowrun-Universum:
Der Run ist durch, die Bezahlung mehr als zufriedenstellend. Das Geld in unnummerierten Scheinen in einem klassischen Aktenkoffer, steht unter dem Tisch, an dem das Team um die Aufteilung feischt. Der Magier argumentiert, dass seine Foki und Reagenzien viel Kosten und er deshalb ein wenig mehr benötigt, um seine Effektivität für das Team weiter zu steigern. Der Rigger meint, dass bei dem Run größtenteils sein Material beschädigt wurde und deshalb ihm die größere Kompensation zusteht. Der Teamleader bringt sein Gewicht ebenfalls ein und erklärt, das ganze verhalte sich wie bei Piraten, ihm steht der größte Batzen zu. Der Decker lacht nur trocken und stellt klar, dass ohne ihm der Run gar nicht möglich gewesen wäre. Der Sammie sitzt still da und hört abwartend zu.
Das ganze zieht sich dahin, und mittlerweile ist sogar am Spieltisch schon mehr als eine Stunde verstrichen, ohne, dass sich eine Einigung abzeichnet. Der Sammie-Spieler wendet sich an den SL.
Sammie: "Was für ein Koffer ist das eigentlich genau? Der mit dem Geld?"
SL: "Ein Aktenkoffer halt. Handelsüblich, nix besonderes."
Sammie: "Also von außen besehen so, wie meiner mit der chemischen Versiegelung?"
SL: "Ja."
Sammie: "Gut, ich mache folgendes. Ich stehe auf und nehme den Geldkoffer."
Hier würde man erwarten, dass die anderen Spieler mit ihren Charakteren reagieren. Diese allerdings sind so eingenommen von ihrem Disput, dass sie den Inhalt der Unterhaltung in normaler Lautstärke nicht wahrnehmen.
Sammie weiter: "Mit dem Geldkoffer gehe ich in den Nebenraum mit unserem Zeug. Dort nehme ich meinen Koffer, in dem sich noch die 5 Kilo C4 befinden und tausche die Inhalte aus. Das C4 versehe ich mit einem Funkzünder. Dann packe ich mein restliches Zeug zusammen und stelle es neben die Tür. Mit dem Geldkoffer, in dem sich jetzt das C4 befindet, gehe ich zurück zu den anderen und stelle diesen an seinen alten Platz. Dann verlasse ich den Raum wieder, schließe die Tür, schnappe mein Zeug und gehe."
Nach wie vor, hat der Rest der Gruppe nicht reagiert, obwohl sich der Sammie-Spieler nicht bemüht, leise zu sprechen. Der SL hat sich derweil Notizen gemacht und etwas im Regelbuch nachgeschlagen.
Sammie: "Draußen winke ich mir ein Taxi herbei, steige ein und drücke dem Fahrer einen Hunderter in die Hand. >Flughafen<, sage ich ihm nur, >noch so einen gibt's, wenn du die Tour leer gemacht hast.< Sobald wir ein paar Blocks gefahren sind, aktiviere ich den Zünder."
SL: "Passt." An die restlichen Spieler gewandt: "Ihr seid tot, Leute."
Zuerst reagiert niemand, denn sie diskutieren immer noch, aber einer der Spieler blinzelt dann doch irriteirt und fragt: "Was?"
SL: "Ihr seid tot. In die Luft gesprengt. Kablammo."

Es erübrigt sich, weiter auf das was dann folgte einzugehen. Die Spielrunde gab es danach nicht mehr und keiner konnte die anderen noch leiden ... ok, der Sammie und der SL vielleicht.
Egal. Moral von der Geschichte: Lasst eure In-Game-Konflikte nicht an euch ran. Wenn euch was an der Art, wie sich die Charaktere untereinander verhalten stört, sprecht es spätestens vor der nächsten Runde an und findet einen Konsens. Im Idealfall steht der SL auch als Mediator zur Verfügung und/oder kann über die Hintergründe der Charaktere Lösungen anbieten.

Vergesst nie: Es ist immer noch ein Spiel. Das sollte ALLEN Spaß machen.

cul8r, Screw
 

Screw

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Gerade heute ist mir wieder einmal ein Klassiker unter den Charaktereigenschaften bei Rollenspielen unter gekommen.

Gedächtnisverlust

Sehr praktisch für Spieler, die entweder zu faul, unerfahren oder ideenlos (alles drei legitim und kann mal vorkommen, keinerlei Vorwürfe) für einen Hintergrund sind. Aber lasst euch gesagt sein: Das ist ein zweischneidiges Schwert und kann wie jenes des Damokles über der ganzen Runde hängen. [OT] Da fällt mir ein: wenn Damokles allein in seinem Thronsaal auf seinem Thron saß, war er genaugenommen das erste historisch dokumentierte Beispiel von Schrödingers Katze ... [/OT]

Ein Charakter ohne Erinnerung an die eigene Vergangenheit ist primär eines: Ein SL-Werkzeug.
Sprecht euch daher IMMER mit der SL ab, in welche Richtung das gehen KÖNNTE bzw. NICHT SOLL, da dieser Aspekt für die SL immer Mehrarbeit bedeutet. Das schlimmste was euch passieren kann, ist nämlich tatsächlich sehr schlimm: Der SL enthüllt ein Schlüsselelement der Vergangenheit und dieses zerstört eure Sicht auf euren Charakter und die Wahrnehmung desselben. Das kann den Spielfluss und die Immersion ziemlich ruinieren, und damit potentiell auch die Spielrunde. Eine nicht unelegante Lösung, die ich bisher nie in Betracht gezogen habe, wäre hier der Selbstmord oder die Opferung des Charakters aufgrund der unerträglichen Erinnerungen, die mit dem neu gefassten Weltbild kollabieren. Das kann man sicherlich auch recht gut in die Geschichte des Abenteuers oder der Kampagne einbinden und hätte, gut um- und in Szene gesetzt, einen großartigen dramaturgischen Effekt. Es muss natürlich nicht gleich so drastisch sein.
Was ich damit sagen will: Überlegt euch gut, ob und vor allem WIE ihr einen Charakter mit Amnesie baut und spielen wollt. Entweder ihr sprecht euch mit SL und Gruppe ab, oder ihr stellt euch darauf ein, dass ALLES passieren könnte. Beides sehr reizvoll und spannend, falls man der Typ dafür ist.


Das bringt mich zu zwei weiteren Punkten, die mir beim Rollenspielen immer wieder unterkommen:

Selbstreflexion und Empathie
(ja, mittlerweile schreibt man das mit x ... mann, bin ich alt :D )

Ich beobachte meine (Mit-) Spielerinnen und Spieler immer wieder gerne, und vor allem bei Freunden und längerfristigen Bekannten stelle ich oft gewisse Tendenzen fest. So hat einer bis vor einem Jahr grundsätzlich immer hedonistische Charaktere gespielt, was möglicher Weise daran lag, dass er sich aufgrund seiner bisherigen Lebenserfahrungen sehr viel verbot. Vermutlich lebte er seine unterdrückten Wünsche und Sehnsüchte also im Rahmen des Rollenspieles aus. Ein anderer wiederum neigt zu extremistischen und totalitären Charakteren, die immer ein absolutes und gesellschaftsveränderndes Ziel vor Augen haben. Möglicherweise, weil er selbst im privaten Bereich stets unter Unterdrückung zu leiden hat. Das muss natürlich nicht stimmen, aber wenn man Menschen schon eine Zeit lang kennt, fallen einem solche Dinge wahrscheinlich auf.
Ich achte deshalb selbst immer sehr darauf, welche Art von Charakter ich mir zusammenstelle und wie ich diesen dann verkörpere. Nicht beim Erstellen selbst (versuche ich zumindest ... bewusst gewordenes bewusst außer Acht zu lassen ist schwer), sondern sobald der Charakter fertig ist und beim Spielen selbst. So lernt man einerseits viel über sich selbst und kann andererseits verhindern, dass man seine privaten Probleme bzw. unterdrückten Gefühle im Spiel eskaliert (was zu unguten Situationen und bösem Blut führen kann). Und sollte in mir der Verdacht entstehen, dass es anderen in der Runde so geht, sehe ich erst Mal darüber hinweg und beobachte. Manchmal bereinigt sich das von selbst, da die anderen ja nicht blöd sind und oft sehr wohl selbst bemerken, dass etwas nicht ganz rund läuft. Hin und wieder kann es aber notwendig sein, nach der Session nachzufragen oder (im Falle von einer engeren Beziehung) ein Gespräch anzubieten. Ob und wie ihr das anstellen wollt, müsst ihr aber selbst wissen, da Kommunikation immer seine ganz eigenen Tücken hat.

