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Sci-Fi / Fantasy Emily St. John Mandel - Das Licht der letzten Tage (Piper)

sonic_hedgehog

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SARS, H5N1, H1N1, Ebola – auch und gerade in unserer modernen Welt der grenzenlosen Mobilität kam, kommt und wird es immer wieder zu schwerwiegenden Infektionskrankheiten kommen, denen das Potential zukommen könnte, eine weltweite Pandemie auszulösen. Gerade bei den beiden Grippeerkrankungen wurde der WHO vorgeworfen, zu früh von Extremszenarien ausgegangen zu sein und damit eine unnötige Panik ausgelöst zu haben.

Und dennoch: Die Bedrohung, die ein hochaggressives Virus bedeuten könnte, wenn sich dieses über Tröpfcheninfektionen verbreitet und weder wirksame Impfstoffe oder therapeutische Arzneimittel zur Verfügung stehen, ist real.

Das ist der Hintergrund, den Emily St. John Mandel in ihrem Roman Das Licht der letzten Tage (im Original Station Eleven), erschienen am 14.09.2015 im Piper Verlag in der Übersetzung von Wiebke Kuhn aufbaut.

In Georgien kommt es zu ersten, schwersten Verläufen von Grippeinfektionen. Noch bevor sich die Menschheit bewusst werden kann, was hier vor sich geht, verbreitet sich das Virus über die gesamte Welt. Infizierte erkranken binnen Stunden, ihr Zustand verschlechtert sich dramatisch, binnen eines Tage bis hin zu Beatmungspflichtigkeit und Exitus. Binnen weniger Tage bricht die Gesellschaft in sich zusammen - überfüllte Krankenhäuser können aufgrund der zwangsläufigen Erkrankung der Personals die Versorgung nicht aufrecht erhalten. Chaos bricht aus, die Fluchtbewegung aus den Städten, die letztlich kein Ziel haben kann, verstopft die Straßen und die Menschen versterben in Ihren Fahrzeugen, auf der Straße oder in Ihren Betten. Nicht-infizierte verbarrikadieren sich in Ihren Wohnungen. Doch das Ende ist nicht aufzuhalten – Strom- und Wasserversorgung brechen zusammen und so endet die Zivilisation.

Emily St. John Mandels 2015 für den Campbell Award nominierter und mit dem Arthur C Clarke Award ausgezeichneter Roman könnte ein klassisches Weltuntergangsdrama sein, ist aber etwas anderes, ist weit mehr. Denn auch wenn der Roman mit den letzten Tagen vor dem Weltuntergang beginnt, so hält er sich nicht lange damit auf, sondern blendet schon im zweiten Teil 20 Jahre in die Zukunft. Auch wenn die Zivilisation wie wir sie kennen ihr Ende gefunden hat, so gab es dennoch Überlebende. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Fahrende Symphonie, eine Gruppe von Künstlern, die wie ein Wanderzirkus in der Gegend der Grate Lakes von Ansiedlung zu Ansiedlung ziehen und deren Bewohner mit Konzerten und Aufführungen von Theaterstücken, insbesondere Shakespeare, unterhalten. Angeführt von einem Wagen, der mit dem Star Trek Zitat „Überleben allein ist unzureichend. Genauer gesagt steht im Mittelpunkt der Geschichte eine junge Frau, Kirsten Raymonde, die als Kinderschauspielerin in den Tagen vor dem Ende eine Nebenrolle in der Aufführung von König Lear in Toronto hatte und mit ihrem Bruder irgendwie überlebt hatte. Der Leser begleitet Kirsten und die Truppe auf ihrer Reise, eine Erzählung die immer wieder durch Rückblenden unterbrochen wird, in deren Zentrum der verstorbene Hauptdarsteller der Lear-Aufführung steht, und der die Verbindung zwischen vielen der Protagonisten sein könnte. Es entspinnt sich eine am besten als poetisch zu bezeichnende Geschichte, die man vielleicht als Coming of Age Geschichte bezeichnen könnte, dabei aber eine Liebeserklärung an unsere jetzige Zeit ist. Eine Geschichte, die unterbrochen wird durch die Lebensgeschichte des eigentlich in seinem Leben verlorenen, aber dennoch schillernden Schauspielers, der gleichzeitig ein Sittenbild dieser Gesellschaftschicht skizziert.

