Er hatte ja versprochen die Sinne des Soldaten anzuzapfen. Also begibt Obin sich in die Schiffskapelle, kniet nieder und beginnt, nach einer Danksagung an den Gesichtslosen, sich in Trance zu summen.
Langsam und vorsichtig löst er seinen Geist vom Körper, dann ruft er sich das Aussehen des Nar Tayir-Soldaten vor sein Inneres Auge, tritt gedanklich näher und näher und tritt mit einem letzten Schritt in den Mann hinein.
Im selben Moment, in dem der summende Mönch die Augen schließt, öffnet sich ein anderes Paar Augen in der Galaxie.
Der Mann steht in einer Reihe mit anderen Uniformierten vor einer schmucklosen Raumfrachterwand. Das Blickfeld ruht starr geradeaus. Allerdings marschiert eine belehrende Stimme von links heran. Ein hochrangiger blonder Offizier, der zu der Stimme gehört, kommt kurz in sein Sichtfeld.
"Männer! Frauen! Rührt euch. Anscheinend muß ich nochmal betonen das wir hier zu Gast sind! Kommen mir erneut Beschwerden zu Ohren, gibt es eine Ausgangssperre, für ALLE. Da das sicherlich niemand von ihnen möchte, wiederhole ich...Sie sind Profis, verhalten sie sich auch so. Ich hoffe das war die letzte Ermahnung dieser Art. Desweiteren erhalten die Führer von Rotte 7 und Rotte 9 zu Beginn der Abendwache ein erweitertes Briefing in der Offiziersmesse. Der Rest macht weiter nach Dienstplan. Zum Essen fassen weggetreten."
Endlich bewegt sich der Mann, dessen Augen Obin gerade nutzt, gemeinsam mit anderen joggt er durch stahlgraue Korridore und geht...zum Essen. Das wollte Obin sich dann doch nicht geben. Er beendet seine Trance und gleitet mit seinem Geist zurück in seinen Körper....aber da war noch etwas... ein Gefühl... ein Eindruck...der kurze Moment vor der Verbindung... als seine Wahrnehmung frei durchs All glitt... da war etwas... etwas das ihn lockte... ihn rief...ja, nach ihm verlangte.
Schockiert, entsetzt und verwirrt erhebt er sich.
Wie ferngesteuert verlässt der tätowierte Mönch die kleine Kapelle mit ihren Ikonenbildern und der Säule des Gesichtslosen. Wendet sich nach links, durchquert den kleinen zweckmässigen Korridor und steigt die Leiter in die 2te Ebene hinunter. In der Messe angekommen blickt er den Rest der Oryx-Crew an, jedoch ohne wirklich jemanden wahrzunehmen. Kapitän Ratwa spricht ihn kurz an, Obin erwiedert auch etwas, was genau weiß er nicht mehr, seine Konzentration liegt woanders. Dann wandelt der blasse Mönch in seine Kabine, setzt sich, gedankenverloren auf die Bettkante und erforscht sein Inneres.
Plötzlich klopft es, er bittet die Besucher, den stes adrett gekleideten Kapitän Yussuf und den einäugigen Kämpfer Barish, herein und an dem kleinen Tischchen, in seiner Kabine Platz zu nehmen. Obin schildert automatisiert die Wahrnehmung seiner Geistesreise und bittet die Beiden dann ihn wieder zu verlassen. Er brauchte Zeit für sich, muß sich vergewissern. Abwesend entkleidet sich der Mönch und setzt sich eine Weile vor den hohen, in die Wand eingelassenen Spiegel. Lässt den Blick über die Narben und tätowierten Runen auf seinem Körper wandern. Schließlich seufzt er tief, greift er nach seinem Rasiermasser, und steigt in die Hygienezelle.
Die Grav-Projektoren erhöhen ihren Schub und langsam verlässt die Oryx den Orbit des Eisplaneten Stagon und seiner drei Monde. Die Finsternis zwischen den Sternen umfängt das kleine Schiff und gleichmässig, wie Obins Klinge über seinen Körper gleitet, jedes Haar und jeden Stoppel vom Körper schabt, gleitet die Oryx auf die Portalstation des Gohdar-Systems zu.
Sinneseindrücke, Bilder und Ahnungen wagen sich bis an den Rand von Obins Wahrnehmung, jedoch bekommt er sie wieder nicht zu fassen.
Nach seiner ausgiebigen Rasur versucht der Mönch etwas Schlaf zu finden. Doch immer noch stromert Etwas um seinen Geist... ruft nach ihm... ohne sich dem Mystiker zu erklären.
Erfolglos nach Schlaf suchend, wälzt er sich in seiner Koje hin und her, bis es ihn nicht mehr in seiner Kabine hält. Er schlüpft in seine Kleidung und sucht erneut die Kapelle auf, wendet sich wiederholt an den Gesichtslosen und nach langem Gebet stößt er endlich auf etwas, besser gesagt etwas greift nach ihm, nach seinem Verstand.