P&P-Rollenspiel kann also sehr viel mehr sein als eine lustige Runde Erzählspiel. Es kann zu einer sehr perönlichen und intimen Angelegenheit werden, was nicht bedeuten soll, dass ihr gleich jeder Person in der Runde eure Lebensgeschichte erzählen müsst. Seid euch aber bewusst, dass eure Charaktere mit ziemlicher Sicherheit einen Aspekt eurer selbst anderen gegenüber offenbaren, und ob ihr das wollt oder nicht, ihr werdet die anderen aufgrund derselben Mechanik einschätzen und beurteilen. Stellt sich nur die Frage, wie ihr damit umgeht.

Viel Spaß im Spiegelkabinett, Screw
 

Screw

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Es gibt viele Arten des Rollenspiels, und jeder hat eigene Erwartungen daran. Oft kann es hier zu Reibungspunkten kommen, da z.B. ein Spieler mit seinem Charakter jeden NSC in eine philosophische Grundsatzdiskussion zu verwickeln scheint, während ein anderer fingertrommelnd darauf wartet, den nächsten Haufen Monster zu zerlegen. Das haut in die selbe Kerbe hinein, die ich schon in Beitrag #3 angesprochen habe, man kann es also lösen, indem man darüber spricht, wie die Gruppe und die Abenteuer sich enwickeln sollen/können.

Hier mal meine "Archetypen" des Rollenspiels, wie ich sie bisher klassifiziere:

Zocker - Rein ins Dungeon, Monster suchen, Monster töten, Beute abgreifen - sie interessieren sich selten bis nie für die Darstellung ihrer Charaktere, sondern primär für die Stärkung von deren Kampfkraft durch "Charakterentwicklung" und Ausrüstung. Ich persönlich nenne solche Spieler (nicht abwertend) "Zocker", weil dieses Verhalten sehr dem ähnelt, was man bei entsprechenden Computer-/Konsolenspielen tut. Es ist auf pure Effektivität getrimmt.

Spieler - Dem roten Faden folgen (bzw. der gelben Pflasterstraße), das Ziel erreichen, das Abenteuer abschließen - hier geht es auch oft um die Idealisierung des Charakters, aber nicht nur in reiner Kampfstärke, sondern der allgemeinen regeltechnischen Effektivität auch außerhalb des Kampfes. Ich bezeichne sie als "Spieler", da solches Verhalten Brettspieler auszeichnet, die die Mechaniken analysieren und ihr Spielverhalten dementsprechend anpassen.

Spaßfraktion - Der Spielfluss ist weniger wichtig als der Spaß am Spielen selbst - Immersion ist schön und gut, aber spätestens wenn es zu düster oder ernst wird, kommen irgendwelche dummen oder komischen Meldungen, die für Lacher sorgen sollen. Das kann die Moral oben halten, selbst wenn die Charaktere gerade in einer scheinbar ausweglosen Situation stecken. Der Name "Spaßfraktion" erklärt sich hier von selbst.

Rollenspieler - Sich in den Charakter versetzen und entsprechend agieren, es aber dennoch als Spiel sehen - der Charakter agiert immer entsprechend seiner Geschichte, aber um zu vermeiden, dass man sich festfährt oder Frust entsteht, wird auch mal ein Auge zugedrückt. Die Bezeichnung "Rollenspieler" habe ich schlicht deshalb gewählt, weil "Rolle" und "Spiel" darin steckt, ist also eher als "Rollen-Spieler" zu lesen.

Darsteller - Die Authentizität der Figur steht über allem, alles wird dementsprechend bewertet und abgewogen - Man könnte es als die höchste Form des Rollenspiels bezeichnen, da der Grad an Immersion hier absoluten Vorrang hat. Hier sind alle Spieler sehr stark gefordert, da jeder Zwist unter den Charakteren auch tatsächlich voll ausgespielt werden muss. "Darsteller" weist darauf hin, dass es hier sehr professionell zugeht und eher mit Impro-Theater zu tun hat.

Meist sind die Verhaltensweisen bei Spielern und Runden vermischt, aber oft genug fährt jemand auch ganz klar auf einer einzelnen Schiene. Wichtig ist meiner Ansicht nach, dass man sich in der Runde darauf verständigt, wo die Grenzen sind, sonst kann schnell etwas passieren, wie ich es eingangs in diesem Beitrag erwähnt habe. Dafür ist es aber auch notwendig, sich selbst in diesen Archetypen zu positionieren. Ob absolut oder prozentuell, sollte jeder selbst wissen, da verweise ich nur auf den zweiten Teil von Beitrag #4.
Mein Typus entspricht am ehesten dem Rollenspieler, je nach Runde mit mehr oder weniger Anteilen an Spieler und Spaßfraktion. Der Zocker ist nicht mein Fall, da ich solche Techniken nicht einmal dann beherrsche, wenn es ausschließlich darum geht (ich spiele Diablo seit dem Erscheinen des ersten Teils, bin aber maximal durchschnittlich effektiv). Ebenso bin ich kein Fall für Darsteller-Runden, ich bin zwar ein passabler Impro-Theaterspieler, aber im Rollenspiel habe ich daran kein Interesse - wirkt sonst wie Arbeit für mich.

Niemand sollte sich oder andere zurückgesetzt sehen, nur weil er oder sie dem einen oder anderen Archetypen enspricht, das sind schlicht die Unterschiede die unter Menschen einfach bestehen. Bis auf die Spaßfraktion beinhält jeder Archetyp allerdings auch einen maßgeblichen Aufwand an Recherche, da sich jene Leute mit den Regeln und/oder der Welt teils intensiv beschäftigen, die Spaßfraktion erfodert dagegen ein gewisses Maß an Empathie, sonst kann es schnell lächerlich werden. Es gibt also keinen "besseren" oder "schlechteren" Rollenspiel-Typ, sondern nur die Frage, wie verträglich diese untereinander sind, was wiederum auch auf die Flexibilität der Runde ankommt.