Es ist schwer, den Roman in Worte zu fassen, schwer, ihn wirklich treffend zu beschreiben. Natürlich ist er eine Dystopie, natürlich ein Katastrophenroman, aber es fehlt ihm die dafür typische Schwere. Die Geschichte berührt, das Grauen ist vorhanden, aber es ist hintergründig. Im Vordergrund steht dennoch positives, man könnte es als Hoffnung beschreiben.

Ich sehe mich hier, und es ist mir fast peinlich das zuzugeben, gezwungen auf etwas zurückzugreifen, was ich im Normalfall aufgrund zahlreicher schlechter Erfahrung meide wie die Pest – eine weitere Pandemie, die man in die obigen Reihe aufnehmen könnte: Ein Zitat eines anderen Schriftstellers, das im Umschlag des Buchs zitiert wird, hier von George R. R. Martin:

Der beste Roman – mit Abstand. Ich habe dieses Jahr viele gute Romane gelesen, aber einer überstrahlt alle anderen: Das Licht der letzten Tage von Emily St. John Mandel. Er lässt mich einfach nicht mehr los. Eigentlich müsste man ihn als Post-Apokalypse-Roman bezeichnen, aber keines der typischen Genremerkmale spielt hier eine Rolle, und die Hälfte des Buchs besteht aus Rückblenden in die Zeit, bevor der todliche Virus, der fast alles Leben auf der Welt auslöscht, überhaupt ausgebrochen ist. Das Licht der letzten Tage ist außerdem ein fein gesponnener Entwicklungsroman, und dann gibt es noch dieses fiktive Comicbuch über eine riesige Raumstation und überhaupt… Ach was, kurz gesagt: Dieses Buch dürfte eigentlich nicht funktionieren, aber es funktioniert. Hervorragend. Es ist ein zutiefst melancholischer Roman, wunderschön geschrieben und wunderbar elegisch. Ein Buch, das mir mit Sicherheit noch lange in Erinnerung bleiben wird und zu dem ich immer wieder zurückkehren werde.

Eigentlich könnte ich es mit diesem Zitat bewenden lassen, da es genau das sagt, was ich nicht besser sagen könnte. Vielleicht sollte man aber noch ergänzen, dass ich mir vorstellen kann, dass es auch enttäuschte Leser gibt, dass das Buch nicht für jeden funktioniert. Denn es ist eines nicht – es ist nicht im eigentlichen Sinn spannend, es treibt nicht wirklich eine Geschichte voran. Es schildert eher verschiedene Gesellschaften, lässt uns in diese Eintauchen und den Verlust, der erlitten wurde, erfahren. Eine ganz zarte Erzählung, die ein bisschen wie eine Blüte immer neue Blätter offenbart, durch die man sich vorarbeiten muss. Es fehlen aber eben die klassischen Klischees, die Kämpfe, die Brutalität. All das wird angedeutet, steht aber eben nicht im Zentrum. Es gibt nicht den klassischen Helden, der los zieht und die Welt wieder aufbaut oder zumindest sein eigenes Dasein verbessert. Die Protagonisten sind schlicht Menschen, im Guten und im Schlechten. Ein bisschen wie bei Flaubert, auch wenn dieser Vergleich wieder hinkt.

Ich liebe solche Bücher und daher ist, ich kann es nicht anders sagen, auch für mich dieser Roman einer der besten, die ich in letzter Zeit lesen konnte. Ich bin mir unsicher, ob ich schon jemals zum goldenen Würfel gegriffen habe, aber wenn nicht hier, dann mache ich das nie mehr.


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[38/40] - Handlung
[40/40] - Stil
[10/10] - Aufmachung
[10/10] - Preis/Leistungs-Verhältnis

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