Bilder von 200 Augen schieben sich vor seine, Bilder von Jagd und Verfolgung, Schlägen und Schüße auf Klosterbrüder und -schwestern, Flammen, Verletzungen und panische Gesichter, Leichen und zerstörte Körper.
Gerüche von 100 Nasen legen sich auf seine Geruchsrezeptoren, der Gestank von Kordit (Schießpulver), frischem Blut und kaltem Schweiß, heiße Asche und Rauch dringen in den Hals des Tätowierten.
Stimmen aus 100 Mündern rufen um Erbarmen, bitten die 9 Ikonen um Gnade, Schreie voll Schmerz, Schreie voll Hoffnungslosigkeit und immer wieder gebrüllte Befehle, schneiden sich in seine Ohren, reißen an seinem Verstand.
Kapitän Yussuf betritt die Kapelle, der Mönch Obin hat die Stehle des Gesichtslosen umklammert, lautlose Tränen fließen über das tätowierte Gesicht. Doch nicht ein Schluchzen kann der Kapitän der Oryx vernehmen, nur schwach gemurmelte Gebete gibt Obin von sich. Krampfhaft an die Säule seiner Ikone geklammert. Die, zur Beruhigung auf die Schulter gelegte Hand seines Kapitäns spürt der Sensorbediener der Oryx nicht.
Er fühlt nur Schmerz... Schmerz, Verrat und Hoffnungslosigkeit von 100 geqäulten Körpern.
Nach und nach verebbten die Stimmen, Bilder und Gefühle die in Obins Bewußtsein gekrochen waren, darin herum irrten und an seinem Verstand nagten, zerrten, rißen. Nur noch sechs Stimmen waren zuhören und auch diese verstummten, verhielten sich im Gegensatz zu den restlichen jedoch bewußt still. Gebrochene Männer und Frauen, gedemütigt und erniedrigt klammerten sich an sich selbst und ihren Verstand an Gebete.
Einsamkeit und Furcht, waren die Empfindungen der Sechs. Kaltes Metall, das Stampfen von Maschinen, der Geruch zu oft aufbereiteter Luft und nagender Hunger, waren die Sinneswahrnehmungen.
Erschöpft aber seltsam beruhigt erhebt sich Obin vom tränennassen Teppichboden der Kapelle. Seine Gedanken driften in seine Vergangenheit, das Leben im Kloster.
Das werde ich nicht zulassen, ich werde meine sechs Brüder und Schwestern befreien. Dachte er sich, ohne zu wissen wo sich die Oryx befand oder was seine Crew gerade tat, kümmerte er sich zuerst um seinen Körper. Dieser verlangte nach Nahrung, jedoch sollte er nur das nötigste bekommen, bis seine Anrufer befreit waren.
Kurz um bereitete Obin sich in der Kombüse eine Schale kalten Getreidebreis zu und schaufelte diesen lustlos in sich hinein. Irgendwann, die Schale war zur Hälfte gelehrt, setzte sich der charismatische Kapitän zu ihm in die Messe. "Hier, Obin, esst etwas Gescheites." Mit diesen Worten schob er dem Mönch eine Schüßel frischen Salates hin, "ich will doch das mein Sensorbediener bei Kräften bleibt." Ergänzt Rattwa.
"Danke Käptn, aber das steht mir nicht zu." Lehnt der Mönch ab, "sagt, braucht ihr mich demnächst auf der Brücke?" Mit sorgenvollem Blick betrachtet Yussuf den Mönch mit den rotgeheulten Augen. "Nein, nein im Moment nicht. Du kommst zurecht? Falls du Hilfe benötigst... Na du weißt schon wir sind für dich da." "Ja, Käptn, danke ich würde mich gern ausschlafen, ich habe einiges erlebt das ich in Ruhe sortieren möchte."
Seufzend erhebt sich Rattwa, streicht seine Uniformjacke glatt und meint, "Dann tut dies, im Moment ist nicht viel los und demnächst legen wir ohnehin wieder an der Gohdar-Station an." Der Blick des adligen wandert zu dem Salat, "du bist dir sicher das du keinen Salat möchtest?" Obin verneint mit einem einfachen Kopfschütteln. Woraufhin der Kapitän nach dem Salat greift, noch eine Gabel aus der Kombüse holt und kauend Richting Frachtraum verschwindet.
In aller Ruhe leert Obin seine Schale spült sie sauber in begibt sich in seine Kabine. Dort legt er sich auf die Koje und starrt an die dunkle Zimmerdecke. Irgendetwas hatte er vergessen, irgendetwas was ihm durch die Finger glitt, es war wichtig... Nein könnte wichtig sein... Doch was war es...
Langsam fielen ihm die Augen zu.
Die Müdigkeit kroch durch seinen Körper und entspannte nach und nach alle Muskeln. Schon halb im Reich der Träume angekommen, fährt ein Schlag durch seinen Körper. Lässt in zusammenfahren und wirft ihn fast aus dem Bett. Ein Schlag so hart als würde etwas die Frachtluke aus der Oryx reißen. Nanu warum fällt ihm genau diese Beschreibung ein?