Insgesamt stelle ich während dieses Blogs immer mehr fest, dass Rollenspiel tatsächlich eine sehr intensive Beschäftigung mit dem eigenen Ich (und teils dem der anderen) ist. Wahrscheinlich liebe ich es deshalb so sehr. Es ist Spiel wie es sein sollte: Mit Spaß lernen.

cul8r, Screw
 
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Screw

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So. Gut. Fein.
Ihr sitzt jetzt also alle zusammen, online oder an einem Tisch, habt eure Charaktere und die Spielleitung textet euch eben mit all dem zu, was es zu sehen, zu hören, zu wissen, zu fühlen, zu riechen oder sogar zu schmecken gibt. Was jetzt? Tja, gute Frage. Fragen sind immer gut. Die Frage "Was kann ich den alles machen?" ist sogar eine ziemlich gute, aber auch eine, die am anstrengendsten für die SL zu beantworten ist. Kurz gefasst: "ALLES". Beim P&P Rollenspiel ist es ja gerade toll, dass eure Charaktere eigentlich völlige Freiheit haben und tun und lassen können, was sie wollen. Allerdings müssen sie sich auch den entsprechenden Konsequenzen stellen, denn "einfach mal so ein paar Leute ausnehmen" oder "die hiesige Diebesgilde hops nehmen" wird auf nachvollziehbaren Widerstand stoßen.
Im Normalfall hat die SL etwas vorbereitet, das euch auf den Abenteuerpfad führen sollte, falls nicht, nun, entweder selbst schuld oder das ist Absicht (dann auch selbst schuld, ich spreche aus Erfahrung). Zu beachten ist hier allerdings immer noch, dass ihr als Spielergruppe mit euren Charakteren zusammen agieren solltet oder zumindest gewisse Absprachen existieren, da sich die SL sonst recht schnell dazu genötigt sehen könnte, euch mit Spiel- oder Erzählmechaniken zusammenzu"zwingen" und fühlt sich für niemanden am Tisch angenehm an. (OK, es gibt tatsächlich Leute, die es genießen, solche Situationen wieder und wieder zu forcieren, aber ich persönlich will mit solchen Personen dann auch nicht spielen. Soll ja, wie bereits erwähnt, allen Spaß machen.) Es sollte auch klar sein, dass die Charaktere in den meisten Fällen die "Helden" der Geschichte sind. Zwar gibt es genug Settings, die sich für böse Gruppen eignen, aber aus beinahe allen Erzählungen, die ich bisher gehört habe, wird das sehr schnell sehr eintönig und scheint mir für die SL sehr frustrierend - dafür sollte man der Typ sein (und sich die ein oder andere moralische/ethische Grundsatzfrage stellen).

Am besten habt ihr euch vorbereitet und euch mit eurer Figur der Wahl ein wenig befasst, sprich Hintergrundgeschichte (Klassiker wie "Vollwaise Einzelkind", "Familie brutal ermordet", "als Sklave verkauft und misshandelt" usw. usf. sind zwar genau das, Klassiker, passen in den meisten Fällen aber eher zu Protagonisten der Profanliteratur), Charakterklasse/typus, Sozialstatus, Volk und dessen Ansehen/Kultur in der Welt und was weiß ich was noch relevant ist oder sein könnte - glaubt mir, das kann sehr tief gehen, wenn man es darauf anlegt. Das macht es ja so toll. Wenn ihr also vorbereitet seid, habt ihr eine zumindest grobe Vorstellung davon, was euer Charakter will und wie dieser in einer gegebenen Situation wahrscheinlich reagieren wird. Perfekt. Jetzt gilt es, dem Rest eures traurigen Haufens (nicht böse gemeint, auf Stufe 1 trifft das auf die meisten Abenteurergruppen zu - ich meine >Magier, 1w4 Trefferpunkte< come on) euren Charakter vorzustellen. Wie viel ihr dabei enthüllen wollt, bleibt natürlich euch überlassen, auch abhängig davon, wie viel der Charakterplanung ihr gemeinsam gemacht habt. Prinzipiell ist es schlau, sich in der Gruppe abzusprechen, wer welche Rolle übernimmt und für welche Art von Aufgaben die Gruppe allgemein geeignet ist, aber es ist keine Pflicht. Wird dann halt ... interessanter.
Eine Charaktervorstellung sieht meist so aus: Volk/Rasse, Aussehen, sichtbare Ausrüstung, Auftreten und Ausstrahlung. Die Reihenfolge ergibt sich dabei eigentlich von selbst, je nachdem, welchen Eigenschaften ihr als Spieler der Figur wie viel Gewicht beimesst oder wie die Situation beim "Kennenlernen" aussieht. Ein Beispiel: kürzlich habe ich eine neue Runde als Betatester eines in Entstehung befindlichen Systems beginnen dürfen, und die erste Szene fand in einer lichtlosen Höhle statt, jeder Charakter in seiner eigenen Zelle verwahrt. Nach dem ersten von der SL angefragten Wurf, blieb meine Figur erstmal im Reich der Träume und schnarchte den beiden anderen melodiös etwas vor. Als dann endlich alle (also auch ich) wach waren und mit ein wenig Zusammenarbeit die Zellen geöffnet, erwähnte die SL auch, dass wir nichts dabei hätten als das, womit wir zu Bett gegangen wären. Ich also "dann seht ihr im Schein unserer magischen Lichter einen nackten, stark behaarten und überraschend großen Zwerg - ohne Bart". Letzteres war bewusst mit Pause und am Schluss erwähnt, dramaturgischer Effekt. "Außerdem hält er ein etwa Dolchlanges spitzes Stück Knochen locker in der linken Hand, die rechte reicht er euch zum Gruß und sagt: >Yustek aus der Blutlinie Groll des Keulen-Stammes<. Dabei wirkt er stolz und durch seine Nacktheit offensichtlich in keiner Weise gehemmt." Dann noch nebenher erwähnen, dass mein Charakter unter seinesgleichen in Gefahr meistens vorne geht, und schon ist auch relativ klar, dass er ein Krieger ist.

Schriftstellern passiert es oft, euch wird es wahrscheinlich auch früher oder später passieren. Die Figur entwickelt ihr eigenes Bewusstsein und ihren eigenen Willen. Nicht einmal bin ich, mit der Stirn auf meine Hände gestützt, am Tisch gesessen, über meinen Charakterbogen gebeugt, und habe mit Verzweiflung versucht, meinen Charakter davon abzuhalten, etwas richtig, richtig dummes zu tun, einen Weg zu finden, eine andere Handlungsweise zu rechtfertigen, ohne dabei gegen die Natur meines Charakters zu agieren - nicht selten habe ich kopfschütteln resigniert und festgestellt, dass es nicht anders geht und das für meine Figur oder sogar die Gruppe Probleme bedeuten wird, vielleicht sogar den Tod. Und ehrlich gesagt: ich bin enttäuscht, dass noch nie einer meiner Charaktere gestorben ist. Ich kenne das Problem als SL sehr gut, aber das gehört in den anderen Blog. Zurück zum Sterben - akzeptiert die Sterblich- und Fehlbarkeit eurer Figuren, denn sonst könnt ihr euch gleich an den Bildschirm setzen und die Cheatcodes herausholen. Ohne die Möglichkeit des Versagens, wäre Rollenspiel nicht das, was es ist.

Viel Spaß mit der Sorte Spiel, die noch nie mit Safegames und Speicherpunkten gearbeitet hat. Der analogen Sorte.

cul8r, Screw
 

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Der Stiefvater meiner Exfrau hat mich mal gefragt:
"Was ist eigentlich das Ziel dieses >Rollenspielens< das ihr da macht?
Wie gewinnt man denn da?"

Es stellte sich heraus, dass eine zufriedenstellende Antwort nicht so einfach zu formulieren ist, wenn jemand bei einem "Spiel" davon ausgeht, dass es Gewinner geben muss. Und "alle gewinnen" ließ er so gar nicht gelten, "dann ist das kein Spiel, wenn es keinen klaren Gewinner gibt, wozu spiele ich das überhaupt?"

