• RPG-Foren.com

    DIE Plattform für Fantasy & Sci-Fi Rollenspiele

    Ihr findet bei uns jede Menge Infos, Hintergründe zu diesen Themen! Dazu Forenrollenspiele, Tavernenspiele, eigene Regelwerke, Smalltalk und vieles mehr zu bekannten und weniger bekannten RPG-Systemen.

Sci-Fi / Fantasy Der Fall des Imperiums

sonic_hedgehog

Geweiht
Beiträge
4.467
Punkte
133
Klappentexte sind ein steter Quell der Freude, so auch hier:
Klappentext schrieb:
Ein galaktisches Imperium stirbt
In ferner Zukunft haben die Shaa die unterschiedlichsten Völker der Galaxis in einem riesigen Sternenimperium aus Tausenden von Welten vereint. Doch nun steht dieses Imperium vor dem Zerfall, die eiserne Herrschaft der Shaa geht zu Ende. Mit katastrophalen Folgen: denn eine gefürchtete Kriegerspezies erkennt ihre Chance und greift nach der Macht – und das könnte das Ende der menschlichen Zivilisation bedeuten.
Nicht dass dieser Klappentext wirklich falsch wäre, aber er ist ungefähr so exakt wie folgende Beschreibung von Shakespeares Romeo und Julia:
Verona. Zwei seit Generationen verfeindete Familien bekämpfen sich bis aufs Blut und ein Polizeichef versucht verzweifelt, Ordnung und Frieden herzustellen.​
Korrekt, trifft es aber irgendwie nicht ganz.

Die vielleicht wichtigste Information, die der Klappentext verschweigt ist, dass „Der Fall des Imperiums“ kein alleinstehendes Werk ist, sondern den Auftakt der „Dread Empire’s Fall“ Trilogie darstellt und daher der Fokus nicht etwas auf dem ausbrechenden Kampf um die Macht im Shaa-Imperium liegt, sondern auf der Vorstellung der Protagonisten:

Gareth Martinez und Caroline Sula sind beide Angehörige der herrschenden Schicht und der Armee – und beide sind Außenseiter, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Die Ausdehnung des Shaa-Imperiums folgte immer dem gleichen Schema: Schiffe der Shaa-Flotte erschienen im Orbit eines am Ende eines Wurmlochs gelegenen Planeten, bombardierten diesen bis zur bedingungslosen Kapitulation und errichteten auf den Trümmern eine Herrschaft unter der sogenannten Praxis – eine streng hierarchische Gesellschaftsform, in der niedrigere Ränge gegenüber höheren zur Ehrerbietung verpflichtet, höhere gegenüber untergeordneten zur Verantwortung. Unter den Shaa finden sich die Peers verschiedener Stufen, unter denen und für die die Normalbevölkerung arbeitet. Ein System ähnlich dem Gottesgnadentum Ludwig XIV.

Lord Martinez Familie ist zwar reich, herrscht aber über einige sehr abgelegene Kolonien und ist daher als Provinzler eher dem Niederadel angehörig – was auch ihren gesellschaftlichen und militärischen Aufstieg einschränkt.
Lady Sulas Familie gehörte lange Zeit dem Hochadel an, durch Verrat verspielten ihre Eltern aber Status und Leben, weswegen auch ihr Ansehen eher niedrig ist.

Doch Zeiten den Umbruchs sind immer auch Zeiten der Chancen – der letzte der Shaa hat aus den unterworfenen Völkern nicht verständlichen Gründen beschlossen, sein Leben wie schon alle anderen Shaa vor ihm zu beenden – und jede Familie des hohen Adels ist verpflichtet, eines ihrer Mitglieder mit ins Grab des Shaa zu schicken. Ein Umbruch, der auch die Karriereplanung Martinez stört, da sein Vorgesetzter sein Opfer beschlossen hat und sein Nachfolger eigene Favoriten in gute Positionen befördern wird. Er ist also erneut gezwungen, seine Beziehungen zu nutzen um sich aus dem Abseits in eine neue hoffnungsvolle Position zu manövrieren – wobei ihm aber der Zufall in die Hände spielt. Im Zuge einer Regatta verunglückt das Schiff eines der beliebtesten Piloten und Martinez ist es, der die Rettung des Schiffes plant – während Sula die Pilotin der Pinasse ist, die schließlich losgeschickt wird, Martinez Plan auszuführen.

