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Sci-Fi / Fantasy Die Go-Go-Girls der Apokalypse

sonic_hedgehog

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Glück im Unglück?

Mortimer Tate drohte die Scheidung, aber so leicht wollte er es seiner Frau nicht machen. Anstatt auf sie und die Scheidungspapiere zu warten, packte er seine sieben Sachen, kaufte auf Kreditkarten noch diverse Vorräte und verschwand in die Berge. Und dann ging die Welt unter – auf Naturkatastrophen folgten Börsencrashs und Terror und schließlich diverse Kriege. Und als der Staub sich setzte, lag die Zivilisation in Trümmern. Dagegen ist so eine Höhle nicht das schlechteste...
Neun Jahre später hat Mortimer genug von der Einsamkeit. Eine Gruppe von drei Wanderern war in sein Gebiet gekommen und anstatt ein Gespräch anzufangen flogen Kugeln – am Ende standen drei Tote und Mortimers Entschluss in die Welt zurückzukehren – und herauszufinden, wie es seiner Frau (und der Welt) so ergangen ist.
Doch ist er nach neun Jahren im Busch nicht im Geringsten darauf vorbereitet was ihn erwartet, und die Welt legt es darauf an, ihn die neuen Regeln im Schnellverfahren zu lehren. Der Begriff „das Recht des Stärkeren“ beschreibt die Situation nur ungenügend und auch sämtliche Wirtschaftskreisläufe sind kollabiert (z.B. ohne Ölförderung kein Benzin, ohne Benzin keine vernünftigen Verkehrsmittel und ohne diese keine Warenströme). Doch Mortimer bleibt nicht lange allein, schon bald trifft er einen jungen Mann, der sich selbst in der Tradition der Westernhelden sehen will und auch so kleidet, später kommen noch die Stripperin Sheila und andere dazu. Und Mortimer lernt, dass die einzigen Orte, an denen noch etwas wie Zivilisation zu finden ist, Joey Armageddon’s Sassy A-Go-Go-Clubs sind, denn dort gibt es kaltes Bier, warmes Wasser und heiße Frauen – und Frieden. Als Mortimer erfährt, dass auch seine (Ex-)Frau in einem der Clubs arbeiten soll, steht sein Entschluss fest: Egal ob vernünftig oder nicht, er und seine Begleiter brechen auf, Anne zu finden. Und so beginnt ein Parforceritt durch eine postapokalyptische Welt, auf dem er und seine Begleiter auch in den Kampf zwischen verschiedenen Fraktionen mit größeren Plänen gezogen werden.

Postapokalytische Szenarien scheinen sich wieder größerer Beliebtheit zu erfreuen, sei es im Kino, sei es literarisch. Victor Gischlers Roman „Die Go-Go-Girls der Apokalypse“ nimmt aber eine gewisse Sonderstellung ein, da er sich des Themas von einer nicht ganz so todernsten Perspektive annimmt.

Die Go-Go-Girls der Apokalypse ist Viktor Gischlers erster auf deutsch verfügbarer Roman, was etwas verwundert, bedenkt man, dass sein Erstlingswerk Gun Monkeys auf Nominierungsliste des Edgar Allan Poe Awards gelandet war. Der Autor selbst war Englischlehrer und lebt in Baton Rouge, Louisiana.

