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Sci-Fi / Fantasy Geisterkartelle

sonic_hedgehog

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Pegasus arbeitet eifrig daran, den Veröffentlichungsvorsprung der amerikanischen Shadowrun-Redaktion zu verkürzen und bringt nach den Regelwerken und den ersten Quellenbüchern nun mit Geisterkartelle die zweite große Kampagne an den deutschen Spieler. Thema der Kampagne ist Tempo/Flipside/Clams/... - eine neue Droge die die Sprawls rund um die Welt flutet – und deren Herkunft vorerst im Dunkeln bleibt. Und die fast nebenbei einen großen Drogenkrieg auf den Straßen auslöst.

Wie meist hat sich Pegasus auch hier nicht damit zufrieden gegeben, das Werk einfach zu übersetzen, sondern hat erneut ADL- und in diesem Fall auch Europa-spezifisches Material ergänzt. Während das Original die Kampagne in drei Teilen präsentiert, die das Vordringen der Droge rund um den Pazifik beschreiben und schließlich bis zur Quelle vordringt, bekommen deutsche Spielleiter zusätzlich noch eine Beschreibung der gesamten Verbreitungstour der Droge in Europa. In der Summe liegt somit vor mir ein Buch, das mit fast 200 Seiten durchaus mit den Quellenbänden konkurrieren kann. Satz, Grafik und Bindung halten die gewohnte Qualität. Auch das geänderte Cover ist sehr gelungen, nicht nur künstlerisch, sondern auch weil es viel mehr das Thema beschreibt als das Original.

Insgesamt ist Geisterkartelle, das will ich an dieser Stelle vorweg nehmen, trotz der ein oder anderen Schwäche und einiger Anforderungen an Spieler und Charaktere, die im Voraus bedacht werden wollten, ein sehr gelungener Kampagnenband.

Er beginnt, da sollte der Spielleiter gewarnt sein, mit ungefähr 50 Seiten reinem Shadowtalk. Zusammengestellt aus JackPoint-Diskussionen, Regierungsdokumenten und diversen anderen Quellen präsentiert dieser Teil das Bild der Droge, das Runner allen Ortens unvermeidlich erleben werden sowie die gängigen Theorien, die die verschiedenen Organisationen dazu anstellen. Im Prinzip kann dieser Teil gesamt oder in Teilen direkt als Handout für die Spieler verwendet werden – das erfordert nur ein wenig Kopierarbeit. Wem 50 Seiten Shadowtalk zu viel erscheinen, den mag vielleicht die Information beruhigen, dass dies der gesamte Shadowtalk des Buchs ist. Er ist nur, im Gegensatz zu früheren Publikationen, nicht mehr quer durch das Buch verteilt. Theoretisch könnte man also den Spielern das erste Kapitel komplett in die Hand geben.

Im Anschluss an den Shadowtalk folgt der reine Spielleiterteil, beginnend mit einem Überblick über die gesamte Handlung, der Vorstellung der wichtigsten Mitspieler und nicht zuletzt der Zeitlinie, die den Ereignissen zugrunde liegt. Auch die allgemeine Gliederung der weiteren Kapitel wird kurz vorgestellt. Außerdem werden auch die verschiedenen Möglichkeiten vorgestellt, wie der Spielleichter seine Spieler mit Tempo in Berührung bringen kann, abhängig davon, wie tief er sie in die Kampagne verstricken will und auf welcher Seite er sie ins Spiel bringen will – wobei jede Variante außer der in der Kampagne ausgebauten natürlich wesentlich mehr Arbeit erfordert.

Und dann geht es auch schon mitten ins Geschehen! Der ein oder andere Spieler möchte vielleicht die nächsten 4 Absätze überspringen um die Überraschung zu erhalten, auch wenn ich die Beschreibungen der Inhalte der einzelnen Handlungsstränge nur sehr flüchtig schildern werde:

Kostprobe, das erste Kapitel, beschreibt das erste Auftauchen der neuen Droge in Seattle. Die Spieler werden über erste Runs in den beginnenden Konkurrenzkampf der am Tempohandel beteiligten kriminellen Organisationen gezogen. Sie erringen das Vertrauen einer zentralen Person der Seattler Unterwelt, erfahren vielleicht etwas zu viel über die Hintergründe Tempos und werden schließlich gezwungen sein, erstmal etwas Gras über die Seattler Ereignisse wachsen zu lassen.

Dies ist dann der Beginn des zweiten Kapitels, die Quelle. Die Charaktere begleiten eine Abordnung des Kartells, das die Welt mit Tempo versorgen will, auf eine Reise rund um den Pazifik, von Seattle über Hongkong und Neo-Tokio bis nach Los Angeles – um die Delegation bei den Treffen mit verschiedenen Syndikaten zu beschützen und eventuelle Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Dabei werden die ausbrechenden Mafiakriege immer blutiger und Tempo verbreitet sich virulent.

