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Ort/Region Call of Cthulhu Deutschland - Blutige Kriege & Goldene Jahre

sonic_hedgehog

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Da die Erstauflage der großen Cthulhu Deutschland-Box schon seit einer ganze Weile vergriffen und nur zu horrenden Sammlerpreisen verfügbar ist, hat sich Pegasus ein Herz genommen und die beliebte Box neu aufgelegt – im inzwischen zum Standard geworden Buchformat.
Dabei wurde der Inhalt der Box zum größten Teil in die Neuauflage übernommen. Das Buch unterteilt sich grob in drei Teile: Teil 1 mit rund 180 Seiten Umfang gibt dem Leser einen umfassenden Überblick über politische Situation und Leben im Deutschland der 20er Jahre, Teil 2 mit knapp 60 Seiten ergänzt diesen Überblick durch Spielhilfen während Teil 3 erneut 3 Abenteuer umfasst. Die Überarbeitung ist qualitativ gut, nur an einer Stelle konnte ich noch einen alten Verweis entdecken. Auch sonst hat das Lektorat gute Arbeit gemacht und die Verarbeitungsqualität ist gewohnt gut. Einzig die Schrift hätte einen Tick größer ausfallen können.

Auf den ersten 180 Seiten versuchen die insgesamt 38 Autoren, die Welt der 20er Jahre griffig zusammenzufassen. In insgesamt 11 Kapiteln umfasst der Rundumschlag das gesamte Feld von der großen Politik über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bis hin zum Privaten. Geschichtliches und Wirtschaftliches dürfte den meisten von uns aus dem Geschichtsunterricht noch mehr oder weniger gut bekannt sein – umso höher ist die Leistung der Autoren zu bewerten, denen es nicht nur gelingt, diese Jahre ohne grobe Schnitzer zusammenzufassen, sondern sie dabei auch noch greifbar zu machen. Schon die geschichtlichen Fakten ergeben keine langweilige Unterrichtsstunde, sondern sind richtiggehend lebendig. Doch erst die Kapitel zu Lust und Laster, Kriminellem und Freizeitgestaltung ermöglich es letztlich, sich das Leben in den 20er Jahren vorzustellen – zumindest das Leben in den größeren Städten, auf dem der Fokus liegt. Ergänzt wird all das durch immer wieder eingestreute Originalphotos und Originaltexte, die die Atmosphäre noch verstärken sowie durch – für Cthulhu besonders interessant – Informationen zu Okkultem und Unheimlichen – wiederum ergänzt durch Sagen und Legenden. An dieser Stelle kam auch einen Moment lang etwas Enttäuschung bei mir auf, da ich mir gerade auf diesem Gebiet etwas mehr Ausführlichkeit gewünscht hätte. Die Autoren beschränken sich jedoch eher auf Denkanstöße und eher kurze Texte. Andererseits ist es jedoch auch passend, da gerade Cthulhu davon lebt, dass man reale Ereignisse ins Spiel einbindet und hoch individuelle Abenteuer entwirft.
Und so bleibt es dabei: Nie zuvor hatte ich so sehr das Gefühl mir vorstellen zu können, wie der Leben in den 20er Jahren tatsächlich gewesen ist.

War all das eher Fluff, folgen im Bereich der Spielhilfen die Fakten – umfassende Listen deutscher Bibliotheken, Universitäten, Preisen von Alltagsgegenständen (außerhalb der Zeiten der Hyperinflation, die ganz andere Probleme für die Spielercharaktere mit sich bringt), etc. Ebenfalls dazu gehören drei Kapitel, in denen auf speziell für Deutschland passende SCs und NSCs eingegangen wird und in denen die besonderen Herausforderungen für die Darstellung weiblicher Charaktere erläutert werden (in Zeiten, in denen Emanzipation ein noch nicht allzu gebräuchliches Fremdwort und das Frauenwahlrecht eine neue Errungenschaft ist). Vieles davon lässt sich auch improvisieren, aber gerade Spielrunden, die gerne „exakt“ spielen, werden die Tabellen zu schätzen wissen.