Doch kaum sind sie auf ihren neuen Posten angekommen, müssen sie erleben, wie eine der ebenfalls von den Shaa unterjochten Spezies versucht, das entstandene Machtvakuum zu füllen – und der Satz „Mögest Du in interessanten Zeiten leben“ beweist sich als Fluch.

Wenn man berücksichtigt, dass Walter Jon Williams seine Geschichte noch in zwei weiteren Bänden fortführen wird, ist ihm ein guter Auftakt gelungen:

Seine Stärke sind dabei eindeutig seine Personen: Er nimmt sich gut 300 Seiten Zeit, die Protagonisten vorzustellen und sie in die Positionen zu manövrieren, in denen sie das folgende erleben werden. Dabei schafft er ein lebendiges, spannendes Universum und dreidimensionale Charaktere, auch wenn einige seiner Erzählstränge vorhersehbar sind, manche Enthüllungen über die Motive der Protagonisten sehr unvermittelt kommen und gelegentliche Anachronismen die Glaubwürdigkeit des Universums untergraben.
Gerade letztere verwundern den Leser mehrfach – so werden im 125. Jahrhundert der Praxis von weltraumfahrenden Rassen eines galaxisumspannenden Imperiums weiterhin die heute schon fast abgelösten DVDs verwendet und Identifikationen über den Fingerabdruck durchgeführt.

Auch dem klassischen Problem der SciFi-Literatur, der Notwendigkeit überlichtschneller Reisen und Kommunikation begegnet Williams wenn konsequent, wenn auch nicht übermäßig innovativ – das Imperium der Shaa erstreckt sich entlang der Wurmlöcher, die überlichtschnelle Fortbewegung ermöglichen – abseits der Wurmlöcher gelten die Regeln des einsteinschen Raums – Zeitverzögerung bei der Kommunikation, langsame Beschleunigungen zur Vermeidung zu hoher Belastungen der Besatzungen und lange Reisezeiten – schade allein dass die durch hohe Geschwindigkeiten bedingte Zeitdilatation nicht in dem Maß berücksichtigt wird, wie man es erwarten könnte.

Ich persönlich habe mich lange Zeit über das extrem langsame Anlaufen der Geschichte gewundert, fast geärgert, bis ich auf Seite 300 ungeduldig ans Ende des Buches blätterte um herauszufinden ob die Handlung überhaupt noch einsetzt – und dort den Satz „Lesen Sie weiter in Walter Jon Williams Sternendämmerung“ entdeckte. Dies von vorneherein zu wissen, hätte mir das Lesen deutlich versüßt und ich hätte die prinzipiell sehr schönen Charakterzeichnungen wesentlich mehr genießen können. Die Schuld dafür dürfte aber nicht beim Autor zu suchen sein, bedingt aber Abzüge im Bereich der Coverwertung.
Williams entwickelt seine Geschichte langsam, aber ohne in Zeilenschinderei zu verfallen – und abgesehen von den oben schon angeführten leichten Schwächen ist „Der Fall des Imperiums“ ein sehr gelungener Auftakt und mit Beginn des Krieges beweist Williams, dass er auch dessen Beschreibung zu meistern weiß.

Ein Buch, das für sich allein genommen auf Seiten der Geschichte etwas zu schwach ist, aber viele Erzählstränge anlegt und neugierig macht auf die folgenden Bände. Eine schöne Space Opera!

Mein Dank gilt dem Heyne Verlag, der uns diese Rezension ermöglichte und auf dessen Seiten auch eine Leseprobe bereit steht.

Walter Jon Williams, geboren 1953 ist ein amerikanischer Science Fiction Autor, der insbesondere mit seinen zahlreichen Kurzgeschichten fast alle wichtigen Preise des Genres gewonnen hat. In seinen Romanen hat er sich in fast allen Subgenres hervorgetan, bekannt ist er insbesondere für die Prise Cyberpunk, die einige seiner Romane auszeichnet. Rollenspielern ist er vielleicht auch aufgrund seiner Beteiligung am Cyberpunk Regelwerk von R. Talsorian Games bekannt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Oben Unten