Die Perspektive des Romans ist wie gesagt nicht so todernst wie die anderer Romane des Genres. In Wahrheit wandert der Roman auf einem schmalen Grat, dem Grat zwischen Lächerlichkeit und Ernsthaftigkeit. Das Szenario selbst ist in Grundzügen ernst und glaubwürdig – eine kollabierte Welt, in der die Überlebenden im ständigen Kampf sind und Gefahr laufen, von Vergewaltigern, Sklaventreibern, Kannibalen oder Diktatoren zerrieben zu werden. Eine brutale Welt und diese Brutalität wird auch nicht vor dem Leser versteckt:
S.205 schrieb:
Mortimer wollte sich Kaffeeauge vorknöpfen, aber der zog einen Revolver und richtete ihn auf Mortimer, der erschrocken zurück wich.
Ein Schuss, laut wie eine Explosion.
Der Kopf des Rotstreifens platzte über der Schläfe auf. Haar, Knochensplitter und Blut flogen durch die Luft. Sein ganzer Körper vibrierte wie eine Stimmgabel, dann brach er zusammen.
Und selbst die titelgebenden Go-Go-Girls passen in diese Welt – Alkohol und Frauen zogen eben schon immer – warm sollte sich dies durch die Apokalypse verändern. Auf der anderen Seite sind da dann der leicht sexistische, oft brutale und mitunter ironisch-zynische Erzählstil und die Personenentwürfe. Letztere sind zwar schlüssig, oft aber hart an der Grenze, seien es Buffalo Bill, der Cowboy, Mutter Lola, der transsexuelle Herrscher über eine psychiatrische Klinik für Frauen, uvm. Das Buch fühlt sich an als lese man einen Tarantino-Film, was ja beileibe kein schlechtes Urteil ist. Und trotz vielfältiger Überzeichnung gelingen Gischler viele gute Charaktere: Mortimer Tate zum Beispiel ist ein äußerst sympathischer Protagonist. Nach seinem egoistischen Rückzug in die Berge und dem nicht klar durchdachten Wunsch, seine Frau wiederzusehen, benötigt er offenbar den Nicht-Zivilisationsschock um endlich reinen Tisch zu machen. Er entwickelt sich von Getrieben und Gejagten allmählich zum Jäger, der letztlich dann auch richtige und notwendige Entscheidungen treffen kann. Die Sympathie, die man für den Charakter Mortimer epfindet, lässt einen auch mit ihm leiden und zittern, wenn er von einer Gefahr in die andere rutscht. Gleichzeitig hält das Buch viele begeisternde Ideen bereit, sei es ein Kannibalenstamm, dessen Wachen davon schwärmen, dass sie gerne mal wieder einen guten Wein statt dieses vergorenen Bluts trinken würden, die Wegelagerer, die mit der Leiche ihres Vaters und einer Dose Ravioli Wanderer in die Falle locken, man weiß nicht wo man anfangen und wo man aufhören soll.

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten und dieses Buch bildet leider keine Ausnahme. So gefällig der Tarantino-Film-Stil der Handlung ist, so störend empfand ich den szenischen Aufbau des Buches. Mitunter meint man Regieanweisungen zu sehen, eine schwarzes Ausblenden des letzten Bildes und einen Schnitt zur nächsten Szene. Gerade in den ersten Teilen des Buches vermittelt sich das Gefühl, der Autor erzähle nicht, er springe nur von Actionszene zu Actionszene. Und auch die Sprache lässt Wünsche offen: Gute Autoren beherrschen die Kunst, über die Sätze das Lesetempo zu steuern und dieses dem Tempo der Handlung anzupassen – der Grund, warum in Landschaftsbeschreibungen längere Sätze vorherrschen als in rasanten Szenen. Gischlers Sprache besteht (zumindest in der Übersetzung von Andreas Brandhorst, das englische Original liegt mir nicht vor) fast ausschließlich aus kurzen Sätzen – meist nur ein Hauptsatz und vielleicht ein kurzer Nebensatz. Die führt dazu, dass das Auge des Lesers über die Punkte stolpert, sofern er nicht automatisch Sätze in seinen Kopf aneinanderfügt.

Und so kommt es, dass dieser eigentlich hochamüsante Roman mit seinen vielen tollen Ideen und der coolen Attitüde nur daran krankt, dass er passagenweise einfach schwer zu lesen ist.
Dankenswerterweise ist der Roman aber grundehrlich – nicht nur definiert der Titel ziemlich genau das Flair des Romans und entspricht das Titelbild fast dem, was man im Buch als Logo der Clubs kennenlernen will, auch das Anlesen des Romans (z.B. auf der Homepage des Verlags) vermittelt einen guten ersten Eindruck über Inhalt und Stil des Buches. Ich empfehle auf jeden Fall, einen Blick zu riskieren, auch wenn mein Fazit etwas durchwachsen ist. Denn nicht jeder wird sich an Stil und Sprache stören.

Ein Buch für alle, für die ein Cocktail aus Go-Go-Girls, Apokalypse und Tarantino einfach lecker klingt.

Mein Dank gilt an dieser Stelle dem Piper Verlag, der diese Rezension ermöglichte.
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Die Go-Go-Girls der Apokalypse

Die Rezension ist echt gut geschrieben. Da merkt man, dass du dir viele Gedanken zu den Büchern machst. :) Normalerweise hätte mich der Titel sofort abgeschreckt (klingt einfach billig), aber deine Zusammenfassung macht doch etwas neugierig.
 
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