Im dritten Kapitel folgt nun das Pegasus-Material – im Prinzip eine Wiederholung der Ereignisse des zweiten Kapitels, allerdings während der Reise durch Europa – allerdings bieten die europäischen Besonderheiten und interne Unstimmigkeiten in der Delegation neue Herausforderungen.

Die Ereignisse der vorangegangen Kapitel kulminieren schließlich in L.A., von wo es die Gruppe nach Südamerika verschlägt und dort schließlich mit der echten Quelle der Droge in Berührung kommen werden und auch das vorläufige Ende des Rushs erleben werden.

Geisterkartelle stellt, das dürfte aus obigen Ausführungen klar geworden sein, einige spezielle Anforderungen an die Spielrunde: Die Charaktere arbeiten auf Seiten der am Tempohandel beteiligten Syndikate. Diese Arbeit ist eine andere als Arbeit für z.B. Konzerne, da Syndikate sich nicht so sehr um einen Anschein von Legalität bemühen müssen. Die Arbeit ist die von Kriminellen, sehr stark auf Straßenlevel und sehr kampfbetont. In vielen Teilen der Kampagne werden sozial orientierte Charaktere und Matrixspezialisten eher nicht glänzen können. Hemmungen für die „Bösen“ zu arbeiten, könnten ebenfalls ein Hemmschuh sein. Einen gewissen Ausgleich stellt die Euro-Tour dar (wo ein Verzicht auf soziale Charaktere an der ein oder anderen Stelle problematisch sein kann), aber Street-Level bleibt dennoch das Wort der Stunde.

Im Gegensatz zu früheren SR3-Kampagnen, die teils sehr stark ausgearbeitete Abenteuer präsentierten, aber auch im Gegensatz zu Emergenz, das dem Spielleiter in weiten Teilen die gesamte Arbeit überlässt, geht Geisterkartelle einen Mittelweg. Dem Spielleiter werden in jedem Kapitel knapp ausgearbeitete Abenteuerstränge präsentiert, es werden weitere Möglichkeiten angeführt, es werden die wichtigen Anknüpfpunkte und Verknüpfungsmöglichkeiten präsentiert. Ebenfalls wertvoll ist, dass sich die Spielwerte der verschiedenen Protagonisten und Antagonisten in der Anhängen finden – dem Spielleiter bleibt also nur die ja in jedem Fall notwendige Arbeit, die Handlung an die Anforderungen seiner Gruppe anzupassen. Dafür schadet es nicht, die Quellenbände Konzernenklaven und Schattenstädte zur Hand zu haben, in denen eigentlich alle der Handlungsorte ausführlich behandelt wurden. Zwingend notwendig jedoch sind sie nicht, da die Handlungsorte in einer für einen Abenteuerband beeindruckenden Breite auch in Geisterkartelle beschrieben sind. Kleinere Schwächen weisen die Abenteuerstränge natürlich trotzdem auf – sei es, dass in Ignoranz medizinischer Fakten davon ausgegangen wird, dass physische Abhängigkeiten gravierender wären als psychische (das Gegenteil ist der Fall, wie jeder bestätigen kann, der mal das Rauchen aufgeben wollte), sei es, dass in einem Fall ein Haischwarm als grundsätzlich aggressiver Gegner verwendet wird, sei es, dass gelegentlich die Gleise des Railroadings aufblitzen, wenn gewisse Verhaltensweisen der Runner für die Handlung vorausgesetzt werden. Aber das sind Kleinigkeiten, die Spielleiter leicht überwinden können.

Ein besonderes Highlight ist die dem Buch beiliegende CD. Neben den Einsteigerregeln enthält sie zwei detaillierter ausgearbeitete (Kurz-)Kampagnen zum Thema Tempo in der ADL (darunter das Siegerabenteuer des Abenteuerwettbewerbs Chrompredator 2009), Multimediahandouts zu den Abenteuern und sämtliche wichtigen Karten, allgemeine, die auch im Netz zum Download bereit stehen, ebenso wie die Location-Karten des Buches. Sich an der Stelle zu wünschen, auch den Shadowtalk in Handoutform auf der CD zu erhalten, ist zwar legitim, aber schon ein bisschen vermessen. Diese CD rundet den Band mehr als nur ab.

Wie schon gesagt, ich halte Geisterkartelle für einen sehr gelungenen Kampagnenband, dessen einziger Nachteil vielleicht die Tatsache ist, dass die Arbeit, die die Runner in der Kampagne erledigen müssen, nicht den Geschmack jeder Gruppe trifft. Davon abgesehen aber ist der Band in jedem Fall sein Geld mehr als wert – insbesondere wenn man noch zusätzlich einrechnet, dass er Material für wohl mehr als ein Jahr Spielzeit liefert (geschätzt bei 2 Spielabenden/Monat).

Mein Dank gilt Pegasus, die uns diese Rezension ermöglichten.
 
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