• RPG-Foren.com

    DIE Plattform für Fantasy & Sci-Fi Rollenspiele

    Ihr findet bei uns jede Menge Infos, Hintergründe zu diesen Themen! Dazu Forenrollenspiele, Tavernenspiele, eigene Regelwerke, Smalltalk und vieles mehr zu bekannten und weniger bekannten RPG-Systemen.

Kartenspiel Android Netrunner LCG

sonic_hedgehog

Geweiht
Beiträge
4.467
Punkte
133
Android - Netrunner ist das neueste unter den auf deutsch erschienen Living Card Games. Wobei es, ganz ehrlich gesagt, so neu auch nicht wieder ist. Ursprünglich wurde es von Richard Garfield, bekannt auch als Erfinder von Magic – The Gathering und dem grandiosen RoboRally, 1996 als Sammelkartenspiel erfunden. Schon damals wurde es von vielen Seiten mit Lob überhäuft, scheint sich aber nicht durchgesetzt zu haben. Nun also der zweite Anlauf als LCG unter Lizenz bei Fantasy Flight Games und damit in Deutschland beim Heidelberger Spieleverlag.

Ein kurzer Exkurs für all jene unter Euch, die sich mit dem Thema LCG noch nicht auseinander gesetzt haben. Living Card Games beruhen wie auch Sammelkartenspiele, zu englisch Trading Card Games, darauf, dass die Spieler sich aus einer ständig wachsenden Zahl von Karten individuelle Kartendecks zusammenstellen. Im Fall der Sammelkartenspiele haben die Karten verschiedene Häufigkeiten – tendenziell sind seltener vorkommende Karten mächtiger als häufige, wobei das nicht immer gilt. Kompliziert wird es dadurch, dass man die Karten in zufälliger Zusammensetzung kaufen muss und somit entweder über das Gesetz der großen Zahlen an benötigte Karten kommt oder durch das namensgebende Tauschen mit anderen Spielern. Da einigen Spielern dieses Vorgehen zu teuer wurde (so auch mir), haben die Verlage sich neben den Sammelkartenspielen den sogenannten Living Card Games zugewandt: Bei gleichem Spielprinizip ist bei diesen Spielen die Verteilung der Karten offen gelegt. Das spart den Spielern tendenziell Geld, birgt aber auch ein Risiko: Sollten sich innerhalb der Karten Killer-Kombinationen ergeben, muss man umso mehr damit rechnen, dass viele Spieler mit denselben Karten antreten.

Netrunner ist die Cyberpunkt-Variante unter den Kartenspielen: Der eine Spieler verkörpert einen Runner (einen Hacker gewissermaßen) und im Spiel den „Guten“. Der andere Spieler verkörpert einen multinationalen Konzern, im Spiel eher den „Bösen“. Für beide Seiten gibt es je mehrere Fraktionen – bei den Runnern sind dies aktuell einzelne Personen aus den Gruppierungen der Anarchos, Kriminelle oder der sogenannten Gestalter – beim Konzern Haas-Bioroid, Jinteki, NBN oder das Weyland-Konsortium. Ich könnte nun lang und breit die Hintergrundgeschichten zu den Fraktionen ausbreiten, möchte mich aber darauf beschränken anzumerken, dass jede Fraktion dem Spieler unterschiedliche kleine Vorteile verschafft, sodass die Entscheidung wen man spielt durchaus von Bedeutung ist.

Wichtiger ist jedoch eine andere Eigenschaft von Android-Netrunner: Das Spiel ist asymmetrisch. Der Runner ist der Angreifer und muss um zu gewinnen hoch aggressiv vorgehen. Der Konzern hingegen ist der Verteidiger, der durch Aufbau gewinnen muss. Entsprechend spielen sich die beiden Fraktionen nicht vollkommen unterschiedlich aber deutlich.

Die vorliegende Startbox enthält je ein Deck jeder Fraktion. Etwas bedauerlich ist, dass das Basisspiel aus den mitgelieferten Karten keine Auswahl vorschlägt, mit der man starten sollte und weitere Karten, die man dann für erste Deckbauversuche verwenden kann. Die Startdecks sind für die ersten Spiele vollständig zu verwenden. Beide Fraktionen dürfen in ihren Decks nur Karten der eigenen Seite und neutrale Karten verwenden, da sich aber auch die neutralen Karten in der Farbe der Rückseite unterscheiden, sind die Kartenpools vollkommen getrennt.

Beginnen wir mit dem Konzern:
Der Konzernspieler hat den ersten Zug und beginnt jede Runde mit 3 Aktionsmarkern, sogenannten Klicks. Ausgehend von seinem HQ (der Kartenhand), dem Bereich F&E (dem Zugstapel) und dem Archiv (der Ablage) kann der Konzern verschiedene ausgelagerte Systeme (ausgelegte Karten) errichten. Sein Ziel ist es, in diesen ausgelagerten Systemen Agendas zu entwickeln, da heißt Karten vom Typ Agenda durch Bezahlen der Entwicklungskosten bis zu einer vorgegebenen Stufe auszubauen und dann die dafür anfallenden Punkte einzustreichen. Da der Konzern aber den Runner zum Gegner hat, kann er diese Agendas nicht ungeschützt auslegen. Er muss sie durch Intrusion Countermeasures, sogenanntes ICE schützen. Diese muss er in der Regel erst installieren und dann bei Bedarf aktivieren – für beides können Kosten anfallen. Natürlich gibt es durch andere Kartentypen auch die Möglichkeit, Soforteffekte auszulösen (durch die Operations-Karten) oder den Runner durch Aktivposten zu täuschen (Aktivposten können wie Agendas wirken, den Runner aber in eine Falle locken). Upgrades verstärken andere schon ausgespielte Karten.
Darauf geachtet werden muss, dass alle Karten die erst installiert und später aktiviert werden müssen, bei der Installation verdeckt ausgespielt werden. Durch die Lage der Karten weiß der Runner nur, ob es sich bei der Karte um ICE handelt oder nicht – er weiß aber nicht, ob und wie wertvoll das potentielle Ziel ist.
Auch wenn das Spiel des Konzerns sich hauptsächlich um Aufbau und Verteidigung dreht, ganz wehrlos ist er nicht. Der Konzern kann durchaus auch zurückschlagen – Ressourcen des Runners zerstören oder den Runner während dessen Zug markieren und ihm dank dieser Markierung Schaden zufügen.
Der Konzern gewinnt das Spiel entweder indem er mit seinen Agendas 7 Punkte erzielt hat oder indem er den Runner (durch Schaden) Karten abwerfen lässt, wenn dessen Hand leer ist.