Ich bin sicherlich nicht der einzige, der bei der Schilderung unseres Hobbys manchmal schief angesehen wird bzw. wurde, denn es gibt einfach Menschen, die mit dieser Idee so gar nichts anzufangen wissen oder sogar schlicht keinen Sinn in dieser Art Beschäftigung sehen. Soll so sein, lasst euch davon nicht zu sehr beeinflussen, Briefmarken-Sammeln ist auch nicht jedermanns Sache.
Allerdings habe ich auch den Eindruck, dass die Zahl der interessierten Zuhörer solcher Schilderungen zunimmt und die "Fremdartigkeit" des Hobbys in gleichem Maße ab. Das mag wohl daran liegen, dass die digitale Spieleindustrie und sogar die anderen Unterhaltungsmedien immer mehr an der Vermarkung dieses Bereiches Teil nehmen. Videospiele, MMOs, Kartenspiele, Brettspiele, Serien, Filme, Romane usw. usf. Hat ein System genug Abnehmer, werden diese mit Marketing-Artikeln noch zusätzlich gefüttert und damit zeitgleich auch eine breitere Zielgruppe angesprochen, manche Spiele-Entwickler beginnen die ganze Kampagne überhaupt gleich mit einer Offensive an mehreren Fronten (hört sich wie Krieg an? Spielt mal Mäuschen in einem Marketing-Büro).

Mir persönlich ist bei dieser Aufzählung eigentlich nur wichtig, dass der Rollenspiel-Aspekt im Vordergrund bleibt. Eine Buchreihe ist was tolles - man kann tiefer in die Welt eintauchen und sie intensiver erleben - aber kann auch gedanklich einengen. Ein MMO erreicht viel mehr Leute zur gleichen Zeit und man hat tausende gleichgesinnte - aber die Freiheit ist dahin, da das Handeln ausschließlich innerhalb der programmierten Bahnen möglich ist (egal wie weit diese gesteckt sein mögen, viele innovative Lösungsideen scheitern meistens an der nicht existenten Codezeile). Ein Brettspiel ermöglicht auch mit weniger Aufwand ein Abenteuer in der Welt, aber nur in begrenztem Maße. Weiter muss ich gar nicht gehen.

Rollenspiel, so wie ich es praktiziere, ist ein eigenes Leben für einen Aspekt meiner selbst als fiktive Figur.
Ich habe eine sehr rege Phantasie (und ich finde, dieses Wort SOLLTE mit PH geschrieben werden) und ein lebendiges Vorstellungsvermögen. Was meine Charaktere erleben erlebe ich slebst, ihre Entscheidungen sind Ausdruck meines Willens in Gestalt ihrer Persönlichkeit, ich lebe mit ihnen und leide mit ihnen und trauere um ihre Verluste ebenso, wie ich ihre Siege feiere. Jedes dieser fiktiven Erlebnisse bereichert meine eigene Person um eine Erfahrung, die ich anders nie gemacht hätte - und dabei geht es nicht um Zauber schleudern, Monster bezwingen und was weiß ich, was da noch surreales durch alle Systeme und Settings geistert. Nein. Hier geht es darum, wieso die Figur genau das an genau diesem Ort mit genau diesen Mitteln auf genau diese Art getan hat - es geht um den Weg.
Ich habe in mir die Fähigkeit entdeckt, in allem ein Gleichnis sehen zu können (meine Exfrau bezeichnete mich Mal als "Kalenderspruch-Mensch" - und sie hat Recht). Im Leben steht man immer schwierigen Entscheidungen gegenüber, von Anfang an (jene, der einem Kind sagen "den Ernst des Lebens hast du noch vor dir", haben ihre eigene Vergangenheit vergessen) und bis zum Ende. Im Rollenspiel ist dies ebenso, allerdings mit dem Unterschied, dass die Konsequenzen "ausgelagert" sind, denn sie betreffen ja "nur" den Charakter. Kinder sind hier sogar das perfekte Beispiel, denn in der gespielten Realität sind diese oft gnadenlos rational - eine Eigenschaft, die sie im echten Leben meist noch nicht so gut anwenden können, manchmal vielleicht nie lernen werden, aber deshalb bin ich ein freudiger Befürworter von Rollenspielen auch und vor allem im Kindesalter. Ich erinnere mich an eine Unterhaltung zweier Kinder in der Grundschule in der ich arbeite. Die beiden spielten ein klassisches "stell dir vor"-Rollenspiel, wie es wahrscheinlich jeder von uns als Kind einmal gespielt hat:

A: Ich balanziere auf dem Dach und stelle mir vor, dass ich fliege.
B: Ich schleiche mich von hinten an dich ran und kitzele dich.
A: Woa, wie gemein.
B: Nur ein bisschen, aus Spaß.
A: Na dann fall ich runter.
B: Echt?
A: Na klar. Ich hab die Augen zu und erschrecke mich voll. Logisch fall ich da runter.
B: Oh. Das ist blöd. Das wollte ich nicht.
A: Tja. Das hast du davon. Jetzt bin ich tot. *gespielt vorwurfsvolle Pose*
B: Kann ich dich wiederbeleben?
A: Wenn ich von einem Wohnhaus runter falle? Na logisch. Ich bin ja nur so 100 Meter runter und auf den Boden geklatscht. Von mir ist wahrscheinlich nur noch ein riesiger Fettfleck übrig.
*Beiderseitiges Gekicher*
B: Ok, dann sammel ich was davon auf und klone dich.
A: Hmm ... ja das sollte gehen.
B: Cool. Dann können wir weiter spielen.

Zwar retten sie sich in die Fiktion einer scheinbar einfachen Lösung, aber über die unbedachte Handlung und deren unausweichlicher Konsequenz lassen sie keinen Zweifel kommen. In einer guten Rollenspiel-Runde (gut nach meinen Standards) läuft es genauso. Selbst wenn die Intention eine andere war, aber wenn die Konsequenz eine logisch nachvollziebare Folgeerscheinung der durchgeführten Handlungen ist, dann passt das so. Oder wie es in der "Sendung mit der Maus" immer gerne gesagt wurde: "klingt komisch, ist aber so."

cul8r, Screw

PS. Erwachsensein ist die praktisch kreative und konstruktive Anwendung des Kindseins.
 

Screw

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Realitätsflucht

Nicht selten sehen sich Menschen einer Situation gegenüber, der sie sich nicht gewachsen fühlen. Da liegt es nahe, sich Dingen zuzuwenden, die einem das Gefühl geben, die volle Kontrolle zu haben. Ich bin schon Personen begegnet, die voller Inbrunst und Stolz von den großen Taten ihrer Charaktere erzählt haben oder sich damit gebrüstet haben, in ihrem Charakter das höchste Maß an Effektivität aus einem Regelwerk vereint zu haben. Und jedes Mal hatte ich das Gefühl, jemandem gegenüber zu stehen, der zwanghaft versucht seiner Existenz Geltung zu verleihen. Vielleicht war es Zufall, vielleicht auch nur Einbildung, oder vielleicht damals auch nur eine Spiegelung meiner Selbst als Sinnbild eigener Existenzängste - in jedem Fall aber, habe ich dadurch und durch die aufmerksame Beobachtung des eigenen Spielverhaltens und des meiner Mitspieler festgestellt, dass Rollenspiel alles andere als die Flucht vor sich selbst ist.

