AW: Adran und Dara
Als Beron die Tür des Schlafzimmers hinter sich schloß, dachte er kurz darüber nach, ob er lauschen sollte. Doch dann entschied er sich dagegen. Grübelnd stieg er die Treppe wieder hinunter.
Beron wusste die ganzen drei Jahre lang, dass dieser Tag einmal kommen würde. Er wußte, dass ihn sein altes Leben eines Tages einholen würde. Er war immer darauf vorbereitet und wachsam gewesen. Behutsam und vorsichtig hatte er Agnetha damals eingeweiht. Nicht in alles, aber doch in das meiste. Schwer war es, sie von der dann für sie und die Kinder notwendig werdenden Flucht zu überzeugen. Umso überraschter war er, als heute morgen alles ohne Probleme funktionierte. Sollte er das Kommende überleben, würde er zwei Jahre warten müssen, bevor er sie und die Kinder wiedersah. Das war die Vereinbarung. Selbst Danina oder Dara, wie sie sich jetzt nannte, dürfte nicht klar sein, dass selbst er nicht wusste, wohin Agnetha fliehen würde. Das Risiko für sie wäre einfach zu groß. Beron seufzte kurz, als er sich in seinen Stuhl vor dem Schreibtisch setzte. Nun war es also soweit. Sein "Zweites Leben", wie er es nannte, hatte ihn eingeholt und sein drittes beendet. Das vierte würde er erst in 2 Jahren beginnen können und das auch nur dann, wenn er die vor ihm liegende Zeit überlebte und Agnetha wirklich, wie versprochen, zurückkehrte.
Danina schien immer noch so rachsüchtig und skrupellos zu sein wie damals. Nur hatte sich ihr Fokus wohl um 180° gedreht und Gaius stand jetzt in ihrem Ziel. Nun, sollte alles so funktionieren wie sie (und auch er selbst) planten, war er eine große Zukunftssorge los. Dieser Adran war ein undurchsichtiger Typ. Er machte einen verweichlichten Eindruck, aber der Hinweis auf die gestohlenen Kelche hatte Berons Wachsamkeit und altes Misstrauen entfacht. Er musste vorsichtig sein. Ihm gegenüber, aber auch Danina, verdammt, der neue Name wollte nicht in seinen Schädel, Dara gegenüber. Sie war immer noch hübsch. Eine Hexe eben.
Bevor Berons Gedanken zu sehr abschweifen konnten, begab er sich in das Spielzimmer seiner Kinder. Aus der Schublade einer Puppenstube nahm er einen winzigen Schlüssel. Zwergenarbeit! Mit diesem Schlüssel stieg er in den Vorratskeller. Ein kleines Loch im Holzregal, dass aussah wie die Heimstatt eines Holzwurms, war wie gemacht für den Schlüssel. Dem Fach in der Wand, dass sich nun öffnete, entnahm er eine kleine Schatulle. Dort waren sie. Sorgfältig aufbewahrt. Er wusste, dass er sie noch einmal würde gebrauchen müssen. Akkreditionsurkunde Galottas, sein Siegel und seine Rangabzeichen. Auch die Giftnadel zur Beendigung seines eigenen Lebens im Falle der Gefangennahme war noch da. Beron war sich aber nicht sicher, ob das Gift noch funktionierte. Er nahm die Kiste, verschloss das Geheimfach wieder und brachte alles nach oben. Den Schlüssel legte er zurück an seinen Platz. Er ging wieder in den ersten Stock und verstaute die kleine Schatulle in der Tasche seines Mantels, den er bereits für morgen bereit gelegt hatte. Seine aktuelle "Uniform" lag daneben. Er lachte kurz und leise auf. Niemand ahnte, dass diese schwarzen Kleidungstücke in Schnitt und Form exakt denen entsprachen, die er auch damals in den Schwarzen Landen getragen hatte. Nur die Rangabzeichen fehlten halt. Seine Waffen waren ebenfalls bereit und Goichor, sein Rappe freute sich sich bestimmt darauf, mal wieder etwas länger unterwegs zu sein. Zufrieden und nachdenklich zugleich legte sich Beron ohne sich auszuziehen aufs Bett. Seine Gedanken wanderten zurück in die Zeit seines Zweiten Lebens. Doch nicht lange und er fiel in diesen für ihn typischen Halbschlaf, der ihn erfrischte, der aber auch so leicht war, dass das geringste Geräsusch ihn wecken würde. Diesem leichten Schlaf hatte er schon oft sein Leben verdankt und er war mittlerweile Boron dankbar dafür, dass er ihn besaß. Auch konnte er sicher sein, dass das erste Grau des Morgens, das draußen vor den Fenstern erschien, ihn würde erwachen lassen. Die letzte Zuckung seiner Muskeln zeichnete einen zufriedenen Ausdruck auf sein Gesicht.
Beron, der Schlächter, war zurückgekehrt.