Jedenfalls ist dem Tätowierten noch etwas eingefallen, dass was eventuell wichtig sein könnte, pünktlich zur Abendwache hatte der fremde Offizier gesagt! Ein Blick auf das Tableau am Kopfende seines Bettes verrät ihm, dass es nur einige Minuten zu spät ist. Mit einer geübten Bewegung setzt er sich in den Lotussitz und versucht sich an das Gesicht des Offiziers zu erinnern. Schickt seinen gebeutelten Geist erneut auf Reisen. Nach recht kurzer Zeit, er schließt seine Augen, öffnet dafür ein anderes Paar, blickt er in die Gesichter zweier uniformierter Soldaten. Hinter ihnen ein großer auf die Wand gemalter Phönix mit zwei gekreuzten Schwertern im Hintergrund, vor ihnen ein kleiner Tisch mit schwach duftendem Tee, irgendein billiger Industrietee, wie die Nase des Offiziers ihm vermittelt.
"...ja das ist scheiße, aber Befehl ist Befehl. Sucht euch die besten Männer zusammen, auch aus den anderen Rotten falls nötig. Die Legion erwartet, dass ihre Rotten siegen werden. Die anderen zwei gelten ab sofort als entbehrlich."
"Sir, sie erwähnten einen Testlauf?" Fragt der linke Mann, der, dem ein halbes Ohr fehlt.
"Ja, geplant ist der Einsatz einer neuartigen Kampfstimulanz, ab sofort nur noch KS genannt, allerdings scheint sich etwas in der Herstellung verzögert zu haben. Ich persönlich bin nicht gerade dafür eine Droge zu testen, aber der Kunde hat bezahlt, also bekommt der Kunde Ergebnisse und wenn es funktioniert, erhalten wir ein größeres Kontingent für den Kampf der Monde."
Der zweite Soldat, ein hellhäutiger Kerl mit Adlernase räuspert sich. "Ich begreife immer noch nicht so ganz, was die Legion mit den Schürfrechten möchte?"
"Tja hierzu habe ich auch nur eigene Mutmassungen," antwortet Obins Gastkörper. " ich denke in erster Linie geht es darum, den Oberen zu beweisen wie stark die Nar Tayir sind, zum Zweiten lassen sich die Schürfrechte verkaufen und außerdem ist es der erste Planet im System vielleicht Zölle oder Anspruch auf einen Großteil der Erze." Er zuckt mit den Schultern. Dann führt er weiter aus, "Unsere Versuchsobjekte werden ab der morgigen Tagwache erwartet. Sobald diese Mönche hier eintreffen, verfrachten sie sie in Gleiter 3 und sehen zu, dass niemand etwas mitbekommt, auch ihre eigenen Rotten nicht. Sobald wir dann über KS verfügen, wählen sie einen entbehrlichen Piloten und schicken ihn direkt zu HUGO zwo. Noch Fragen?"
Die beiden Soldaten sehen sich kurz an, dann antworten Beide mit einem zackigen "Nein, Sir." "Na dann, entfernen sie sich und zu niemandem ein Wort. Verstanden?"
"Ja, Sir!" Echot es zurück, die Soldaten erheben sich, schlagen zum Abschied einmal auf die Herzseite ihrer Brust und verlassen den kleinen Büroraum. Obins Gastgeber greift nach einem der erkalteten Teegläser, klammert beide Hände darum starrt stumpf auf die Ringe werfende Flüßigkeit. Plötzlich springt er auf, "EINE VERFLUCHTE SCHANDE IST DAS!!" und zerschmeißt das Glas an der Wand und dem darauf gepinseltem Einheitswappen.
Erschrocken fährt Obins Geist in seinen eigenen Körper zurück.
Eine einzelne Träne läuft über die tätowierte Wange, seine in Zorn und Wut geballten Fäuste hatten blutige Halbmonde von den Fingernägeln in seine Handflächen geschnitten.
Was hatte der Offizier gesagt? Seine Brüder und Schwestern würden hier her gebracht? Obin mußte mit seiner Crew reden.
Der Mönch streckt sich erneut lang aus und versinkt in einen unruhigen Schlaf.
Als Obin erwachte zeigten die Ziffern des Tableaus neben seinem Kopf 5:30, bald würde die Morgenwache beginnen. Er schwingt sich aus dem Bett und beginnt in der Messe ein üppiges Frühstück vor zubereiten, selbst den guten Schinken schnitt er auf. Während des Essens wollte er seine Crew über die Erkenntnisse der letzten Nacht und seine Befreiungspläne informieren. Doch noch war alles ruhig auf der Oryx. Wecken wollte er Hedda, Barish, Hassan und Yussuf auch nicht, also setzt er sich an den gedeckten Tisch, vor seine Schale mit dem faden Brei und wartet das die anderen erwachen.