Es kann zur Ersatzbefriedigung werden, zur Verwirklichung eines unterdrückten oder unausgelebten Teiles des Selbst, zum Spiegel des inneren Ungleichgewichtes oder gar zur stellvertretenden Versöhnung mit den eigenen Fehlern. Man muss nur die Augen offen halten. Selbst wenn man sich jene Settings und Charakterkonzepte aussucht, die möglichst wenig mit der eignenen Realität zu tun haben, ist man es immer noch selbst, der diese Figur verkörpert. Ganz selbstverständlich interpretiert das Gehirn die gegebenen Situationen entsprechend der eigenen Erfahrungen und vergleicht sie mit erlebten oder bestehenden Problemen. Daraus ergibt sich also immer eine Rreaktion, die - zumindest abstrahiert - auch im echten Leben Anwendung finden könnte, da man rein vom neurologischen Fakt aus gar nicht anders kann. Das heißt nicht, dass vorherbestimmt ist was man in einer gegebenen Situation tun wird (Physiker könnten mir hier widersprechen), sondern eher, dass sich hier die Möglichkeit ergibt, etwas über sich herauszufinden, was man unter anderen Umständen so nicht erkannt hätte bzw. erst, wenn der Schaden schon angerichtet ist.

Nicht umsonst gibt es in den Bereichen Pädagogik, Psychologie, Psychoanalyse und Psychotherapie, ja ich glaube sogar in der Ergotherapie, Rollenspiele als Werkzeug - Stichwort "Familienaufstellung". Indem wir die Dinge und Personen, mit denen wir im Alltag ständig konfrontiert sind, abstrahiert dar- und einander gegenüber- bzw. zueinenderstellen, zeigen sich die Muster, wie wir selbst unsere Realität wahrnehmen und verstehen. Genau jener Effekt sorgt bei "unserer Art" des Rollenspiels dafür, dass wir unseren Charakter so agieren lassen wie wir das eben tun. Deshalb ist es auch nur zu verständlich, wenn wir diese Figuren ungern gehen oder versagen lassen wollen (Tod im Spiel, Gefangennahme, ein nicht besiegbarer Gegner usw. usf.), da es im übertragbaren Sinne bedeutet, einen Teil von sich los zu lassen, eine unangenehme Wahrheit anzuerkennen oder sogar sich bis zu einem gewissen Grad aufzugeben (extremes Beispiel).

Solche Erfahrungen können das Leben ungemein bereichern, da sie einen stärken. Alles, was das Gehirn hypothetisch durchspielt, also sich bildlich vorstellt, wirkt bis zu einem gewissen Grad so, als hätte man es tatsächlich erlebt. Schifahrer stehen Minuten vor ihrem Start mit geschlossenen Augen vorgebeugt da und bewegen sich sachte zu einem nur für sie wahrnehmbaren Fahrtrythmus. Klavierspieler sitzen vor ihrem Auftritt mit leerem Blick da, die Hände vor sich in der Luft, die Finger auf unsichtbaren Tasten spielend. Alles, was man vor seinem geistigen Auge heraufbeschwören kann, wird zu einem Teil der eigenen Realität, und somit des selbst - die Frage ist nur, was man damit anstellt.

cul8r, Screw
 

Screw

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Lernen

Wie ich im vorhergehenden Beitrag erwähnt habe, ist es wissenschaftlich erwiesen, dass mentale Erlebnisse (also vrogestellte bzw. visualisierte Handlungen und Reaktionen) etwa die gleichen Lernergebnisse bringt, wie tatsächlich körperlich durchlebte. Angesichts dieser Tatsache ist es also nur logisch, anzunehmen, dass Rollenspiel Lernerfahrungen ermöglicht, die unter "realistischen" Bedingungen schlicht nicht möglich sind bzw. aufgrund der gegebenen Lebenssituation höchst unwahrscheinlich.

Wie mit allen Erfahrungen, kommt es natürlich auch hier darauf an, wie wir damit umgehen und wie wir diese nutzen. Ein altbekanntes Sprichwort besagt: "Aus Fehlern wird man klug." Das stimmt ... eingeschränkt. Fehler können uns viel über uns selbst und die Welt in der wir leben beibringen, allerdings nur, sofern wir bereit sind, diese als solche anzunehmen. Klar gibt es immer äußere Einflüsse, die unser Handeln mitbestimmen und uns zu der einen oder anderen Aktion bewegen ... aber nichts davon steuert uns direkt. In jedem Fall fällt man selbst die Entscheidung, etwas zu tun oder eben nicht - man hat IMMER die Wahl, selbst wenn die Optionen (entschuldigt meine Ausdrucksweise) beschissen sind.

Rollenspiel bietet die Möglichkeit, schlechte und dumme Entscheidungen zu treffen und deren Auswirkungen mit relativer Distanz mitzuerleben und daraus zu lernen. Jede Rollenspiel-Situation kann als Metapher gesehen oder auch bewusst als solche gestaltet werden. Ebenso ist es innerhalb dieses Mediums möglich, gute und richtige Entscheidungen dabei zu beobachten, wie sie fürchterlich schreckliche Auswirkungen gebären und dadurch eine Neuwertung von "Gut/Böse" bzw. "Richtig/Falsch" anzuregen.

Versteht das bitte nicht als Aufruf dazu, Rollenspiel als moralischen Kompass oder ethische Selbsterfahrung wahrzunehmen ... ok, vielleicht doch, aber das heißt nicht, dass das der einzige Weg ist. Wie ich schon in älteren Beiträgen geschrieben habe, steht der Spaß im Vordergrund. Was ich aber auf jeden Fall empfehle ist, sich selbst zu beobachten. Allein die Gestaltung der Hintergrund-Geschichte kann einem schon Dinge über sich selbst offenbaren, ganz zu schweigen von der Art und weise, wie man in einer konstruierten Rolle auf Situationen und Personen reagiert und mit diesen interagiert.

Ich merke gerade, dass ich beginne, mich zu wiederholen ... es wird also Zeit, die Art und Weise, wie und was ich in diesem Blog schreibe, zu überdenken und aus einer neuen Richtung anzugehen. Das könnte ein wenig dauern.

cul8r, Screw
 

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Die andere Seite ...

Wenn ich in einer Runde spiele, dann versetze ich mich in die Geschichte, die Situation, die Figur. Es ist nicht leicht, sich von dem, was vor den eigenen Augen geschieht, zu lösen. Da ist der Tisch, die Freunde/Mitspieler, die Spielleitung, Charakterbögen, Würfel, Stift, Papier, Radiergummi usw. usf. Eventuell stehen noch Knabberzeug oder Essen und Getränke am Tisch, es wird vielleicht geraucht oder jemand baut einen Würfelturm (passiert fast immer, vor allem bei Neulingen) oder tippt am Smartphone (kann ich gar nicht leiden). Es gibt also massig Dinge, die eigentlich so gar nichts mit der Geschichte die gerade passiert zu tun hat, und anders als bei einem Buch oder Film oder einer Serie, bestimmt man die Atmosphäre in der man sich dieser aussetzt nicht allein.