Den Abschluss bilden, wie schon in der ersten Auflage, 3 Abenteuer. Zwei davon wurden neu in den Band aufgenommen, lediglich eines (Tempus fugit) wurde aus der ersten Auflage übernommen. Geboten wird darin solide Rollenspielkost: Bilderwahn konfrontiert die Mythosjäger mit den unerwünschten Folgen archäologischer Ausgrabungen, Tempus fugit ist als Einsteigerabenteuer konzipiert, in dem die Spieler ihre Charaktere genauso wenig kennen wie diese sich selbst und ein Ziel (neben dem Versuch zu überleben) ist, die Gründe dafür herauszufinden und dass diese wahrlich Äonen umspannen. Gefrorene Angst ist wohl die schwerste Kost, aber auch die in meinen Augen faszinierendste, spielt es doch mit dem Grauen des ersten Weltkriegs, das durch cthulhuide Umtriebe noch verstärkt wird. Insgesamt sind die Abenteuer gut ausgearbeitet. Wie immer bei ausgearbeiteten Abenteuern folgen sie einen Ereignisstrang (was kritische Geister schon als ersten Schritt zum Railroading ansehen mögen), aber dieser ist in meinen Augen spannend genug, dass es sich lohnt ihm zu folgen. Sehr gelungen ist dabei, dass jedem Abenteuer ein kleiner Kasten mit einem Spielbericht aus den Testspielen angefügt ist. Dieser vermittelt zwar nur ein spezielles Bild des Abenteuers und verleitet vielleicht zur (meist falschen) Hoffnung, die eigenen Spieler könnten ähnliche Wege einschlagen, ist aber trotzdem eine zusätzliche Hilfestellung.

Fazit:
Wer immer überlegt, seine Cthulhu-Spielgruppe im Deutschland zwischen 1. Weltkrieg und 3. Reich spielen zu lassen, sollte einen intensiven Blick auf diesen Band werfen. Er wird davon profitieren. Anzumerken ist nur, dass man umso mehr von diesem Band profitiert, wenn man noch einige andere Mythosbücher besitzt. Die profanen Hintergrundinformationen sind zwar auch schon für Cthulhu-Einsteiger interessant, gerade jedoch die Kapitel zu Okkultem und insbesondere die Abenteuer profitieren sehr, wenn man zusätzliche Quellen heranziehen kann. Aber das kann wohl als bei Ergänzungsbänden üblich angesehen werden, auch wenn es im Fall des Abenteuers Tempus fugit durchaus bedauerlich ist. Dieses ist zwar ausdrücklich (auch) für Einsteiger gedacht, viele der Ereignisse werden jedoch an den Spielern vorbeigehen, wenn nicht wenige ein paar von ihnen tiefere Hintergrundkenntnisse des Mythos besitzen. Also: Eine gute Ergänzung für die Sammlung!
Und ganz nebenbei: Schön, dass es auch die historische Deutschlandkarte als Einleger ins Buch geschafft hat.

Ich danke dem Pegasus Verlag für die Möglichkeit das Buch zu rezensieren und verweise für gerne auch auf die Verlagshomepage.
 
AW: Cthulhu Deutschland - Blutige Kriege & Goldene Jahre

Bei erneuten Lesen der Rezension fiel mir auf, dass nicht ganz klar wird, warum mich die realistisch wirkende Schilderung der 20er jahre so begeistert.
Ein Grund ist die Enttäuschung, die sich bei mir nach der Lektüre des Spielerhandbuchs eingestellt hatte.
Dass ich mit dem Ansatz "was die Spieler nicht wissen brauchen (hier: Details zum Mythos) drucken wir auch nicht ab" nichts anfangen kann, ist vermutlich mein Problem. Enttäuschend fand ich eher, dass es im Spielerhandbuch deutliche Mängel in der Originalgetreue gab. Da wimmelte es vor Anachronismen. Gut, das Spielerhandbuch hatte den Ehrgeiz, das Spiel nicht nur in der Hauptepoche der 20er Jahre, sondern auch in den 189ern und in der Gegenwart zu ermöglichen. Das aber führte dazu, dass es hinten und vorne nicht zusammenpasste. Da wurden psychische Erkrankungen nach dem heutigen Stand (wenn auch nicht immer korrekt) geschildert, aber nicht wirklich darauf eingegangen, wie die Sicht dieser Erkrankungen in den 20ern war. Da werden Therapieoptionen geschildert und man beschränkt sich doch auf solche, die es in den 20ern geben soll - verwendet dann aber erst gut 40 jahre später entdeckte Wirkstoffe. In der Summer ergab das bei mir den Eindruck, dass hier nicht geschildert wird, wie die 20er Jahre waren, sondern geschildert wurde, wie sich moderne Menschen die 20er vorstellen und wie sie ihre Zeit dorthin projizieren.
Andere Infos sind exakt, aber schwer brauchbar: Ein Beispiel sind die Gewinner des Blauen Bands mit Geschwindigkeiten genannt, wie lange die Reisedauer dann war und durchschnittlich ist, darf ich selbst ausrechnen.
Daher war und bin ich vom Spielerhandbuch enttäuscht - man braucht es der Charaktererschaffung wegen, aber für vollständigere Infos darf man noch 40€ für das Spielleiterhandbuch drauf legen. Und selbst dann bleiben die komischen Eindrücke. Und da hebt sich dieses Quellenbuch einfach positiv ab, sehr positiv! Und daher meine Begeisterung. Nur um das noch zu erklären...
 
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