Womit wir beim Runner wären. Diesem stehen in jedem Zug 4 Aktionsmarker zur Verfügung, sein Spielfeld unterscheidet sich etwas vom Konzern: Auch er hat natürlich eine Kartenhand, einen Zugstapel und eine Ablage – dafür aber keine ausgelagerten Systeme sondern 3 Reihen ausgelegter Karten: Programme, Hardware und Ressourcen. Die ausgespielten Karten sind in der Regel sofort aktiv, auch wenn teilweise noch für Effekte gezahlt werden muss. Die Karten des Runners liegen immer offen aus.
Der Angriff des Runners, der Run gegen das Konzernsystem, ist der Schwerpunkt des Spiels:
Sein Ziel ist es, Agendas des Konzerns zu stehlen und die Punkte abzustauben. Dazu muss er in ein Zielsystem (was sowohl Hand, Zugstapel, Ablage oder ein beliebiges ausgelagertes System sein kann) einzubrechen.Der erste Schritt dazu ist, sich dem schützenden ICE anzunähern. Während dieser Annäherung hat der Konzern die Chance, es zu laden oder es inaktiv zu lassen. Lädt der Konzern sei Schutzsystem, kann der Runner versuchen es zu überwinden. Dazu bedient er sich eigener Programme, sogenannter ICE-Brecher. Sollte er scheitern oder einzelnen Subroutinen des Schutzprogramms nicht stoppen können, werden diese aktiv und fügen dem Runner Schaden oder anderes zu. Der Runner wühlt sich, sofern er überlebt und nicht aus dem System ausgeworfen wird, durch jede einzelne Schicht der Schutzprogramme, die wie Zwiebelschaden das System umgeben. Sollte er alle Schutzschichten überwinden können, kann er im Anschluss auf das System, also die Karten zugreifen und diese erobern.
Er gewinnt das Spiel, wenn er 7 Punkte angehäuft hat oder wenn er den Konzernspieler dazu zwingt, Karten zu ziehen und dessen Zugstapel leer ist.
Verschiedene Effekte peppen das Ganze weiter auf und können zu überraschenden Wendungen führen...

Android Netrunner ist ein faszinierendes Spiel, das gerade durch seine Asymmetrie dazu zwingt umzudenken. Im Idealfall bereitet jeder Spieler ein Deck für beide Seiten vor und man wechselt regelmäßig Position. Dies sollte man sich zum einen schon allein aufgrund der Spielerfahrung nicht entgehen lassen, zum anderen auch deswegen, weil asymmetrische Spiele immer das Risiko tragen, dass eine Seite kleine, aber ausreichende Vorteile hat. Zwar steht Netrunner in dem Ruf, sehr gut ausbalanciert zu sein – aus meiner beschränkten Erfahrung heraus kann ich mir dazu aber kein Urteil erlauben.

Zwei kleinere Nachteile des Spiels sollte man aber nicht verschweigen: Zum einen hat das Spiel aufgrund seiner komplexen Mechanismen, die ich oben nur knapp angerissen habe, eine nicht zu unterschätzende Einstiegshürde. Die muss man überwinden, was aber mit etwas Begeisterungsfähigkeit nicht allzu schwierig sein sollte. Zum anderen kann man Netrunner zwar allein mit der Basisbox spielen, dies ist aber weniger erfüllend als bei anderen Kartenspielen. Netrunner treibt den Spieler erfolgreich zum Deckbau. Da dies das Grundprinzip eines LCGs ist, ist es dem Spiel nicht vorzuwerfen. Ärgerlich ist aber, dass für erfolgreichen Deckbau schon zu Beginn drei Basissets kaufen sollte um auch die seltener Karten in der maximal im Deck verwendbaren Zahl an Karten zu besitzen. Auch das gehört zum Grundprinzip dieser Spiele, weckt bei mir aber immer ungute Erinnerungen an all das Geld, das ich in der Vergangenheit einmal für Sammelkarten ausgegeben (und durch den Verkauf meiner Sammlung am Ende wieder erlöst) habe.

Dennoch: Für mich eines der faszinierendsten LCG, das ich in die Hände bekommen durfte. Die Spielmechanik ist abwechslungsreich und fordernd und das Flair, das viel auf bekannte Cyberpunk-Rollenspiele aufbaut, ist für mich sehr gefällig.

Weitere Informationen findet der geneigte Spieler auf den Seiten des Heidelberger Spieleverlags.
 
Zurück
Oben Unten