Meine Figur sitzt da jetzt also in diesem Bürosstuhl in der Verkleidung als Yakuza-Oyabun, um sie herum ihre Crew, die als Kaufinteressenten für knapp hundert Tonnen Schmuggelware auftreten, die wir eigentlich stehlen wollen. Hinter ihr der Leibwächter der echten Oyabun, der eben festgestellt hat, dass sie ein Fake ist und ihr das Katana an die Kehle hält ... ja ... scheiße, hm? Vor mir liegt mein Charakterbogen, die Würfel strahlen mich bunt und fröhlich an, der Duft des Abendessens liegt noch in der Luft, in meiner Hand drehe ich nervös mein halb volles Bierglas und der Drang, mit meinem Kugelschreiber herumzuklicken (was meist zumindest eine andere Person stört) ist groß. Eigentlich ist meine Figur Technikerin und wenn sie nicht während eines Einsatzes in ihrem Mech-Cockpit sitzt, schaut sie sich Aufnahmen von Solaris-Kämpfen an, studiert Blaupausen oder hängt teils bis zur Hüfte in irgendwelchen Mech-Innereien. Was tut so ein Mensch in einer solchen Situation?
Klare Nummer eins: Sie stellt sich die Frage "Wie zur Hölle konnte es so weit kommen, verdammt?!"
Nummer zwei: Der bewusste Gedanke "Ich bin tot."
Nummer drei: ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------tilt
Da sitzen wir nun, Spieler wie Figur, und haben gerade keine Ahnung, wie es weiter gehen soll.
Im Endeffekt war es eine spontane Kurzschluss-Reaktion einer Mitspielerin auf die ich instinktiv reagiert habe und ein schlechter Würfelwurf (also in dem Fall gut für mich), der meinem Char und unserer Truppe die Haut gerettet hat. Mein Boss (also die Ranghöchste unserer Lanze) stieß einfach nur einen ziemlich hysterischen Schrei aus, worauf die Yakuza-Wache vor der Tür mit gezückter MP in den Raum stürmte. Die Situation, dass der Bodyguard der Oyabun eben dieser seine Waffe an die Kehle hielt, irritierte ihn vollständig, ich schrie nur auf Japanisch >Schieß!<, und bevor mein potentieller Mörder reagieren konnte, hatte er drei Kugeln aus kurzer Distanz im Brustkorb. Seine Klinge glitt über meinen Hals, aber zum Glück ohne Druck, wodurch sie nur einen seichten aber sauberen Schnitt in der oberen Hautschicht hinterließ. Ein Millimeter mehr, und ich hätte den Schreibtisch mit meinem arteriellen Blut versaut.
Versaut habe ich aber in jedem Fall etwas, denn eines war mit klar: Diese Figur hatte in dieser Situation sicherlich Todesangst, und zwar auf eine ganz neue, ihr vollkommen unvertraute Art ... ich hab sogar gewürfelt, das Ergebnis war eindeutig, sie hatte sich vor Angst eingenässt. Zum Glück hatte ich die Ausrede von Blutflecken auf meiner Kleidung, um den Wächter gleich wegzuscheuchen mir frische zu holen, ansonsten würde ich potentiell immer noch auf diesem Stuhl sitzen.

Je nach Spielrunde und Spielwelt, ist es anders nötig (bzw. empfohlen) sich aus seiner eigenen Situation heraus zu nehmen und sich in die Position der eigenen Figur zu versetzen. Das kann einerseits leicht sein, weil man eine rege Phantasie (ich habe es versucht, aber ich KANN das nicht mit F schreiben) hat, andererseits auch sehr schwer, weil man absolut unvertraut mit einer solchen Situation ist. Ich meine, wie viele Leute kennt ihr, die schon mal einen überschweren Panzer (bester Vergleich mit einem BattleMech) von einem kriminellen Syndikat stehlen wollten indem sie sich als Boss desselben verkleidet haben? In der Realität.
Ich weiß nur eines: Geschichten helfen. Am Besten sind, meiner Ansicht nach, Bücher, da sie meist viel Freiraum lassen, sich das Geschehen vorzustellen und so das Gehirn sein eigenes Potential zur Anwednung bringen und so vergrößern kann. Je stärker euch eine Geschichte packen kann, desto wahrscheinlicher ist es, dass ihr euch auch in die Figur versetzen könnt, die ihr spielt. Es ist die Kontroverse zwischen Spieltisch und Spielwelt, die die Herausforderung darstellt, die Hürde, die es zu überwinden gilt. Method-Acter können das ausgezeichnet, aber einige übertreten dabei eine feine Grenze, die sie sich in der fiktiven Figur verlieren lässt. So kann man sich stückchenweise von sich selbst entfremden und den Anschluss an die Realität einbüßen. Lacht nicht, ich habe schon Leute kennen gelernt, die so besessen von den Leistungen, Fähigkeiten und Abenteuern ihrer Figuren sind, dass ich eigentlich nie etwas über sie selbst erfahren habe ... zumindest nicht aus ihrem Munde.

Auf andere Welten.
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Klischees sind toll!

Der hirnlose Kämpfer, die gierige Diebin, der sozial inkompetente Magier/Psioniker, die göttereifernde Klerikerin, die verschwiegene Waldläuferin, der geheimnisvolle Hexer, der technophile Zwerg ...
Wie mit allem, ist zu viel einfach zu viel, aber mit Klischees kann man einfachen und allgemein verständlichen Spaß haben und auch den grünsten Neueinsteigern die Sache leicht machen. Das gilt auch für die Geschichten, NSCs, Abenteuer, Städte, Monster und Dungeons. Vertrautes schafft Vertrautheit.

Ebenso lustig und erfrischend kann es sein, als Veteran in solche Rollen zu schlüpfen. Endlich mal wieder keine komplexe und durchwachsene Hintergrundgeschichte, endlich mal wieder keine fünfzehn Agenden innerhalb der ersten zwei Abenteuer, sondern einfach nur schlichtes Ausspielen einer eindeutigen Rolle ... mit allen Konsequenzen.

Genau deshalb plädiere ich dafür, dass jeder Charakter mindestens ein Klischee in sich trägt. Es vereinfacht die Dinge sowohl für euch als auch eure Mitspieler und die Spielleitung. Es ist simple Psychologie, dass alles was zu komplex und/oder fremdartig wirkt automatisch Misstrauen hervorruft - gewohnte Muster erzeugen ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle, was wiederum sehr viel Ungewissheit kompensieren kann. Klar sind schillernde Persönlichkeiten mit mehr Schichten als ein Zwiebelbeet eine hochspannende Angelegenheit, aber mir vergeht ehrlich gesagt die Lust, wenn ich nach der dreißigsten dramatischen 180°-Wendung immer noch nicht weiß woran ich bin. Letztens hat sich sogar meine DSA-Einbrecherin überlegt, ob sie Phex nicht den Rücken kehren soll, weil dieser in einer Begegnung in einem alten Abenteuerband für mein Gefühl absolut atypisch dargestellt wurde. Ich habe auch schon erlebt, dass die Charaktere neuer Spielrunden sich gleich zu Beginn in die Haare bekommen haben, da schlicht nicht genug Basis vorhanden war um die jeweils anderen Charaktere einschätzen zu können.

Also, liebe Munchkins, Nerds und Metaplot-Fanatiker (ich zähle mich selbst übrigens zu mindestens einer dieser Kategorien) ... zieht euch zur Abwechslung wieder Mal die Newbie-Schuhe an und lasst es einfach eine 08/15 versaute Kindheit sein, die einem neuen Charakter seinen Trieb verliehen hat, Köpfe einzuschlagen - anstatt den Vater sechzehnteldämonischen Blutes der mit der halbelfischen Mutter während einer Vollmondnacht in einem Zedernwald eure Seele den sieben verdammten Priestern darbieten wollte wobei ein Albinorabe einen zwergischen Fluch ausgesprochen hat und damit euer Herz mit der Inbrunst eines blau glühenden Schmiedefeuers erfüllte. Klingt zwar verdammt toll, aber ehrlich ... wtf? Menschen (und damit alles was sie darstellen und repräsentieren) sind im Grunde einfach gestrickt, also warum so umständlich? Lasst der Spielleitung auch was an Spaß übrig, anstatt der unglaublich mühseligen Arbeit, eine derart detailliert verwobene Geschichte auf Zwang in den Plot einzuweben (oder schlicht zu ignorieren) und andere Spieler damit zu verschrecken (ich spreche aus Erfahrung).

