Gern nehme ich zu der Kritik an meiner Handhabung von XP-Vergabe persönlich Stellung.
Zunächst einmal als kurze Hintergrundinfo zu meiner Person, damit meine Beweggründe für die von mir gefundene Regelung eventuell etwas erhellt werden:
Ich arbeite seit 12 Jahren als Lehrer für Kinder und Jugendliche aus sozialen Brennpunkten und gesamtgesellschaftlichen Randgruppen. Viele davon schwer erziehbar mit einem hohen Grad an Verhaltensauffälligkeiten und großen Schwierigkeiten bei der sozialen Integration.
Im Laufe meiner Arbeit habe ich feststellen müssen, dass das Label „schwer erziehbar“ nicht nur auf Kinder und Jugendliche zutrifft, sondern insbesondere auf sogenannte Erwachsene. Folglich haben diejenigen didaktischen und pädagogischen Methoden, welche bei mangelhaft sozialisierten Jugendlichen die größte Erfolgsquote aufweisen, auch die höchsten Chancen bei der sozialen Interaktion mit erwachsenen Menschen.
In einem anderen Thread habe ich schon einmal darauf hingewiesen, dass ich Spielmechaniken nicht verwende, um Spieler abzustrafen für etwas, das ihre Charaktere im Spiel getan haben.
Meine Erfahrung hat gezeigt, dass Strafen in der großen Mehrheit der Fälle nicht den erwünschten Effekt bringen, sondern lediglich zu einer Verstimmung und Frustration (und somit einer Potenzierung unerwünschten Verhaltens) seitens des Abgestraften führen. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.
Was jedoch fast immer zum Erfolg geführt hat, war, demjenigen, der sich zu wenig beteiligt, zu selten erscheint oder sich zu selten angemessen verhält,...
- mit gutem Beispiel voran zu gehen
- den äußeren Leistungsdruck zu nehmen
- unabhängig seines Verhaltens stets mit Wertschätzung zu begegnen, ganz gleich, wie oft man die Person ermahnen musste
- mit positiver Verstärkung zu begegnen
- ein soziales Miteinander statt ein wettbewerbsgeprägtes Gegeneinander voller Neid und Missgunst vorzuleben
- zum erwünschten Verhalten zu ermuntern statt zu zwingen
- für jeden positiven Beitrag zu loben und zu belohnen
etc.
Im Rollenspiel heißt das für mich: Hat ein Spieler die gemeinsam erlebte Story durch engagiertes Charakterspiel bereichert, profitiert die gesamte Gruppe davon. Einerseits möchte ich den Spieler selbst dafür unmittelbar im Spiel belohnen, andererseits soll am Ende des Abenteuers die gesamte Gruppe spielmechanisch vom Charakterspiel ihrer einzelnen Spieler profitieren, was diejenigen, die sich engagieren, dafür belohnen soll (+ 1 Inspirationswürfel), die anderen, welche vielleicht schüchterner oder unbeholfener sind, jedoch auch dazu motivieren soll, es zum Wohle der gesamten Gruppe selbst zu versuchen (mehr XP für alle!).
Das heißt, die Gruppe (welche um diese Regeln weiß) wird jedem Spieler, der einen Charaktermoment ausspielt, dafür dankbar sein, dass er sich die Mühe macht, was selbst für die Powergamer unter ihnen gilt, denn die kriegen dafür gratis XP, jedesmal wenn der Barde sich nen Limerick ausdenkt. Gleichzeitig sind sie jedoch motiviert, selbst mehr ihre Rolle auszuspielen, denn der Inspirationswürfel kann im Kampf den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.
Ergebnis meiner Methode ist bisher, mit den Spielern, die ich in meiner aktuellen Gruppe habe, dass selbst die zwei schüchternen Anfängerinnen und der bisher eher spielmechanisch fokussierte Würfelspieler sich angewöhnt haben, Charakterdialoge untereinander zu führen, weniger zu metagamen („du bist nicht da, du kannst das alles nicht wissen“ - „ach stimmt... ja dann tu ich folgendes...“), direkter und persönlicher mit meinen NSCs zu interagieren (welche ich immer möglichst mit einzigartiger Gestik, Mimik, Stimmlage und der einen oder anderen Macke spiele) und sich dabei gegenseitig zu Rollenspiel und Teamplay zu ermuntern, da sie gemerkt haben, dass sich das sowohl vom Spielspaß und Gruppenklima her als auch spieltechnisch lohnt.
Ich muss dazu jedoch auch sagen, dass ich privat ausschließlich mit generell sehr interessierten, begeisterungsfähigen, zuverlässigen, freundlichen und sozialen Menschen zusammen spiele, welche einander und mir als SL auch ohne jeglichen Erziehungsversuch mit Respekt, Rücksicht und geradezu liebevoller Unterstützung begegnen.
Daher habe ich es mit meiner Spielerschar sehr leicht. Die einzige, die öfter ausfällt, ist unsere Jüngste, und das auch nur deswegen, weil sie in Bälde ein Kind erwartet. Zudem spielen wir relativ selten, wenn auch so regelmäßig wie möglich einmal im Monat.
Das Problem lustloser Spieler kenne ich in der geschilderten Form nicht, deswegen kann ich dazu wenig sagen. Ich verkehre privat nur mit Leuten, die einander wertschätzend begegnen. Ich bestrafe passivere Spieler genau so wenig wie Würfelorgien-Fans, sondern versuche, allen Spielertypen ihre Momente im Spiel zu geben, die ihnen besonders viel Freude bereiten. Alle Spielstile haben ihre Daseinsberechtigung, und gegen Murderhoboism (der mir persönlich zuwider ist) gehe ich lieber mit innerweltlichen Konsequenzen vor und beuge ihm vor, indem ich Spieler und ihre Charaktere für gewaltfreie Lösungen potentiell gewalttätiger Konflikte besonders belohne.
TLDR:
Habe mit Bestrafungen schlechte Erfahrungen gemacht und kaum einmal gewünschte Ergebnisse erzielt.
Mit positiver Motivation und wohlwollender Gleichbehandlung der Spieler jedoch bisher immer Erfolg gehabt.
Halte Bestrafung für unnötig und kontraproduktiv, positive Bestärkung dagegen für motivierend und effektiv.
Und zwar basierend auf Erfahrungswerten in Berufs- und Spielpraxis.