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Sci-Fi / Fantasy Handbuch für Zeitreisende

sonic_hedgehog

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Charles Yu, der Protagonist des Handbuchs für Zeitreisende (Autor: Charles Yu, Jahrgang '76, hier mit seinem Roman-Erstling) lebt im Science-Fiktion Klein-Universum 31, genauer gesagt in der TM31. Klein-Universum 31 ist ein nur zu Teilen fertiggestelltes, relativ kleines Universum, das zudem während der Herstellung auch noch leicht beschädigt wurde. Daher ist beispielsweise die Physik nur zu 93% installiert. Die TM31 ist eine Zeitreisekabine, gedacht für Rekreationszwecke. Charles repariert Zeitreisekabinen. Das heißt, wann immer ein Mieter einer der Zeitmaschinen Problemen begegnet, reist er an den entsprechenden Ort und die entsprechende Zeit um zu helfen. Mitunter sind die Probleme technischer Natur, meist aber haben die Kunden feststellen müssen, dass es nicht möglich ist in die eigene Vergangenheit zu reisen um diese zu ändern. Entweder scheitert man beim Versuch oder man findet sich in einem alternativen Universum wieder, das dem eigenen zwar ähnelt, aber in dem man niemanden kennt.

Charles wiederum missbrauchte seinen Job dazu, die letzten 10 Jahre außerhalb der Zeit zu leben, nur in Begleitung von TAMMY, dem weiblichen, depressiven Betriebssystem des Bordcomputers (in die er heimlich verliebt ist) und Ed, seinem nicht existierenden, aber ontologisch korrekten Hund. Wer jetzt an Douglas Adams denkt, mit dem der Autor auch auf dem Buchumschlag verglichen wird, liegt damit nicht ganz falsch, aber eigentlich doch: Wo Adams seine Fülle an Absurditäten dazu verwendet um eine zu tiefst komische Geschichte zu erzählen, ist Yus Plot nahezu erdrückend tragisch.

Charles ist nicht nur eine Art Pannendienst des Zeitreisegewerbes, eigentlich ist hat er dieses Gewerbe erst möglich gemacht. Unter der Federführung seines Vaters haben die beiden in der Garage des Hauses die ersten Zeitmaschinen erdacht, beruhend auf dem Gedanken, dass jeder Mensch durch seine Fähigkeit sich zu erinnern, zur Zeitreise in der Lage ist. Jeder Mensch ist eine Zeitmaschine, Geräte wie die TM-31 ermöglichen nur die Nutzung dieser Fähigkeit.

Das Schicksal meinte es aber nicht gut mit der Familie Yu und so scheiterten sie, selbst nur wenig überrascht, im wichtigsten Moment; nämlich beim Versuch, einen Prototypen vor einem Investor vorzuführen. Und so wurde einer Parallelentwicklung der Ruhm zuteil und einige Jahre später stieg Charles Vater in eine Zeitmaschine und verschwindet aus seinem Leben. Ihn sucht Charles eigentlich, auch wenn er es selbst noch nicht realisiert hat. Charles Mutter wiederum hat einen anderen Weg gefunden, der Realität zu entkommen – sie lebt in einer Zeitschleife von 60 Minuten, in der ein fiktionales Abbild von Charles zu ihr zum Essen kommt. Allerdings ohne damit wirklich glücklich zu sein. Familienverhältnisse, die man als zerrüttet beschreiben kann. Dass auch Charles kein besseres Leben vergönnt sein wird, ist völlig klar – und ab dem Moment auch unvermeidlich, in dem er seinem zukünftigen Ich begegnet und es erschießt. Denn dadurch setzt er sich selbst in einer Zeitschleife gefangen.

Yu verpackt, und hier greift der Vergleich mit Douglas Adams, diese Vater-Sohn-Geschichte in den beschrieben absurden Rahmen und philosophiert hemmungslos: Über die Folgen von Zeitreisen, über die Unlogik, die in populärer SF häufig auftritt, über Schicksal. Sein Plot ist weit davon entfernt, linear oder vorhersehbar zu sein, obwohl er nach einer Art Möbiusband funktioniert: Egal wie weit man geht, egal wohin, letztlich landet man am Ausgangspunkt. So in der Zeitschleife, so im Schicksal der Familie, so im Fall des Buchs selbst.

Wer meine früheren Rezensionen gelesen hat, wird zu demselben Schluss kommen wie ich: Das sollte das perfekte Buch für sonic sein. Sollte. Leider wurde ich nicht warm mit dem Buch. Alle Parameter stimmen, und dennoch: Es gelang mit einfach nicht, mich in Buch und Protagonisten einzufühlen. So gebeutelt er ist, letztlich ließ mich das kalt. Irgendwie war mir das alles zu konstruiert. So wie der konzeptuelle Rahmen des Klein-Universums 31 unvollständig ist, scheint mir das auch auf das Buch zuzutreffen. Es fehlt etwas. Nicht in der Konstruktion, emotional. Seine größte Stärke war in meinen Augen auch der Schwachpunkt des Buches: Zeitreisen innerhalb eines Science Fiction Universums, eines fiktionalen Universums, also innerhalb der Vorstellung – beschrieben in einem Science Fiction Roman. Das Setting ein unfertiges Universum, dessen Charakteren es an Tiefgang fehlt, beschrieben in einem Roman, der eigentlich kein Ende hat und dem es in meinen Augen an emotionalem Tiefgang fehlt. Yus Roman ist ein in sich geschlossenes, komplexes Kunstwerk. Mir aber geht es mit dem Roman wie mit einigen anderen Kunstwerken auch: So sehr ich es selbst und seine Ausführung bewundere – ich würde es mir nicht ins Wohnzimmer stellen.

Das Problem ist: Wie bewertet man einen solchen Roman? Da bin ich froh, dass wir Wertungskategorien haben, die sich auch hier anwenden lassen, die aber keine Aussage darüber treffen, wie der Leser das Buch empfindet…

Ich danke dem Rowohlt Verlag dafür, dass mir ein Exemplar für die Rezension überlassen wurde. Auf den Seiten des Verlags findet sich auch eine Leseprobe. Schließen möchte ich mit der eindrücklichen Empfehlung, diese zu lesen: Ich bin mir sicher, dass einige von Euch das Buch lieben werden – diese sollten sich nicht durch meine Ignoranz verschrecken lassen. Vor allem da meine Erfahrung ist, dass sich manches Kunstwerk erst auf den zweiten Blick erschließt, ich werde das Buch sicherlich nochmal in die Hand nehmen.
 
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