Wie komplex darf es also sein?
Eine der besten, interessantesten und schwierigsten Fragen, die oft aber unglaublich einfach zu beantworten ist: Wenn ihr euch selbst den Kopf zerbrechen müsst, wie das zusammenpasst und wo es hinführen könnte, ist es zu viel. Ich bin ja schon im zweiten Beitrag dieses Blogs darauf eingegangen, was ein Hintergrund so alles beinhalten kann/sollte/darf, also brauche ich da nicht nochmal was aufrollen. Eigentlich hilft hier meist der "gesunde Menschenverstand" (jede istanz dieses Terminus ist bei Bedarf beliebig austauschbar ;) ), denn schließlich sollte euer Charakter psychisch Handlungsfähig bleiben und nicht nur ein instinktgetriebenes Etwas sein, dass sich durch die Welt ... ja was dann eigentlich? ... SOLCHE Rollen sind NSCs vorbehalten. Als Grundregel gilt: eine gute Spielleitung steht euch mit Rat und Tat zur Seite und gibt Tipps, wie ein Charakterkonzept gut laufen kann und dabei nicht zur One-Person-Show wird.

Beware the Mary Sue

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Gerade in der aktuellen Situation ist Rollenspiel eines der wenigen Ventile die uns derzeit zur Verfügung stehen um all das zu verarbeiten, was uns umtreibt und nicht zur Ruhe kommen lässt. Genau diese Funktion des Rollenspielens möchte ich daher aus meiner Sicht näher beleuchten.

Nicht selten steht man vor einer Situation, in der man sich schlicht ohnmächtig fühlt, zum Nichtstun verurteilt, als reiner Zuschauer ohne Mitspracherecht. Da kommt ein Rollenspiel-Setting in dem die Spieler in die Rollen von Helden, Schurken oder sogar Auserwählten schlüpfen gerade recht, denn in einer solchen Position kann man eigentlich immer etwas bewirken. Im Gegenteil zu elektronischen oder vielen Brettspielen, bietet das P&P Rollenspiel außerdem die Bequemlichkeit der absoluten Flexibilität. Sollte die Heldengruppe wirklich einmal in eine Sackgasse geraten, können auch mal absurde, abwegige oder gar lachhaft surreale Ideen einen Ausweg darstellen, oder die SL "verändert die Matrix" um dafür zu sorgen, dass es doch eine Alternative gibt, die der Gruppe bisher mysteriöser Weise entgangen ist.

Klar gibt es Regelwerke und Quellenbände und Kanon und was weiß ich was noch was einen daran hindern könnte einfach zu tun und zu lassen was einem gerade einfällt. Das kann einem aber einerseits schlicht egal sein und man beugt die Regeln einfach oder erschafft eine Art Ereignisblase die parallel zum offiziellen Metaplot läuft, oder man greift auf eines der zahllosen Systeme zurück, die so schlicht konstruiert sind, dass es kein merklich einschränkendes Korsett gibt.

Eben fällt mir ein weiterer praktischer Aspekt des Rollenspiels in einer Situation wie der bestehenden ein. Man spielt eine Rolle - sprich: man ist dazu genötigt, sich auf das zu fokussieren und beschränken, was diese Rolle auch tatsächlich erfüllen kann. Ein Akademiemagier der zwei Drittel seines bisherigen Lebens zwischen Schriftrollen und Büchern zugebracht hat, kann kaum einen Wagen durch eine schmale Schlucht lenken um den Orkbanditen zu entkommen. Ebensowenig wird die gnomische Barbarin die Inschrift auf der großen Steintafel zur Gänze lesen, geschweige denn übersetzen und interpretieren können.
Ich sehe das als eine gute Chance zur Reflektion und auch als Übung für eben solche Momente in denen einem gefühlt die Hände gebunden sind. Wenn das was man tun möchte nicht möglich ist, tut man halt das Nächstbeste das man tun kann. Der Akademiemagier wird einen Zauber suchen um das Fortkommen des Wagens zu begünstigen oder das der Orkbanditen zu behindern. Die gnomische Barbarin wird mit ihrer Körperkraft einen ihrer Kameraden hochstemmen, damit dieser auch den höher gelegenen Teil der Inschrift vollständig kopieren kann, um später in der Stadt jemanden den Text übersetzen zu lassen.

Das Schlüsselwort ist hier "Kompensation". Geht nicht, gibt's nicht, aber wenn's nicht so geht, geht's halt anders.

Ich nehme mir ein Beispiel an der Entwicklungsmechanik der meisten RP-Systeme: "Erfahrungspunkte"
Wie auch immer es ausgeht, in jedem Fall haben wir dadurch neue Erfahrungen gemacht die uns auf dem weiteren Weg helfen können.

Schimpft mich gerne einen hassenswerten Optimisten, ich selbst betrachte mich als realistischen Optimisten.
Ich weiß, das es für alle gut ausgehen kann - ich weiß allerdings auch, wie viel das von allen fordert.
Das ist sogar einer der wichtigsten Aspekte so ziemlich jeder RP-Helden-Gruppe.

Ich tu was ich kann, solange ich kann was ich tu.
Screw

OT:
Das war jetzt leider doch potentiell etwas politisch ... ich lege das vor der Veröffentlichung mal lieber dem Magistrat vor. Da ich selbst mal ein Mitglied der Forumsführung war, ist das nicht sarkastisch gemeint. Ich vertraue darauf, dass die Cyan-Frakion ihre guten Gründe dafür hat, was sie zulassen und was nicht (habe einige davon ja selbst in meiner Zeit vorgebracht).
 

Screw

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Warum zur Hölle sollte ich bzw. mein Charakter dieses oder jenes tun?

Im Rollenspiel ist das immer wieder Thema, und auch eine sehr gute Frage. Wie aber sicherlich viele Runden schon mal erlebt haben, kann das auch die Gruppe oder das Abenteuer ziemlich in's Schleudern bringen, daher (und weil die Diskussion auch gerade aktuell war und hoffentlich bleiben wird) ein paar Gedanken dazu.

Ich nehme jetzt einfach mal die vier Figuren aus "Red Dragon Inn" bzw. "Zum roten Drachen", einem hochamysanten Kartenspiel, dessen einzige richtige Schwäche (meiner Ansicht nach) jene ist, dass ausgeschiedene warten müssen, bis der Rest fertig ist.
  • Gerki, der Heimtückische - Halbling Schurke - Nimmt es mit Eigentum nur dann genau, wenn es seines ist, vergiftet auch mal seine Mitstreiter oder steckt ein Messer "unabsichtlich" zwischen deren Rippen und lässt sogar in der Taverne scharfe Fallen herumliegen.
  • Fiona, die Launische - Mensch Kämpferin - Beschreibt Kämpfe ausschließlich plastisch mithilfe ihrer Begleitungen, schlägt erst zu und denkt vielleicht danach, greift gerne auf Gewalt als Problemlösung zurück und, obwohl sie betont, keine Dame zu sein, duldet sie keinerlei abwertende Kommentare über ihre Garderobe (Kettenhemdbikini).
  • Deidre, die Priesterin - Elf Klerikerin - Redet sich in ihrem Handeln gerne auf ihre Göttin aus, ignoriert Gruppenbedürfnisse, wenn es um ihren Glauben geht und nutzt ihre Position auch mal eigennützig aus.
  • Zot, der Zauberer, und Pooky - Mensch Magier und sein Vertrautenhase - Hochmütiger und eingebildeter Akademiker, hat kein Problem damit, seine Begleitungen mit schädigenden Zaubern zu belegen, hat keine Kontrolle über sein aggressives Vertrautentier und verteidigt es auch noch wehement (Vergleiche mit manchen realen Tierbesitzern drängen sich auf).
Wie kann so eine Truppe überhaupt länger als 5 Minuten ohne Tote am gleichen Tisch sitzen? Wie haben die es geschafft, eine Abenteuergruppe zu bilden? Tja, das sind gute Fragen, die ihr gerne als Hausaufgabe betrachten dürft. ;)

Jetzt zu mir und einem Beispiel aus meiner Rollenspielkarriere, wozu ich auf Roxane, meine DSA-Einbrecherin aus einem Beispiel in Beitrag #11, zurück greifen werde. Im ersten Abenteuer befand sie sich weit weg von Zuhause (wuchs in den Straßen Grangors auf, ihr erstes Abenteuer begann in der Nähe von Selem) in einem kleinen Dorf.
Da also mal Problem Nr.1: das ist ein KAFF, nicht mal genug Gebäude, um den Wald rundherum zu verdecken und statt breiter Kanäle eines großen Flusses nur ein kleines Rinnsal.
Problem Nr.2 - die anderen zwei Helden: eine Hexe und ein Akademiemagier, erstere geheimnistuerisch ob ihres Status, zweiterer großspurig und fremdwortverliebt.
Problem Nr.3 - Ich bin steckbrieflich gesucht im ganzen Lieblichen Feld (Gebiet in dem Grangor liegt - daher auch nicht unlogisch, dass ich gerade hier bin).
Warum nicht ein paar Tage mit Ausspähen verbringen, das wohlhabendste Haus ausräumen und dann wieder absetzen?
Die OffGame-Antwort: weil ich mit den anderen spielen will. Die InGame-Antwort: .... da brauch ich ein bisschen mehr ...
  1. Es ist ein KAFF (schon erwähnt), was sollte ich da also abgreifen? Die paar Taschendiebstähle waren zwar erfolggreich, aber dürftig.
  2. Ich bin schon in einem Landkreis steckbrieflich gesucht, muss nicht mehr werden.
  3. Ein Akademiemagier ist angesehen, da kann man sicher was mitschneiden - habe mich ihm als Söldnerin angeboten und ließ mich bezahlen.
  4. Alleine reisen ist gefährlich und anstrengend (außerdem verdächtig).
  5. Das Dorf hat ein Problem mit Hexen, eine davon soll sich als Dorfmagd getarnt haben und hat eine Katze - ich bin neugierig und HASSE diese Drecksbiester, Fressfeinde in den Gassen und sicherlich mit Dämonen im Bunde.
Ich habe also, ebenso wie die Hexe, damit begonnen, falsche Angaben zu machen, mit der Wahrheit hinter dem Berg zu halten (Selbstschutz) und mich bei jeder Gelegenheit vor dem Zahlen zu drücken. Nicht gerade förderlich für den Gruppenzusammenhalt, aber im Gegenzug habe ich davon abgesehen, die Gruppe zu bestehlen (Diebesehre, man bestielt keine Kameraden) und meine Talente nach bestem Wissen und Gewissen für diese eingesetzt. Gegen Ende habe ich sogar begonnen, zuzugeben, dass meine Fertigkeiten nicht gänzlich einem ehrbaren Lebenswandel entspringen.

Anderes kleines Beispiel: Battletech, wollte eine introvertierte Mechanikerin spielen, Gruppenzusammenführung in einer Mechkrieger-Bar auf Galatea, (DEM Söldnerplaneten vor der Clan-Invasion) keiner der anderen Charaktere geht auf einander oder mich zu, jeder setzt sich aus Prinzip auf einen eigenen Tisch. Schlussendlich habe ich "Introvertiert" aufgegeben und durch "Solaris-Mechturnier-Begeisterung" ersetzt, damit wir nicht drei Stunden herumsitzen bis die SL was unternimmt.

Das betraf jetzt größtenteils den Anfang einer Abenteurer-Gruppe, aber solche Situationen können jederzeit auch mittendrin entstehen. Allein das Beispiel, wenn ein Todfeind eines der Mitglieder der Gruppe in die Hände fällt oder diese von ihm abhängig ist -> Konflikt vorprogrammiert, aber darauf bin ich ja schon in Beitrag #3 eingegangen.

Irgendwie schafft man es immer, die eigene Figur so hinzubiegen und charaktergetreu bleiben zu lassen, dass das funktioniert ... ja, ich bin Idealist.

cul8r, Screw
 
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Ich bin nicht meine Figur, aber meine Figur ist ich ... oder?

Letztens hatte ich eine frustrierende Situation in einer DSA-Runde. Die Spielleitung beschrieb uns die Situation, wie drei skelettierte Leichen bei einem Treppenabstieg sich langsam regten und nach ihren Schwertern griffen. Wir hatten ein Begleittier dabei, dass bei der Situation davonlief, also wollte die betreffende Figur diesem natürlich hinterher, um es wieder zur Gruppe zu holen, gleichzeitig wollten wir aber auch so schnell wie möglich runter, um nicht in einen Kampf verwickelt zu werden, denn wir hatten nur eine Person dabei, die gegen Untote effektiv gewesen wäre. Als wir dann endlich Initiative-Werte hatten und ich als erster an der Reihe war, sagte ich, ich würde dem Tier nachsetzen, da ich die schnellste Figur habe und mit Rapier und Dolch nur wenig gegen Untote ausrichten kann.
Die SL sagte mir dann, dass wir also zu zweit loslaufen um das Tier zurück zu holen.
Wie bitte? Ich bin doch als erster dran.
Die SL meinte dann, die Spielerin der anderen Figur hätte das ja schon vorher gesagt.
Ja, aber da hatten wir noch keine Initiative. Na gut, dann laufe ich zu einem der Untoten und trete das Schwert weg.
Gut, du rennst also los, stoppst dann, drehst wieder um, rennst zurück und versuchst, dem ersten Untoten das Schwert aus der Hand zu reißen.
Was? Nein! Wenn ihr Charakter dem Tier schon nachläuft, mach ich das nicht auch noch. Außerdem haben die ja erst nach den Waffen gegriffen.
Das geht alles so schnell, ihr handelt gleichzeitig. Die Leichen haben gleich als erstes nach ihren Waffen gegriffen, haben sie also schon in der Hand.
...

Ich bin jemand, der sehr viel Wert auf schlüssige und nachvollziehbare Handlung der eigenen Figuren legt. Dazu kommt, dass meine Figur selbst gerade frustriert ist und, neben der regulären Gefahren für Abenteurer, unter enormem (selbstverursachten) Druck steht. Wenn es also aufgrund eines OffGame-Missverständnisses dazu kommt, dass meine Figur plötzlich Dinge tut, die sie ohne dieses nicht tun würde, stört mich das. Wenn es dann noch zwei in der gleichen Situation sind, noch mehr, vor allem, da sich meine Figur dadurch (komplett unnötig) in noch größere Gefahr begibt und ihren ganzen Zug "verliert". Die eigene Figur ist einem wichtig, zumindest habe ich das bisher bei den meisten Spielrunden beobachten können. Ich hab kein Problem damit, dass meine Figuren sterben (ist bisher sowieso viel zu selten vorgekommen, ich spiele sein 25 Jahren und es ist erst 2 Mal passiert), aber zur Hölle nochmal, sicher nicht aufgrund einer unklaren Definition oder Aussage außerhalb der Spielwelt. Ich habe mir also den Kopf zerbrochen, wie diese Handlungsabläufe für meine Figur in der Spielwelt und Geschichte schlüssig und logisch wären - zum Schluss sah ich keine wirkliche Möglichkeit, ging also wieder zur ersten Version zurück, dem Tier hinterher. Die kurze Diskussion frustrierte mich so sehr, dass ich der anderen Spielerin sehr scharf ins Wort gefallen bin und diese das Gefühl gegeben habe, dass ich meine Wut nun gegen sie richte.

Spieler- und Charakterwissen zu trennen ist eine Sache, aber wenn es zu Emotionen kommt, ist das, so finde ich, nochmal eine Ecke schwieriger.
 
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